Wie ein gigantisches Raumschiff thront die Skisprungschanze über Oberstdorf. Strahlend hell ausgeleuchtet war sie am Sonntagabend einmal mehr Schauplatz des Auftakts der Vierschanzentournee. Es war ein verheißungsvoller Start. Bei eisigen Temperaturen gewann Topfavorit Ryoyu Kobayashi, gleich dahinter platzierte sich Lokalmatador Karl Geiger. Er hielt dem ganz besonderen Druck stand, den es auszuhalten gilt, wenn die Schanze quasi im Kinderzimmer steht. Wenn unter den 25.500 Menschen auf den rappelvollen Rängen auch jede Menge Freunde und Verwandten stehen.
Nicht immer hatte es Geiger in den vergangenen Jahren geschafft, mit all den riesigen Erwartungen und Hoffnungen umzugehen. Mit der Schanze, die er so gut kennt und doch nur selten liebte. Oder mit den tückischen Winden, die sich abends über den Schattenberg wälzen und die Springer nach unten drücken. An diesem Sonntag ließ sich der 26-Jährige von nichts aus der Ruhe bringen. Er blieb ganz bei sich und sagte danach: "Natürlich bin ich nervös, aber ich habe Mittel und Wege gefunden, mich herunter zu bringen." Nach seinem zweiten Sprung ließ der ansonsten eher ruhige Allgäuer seinen Gefühlen freien Lauf und brüllte seine Freude in die eisige Nacht. "Ich bin mega happy. Die Atmosphäre war der Hammer. Ich wollte einfach mein Zeug machen und das hat super geklappt."
Geiger springt schon im ersten Durchgang auf Platz Zwei
Schon im ersten Durchgang hatte Geiger seine überragende Form und mentale Stärke unter Beweis gestellt und ging als Zweiter hinter dem Japaner ins Finale. Kobayashi allerdings flog auch in Oberstdorf in seiner eigenen Liga. Schon im Vorfeld hatten sich fast alle Experten auf ihn als heißesten Anwärter für den Gesamtsieg festgelegt. In den Wettbüros gab und gibt es für ihn die miesesten Quoten. Im vergangenen Winter hatte er erst alle vier Springen der Tournee und dann auch den Gesamtweltcup gewonnen. Macht er keinen Fehler, wird er auch in diesem Winter dominieren. "Aber wenn Kobayashi einen Fehler macht, wird Karl da sein", sagte der neue Bundestrainer Stefan Horngacher in Oberstdorf.
Vierschanzentournee 2020: Nächste Station ist Garmisch-Partenkirchen
Im Sommer hat der Österreicher, der auf Werner Schuster folgte, viel Mühe darauf verwendet, "das Trainingsniveau zu erhöhen. Wir haben versucht, noch akribischer an seiner Anfahrtshocke und an der Streckbewegung zu arbeiten. Karl war immer ein relativ hoher Springer, aber die Fluggeschwindigkeit hat gefehlt." Geiger lebe von einer enormen Absprungenergie, von seinen langen Beinen und seiner Sprungkraft. Horngacher: "Karl hatte immer eine Höhe, kann irgendwie immer weit fliegen." Die neuen Trainingsreize scheinen gefruchtet zu haben, diesen Rückschluss lassen Geigers Sprünge in Oberstdorf zu. Horngacher nahm es, zumindest äußerlich, sehr gelassen zur Kenntnis. "Karl hat zwei sehr gute Sprünge gezeigt. Jetzt können wir entspannt in den Ruhetag gehen und dann geht es in Garmisch weiter."
Schon am späteren Sonntagabend, rund zwei Stunden nach dem Wettbewerb, wirkte auch Geiger wieder hoch konzentriert und tief in sich ruhend. Freundlich arbeitete er in kurzen Sätzen die Fragen auf der Pressekonferenz ab. Sprach nochmal von der „brutalen Atmosphäre“ in Oberstdorf. Und davon, dass er sehr zufrieden sei mit seinen beiden Sprüngen. Ähnlich wortkarg präsentierte sich Kobayashi. Auch er, Überraschung, war sehr zufrieden. Er habe das Gefühl, alles gegeben zu haben. In dieser frühen Phase der Tournee will keiner der Favoriten zu tief ins Seelenleben blicken lassen.
Vier Deutsche landen beim Auftaktspringen in Oberstdorf in den Top 15
Ganz offensichtlich ist dagegen, dass hinter Geiger momentan eine kleine Lücke im deutschen Team klafft. Auf Platz elf folgte Markus Eisenbichler. Für den dreifachen Weltmeister von Seefeld und Innsbruck ist das allerdings schon ein großer Erfolg, denn in diesem Winter trug ihn sein fragiles Flugsystem bisher noch nicht allzu weit. „Ich bin trotzdem mit einem sehr guten Gefühl nach Oberstdorf gekommen und mit meinem Ergebnis sehr zufrieden“, sagte er.
Die Kräfteverhältnisse zwischen Eisenbichler und Geiger, den beiden Topspringern im deutschen Team, haben sich umgedreht. An der guten Stimmung und der Freundschaft zwischen den beiden ändert das aber nichts. „Es freut mich einfach mega, dass Karl hier jetzt ganz vorne dabei ist. Das entspannt uns alle und ich werde ihn natürlich unterstützen, dass er auch da vorne bleibt.“ Gleich hinter Eisenbichler landeten Pius Paschke und Stephan Leyhe auf den Plätzen zwölf und dreizehn. Sie alle werden den Montag dafür nutzen „nichts zu tun, einfach nur faulenzen“, kündigte Horngacher am Sonntagabend noch an. „Der Tourneeauftakt ist immer sehr anstrengend. Wir ruhen uns aus und greifen dann in Garmisch wieder an.“
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