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Handball: VfL Gummersbach: Ein Bundesliga-Dino kämpft um seinen Platz

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VfL Gummersbach: Ein Bundesliga-Dino kämpft um seinen Platz

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    Ein Bild aus besseren Zeiten: Vier Jahre spielte der Augsburger Frank Löhr für den VfL Gummersbach. Nun droht dem Verein der Abstieg.
    Ein Bild aus besseren Zeiten: Vier Jahre spielte der Augsburger Frank Löhr für den VfL Gummersbach. Nun droht dem Verein der Abstieg. Foto: Imago Sportfotodienst

    Dass Tradition alleine keine Spiele gewinnt, hat kaum ein Verein so schmerzhaft erfahren müssen wie der Hamburger SV. Nach 55 Jahren in der Fußball-Bundesliga war im vergangenen Jahr Schluss. Nun bahnt sich im Handball ein ähnliches, nicht minder historisches Debakel an: Der VfL Gummersbach, zwölfmal Deutscher Meister, fünfmal Pokalsieger, elfmal Europapokalsieger und lange Zeit so etwas wie das Bayern München des Handballs, taumelt nach 55 Jahren in der Bundesliga dem Abstieg entgegen.

    Der ehemalige Nationalspieler Frank Löhr, selbst vier Jahre in Diensten des VfL, mag sich vor dem letzten Spieltag der Saison am Sonntag noch gar nicht ausmalen, was das bedeuten würde. "Eine Bundesliga ohne Gummersbach", sagt er, "kann ich mir nur schwer vorstellen."

    Schon 1993 war das Geld in Gummersbach knapp. Damals war aber etwas anders

    Löhr sitzt in einem Augsburger Café und erinnert sich, wie er 1993 ins Bergische Land kam. Schon damals war das Geld knapp, schon damals war der Kader bis auf ihn, den gebürtigen Augsburger, und den jungen Stefan Kretzschmar ein Kader der Namenlosen, schon damals standen in der Tabelle meistens mehr Vereine vor Gummersbach als dahinter. Trotzdem konnte sich der gute, alte VfL bis heute seinen Mythos als Heimat des deutschen Hallenhandballs bewahren – er ist der einzige Verein, der seit dem ersten Spieltag 1966 in der Bundesliga dabei ist. Der Verein von Hansi Schmidt, Heiner Brand, Joachim Deckarm und Erhard Wunderlich.

    Am Sonntag steht in Bietigheim ein Finale um den Klassenerhalt an

    Umso prekärer, sagt der ehemalige Mannschaftskapitän Löhr, sei die Situation jetzt. Vor dem entscheidenden Spiel am Sonntag in Bietigheim trennen die letzten drei Teams in der Tabelle nur ein Punkt und das Torverhältnis: Gummersbach, Bietigheim, Ludwigshafen. Zwei Vereine aus diesem Trio müssen gehen, einer bleibt – und alles ist möglich. Selbst bei einem Unentschieden könnte der VfL, der in dieser Saison auswärts nur zwei magere Punkte geholt hat, noch absteigen – wenn Konkurrent Ludwigshafen gleichzeitig gegen Minden gewinnt.

    Vereinsikone Brand, Weltmeister als Spieler wie als Trainer und seit 60 Jahren Mitglied des VfL, wird nicht mit nach Bietigheim fahren. Die nervliche Belastung, sagt er, sei ihm zu groß. Teilweise schlafe er schon schlecht: "Ich mache mir große Sorgen." Brand hat nie für einen anderen Klub gespielt, Gummersbach auch zweimal trainiert und den sportlichen Absturz früh kommen sehen. "Ich habe immer darauf gedrängt, junge Leute zu holen und sie auszubilden," sagt Brand. Leider aber seien auch die jungen Leute mittlerweile sehr teuer geworden. Vier aktuelle Nationalspieler – Paul Drux, Patrick Wienczek, Julius Kühn und Simon Ernst – stammen aus dem Gummersbacher Talentschuppen. Alle vier aber spielen seit Jahren bei Vereinen, die besser bezahlen und ihnen auch sportlich bessere Perspektiven bieten.

    Der Ex-Gummersbacher Frank Löhr drückt in Augsburg die Daumen für seinen Ex-Klub.
    Der Ex-Gummersbacher Frank Löhr drückt in Augsburg die Daumen für seinen Ex-Klub. Foto: Ulrich Wagner

    Frank Löhr, zeitweise Brands Co-Trainer bei der Nationalmannschaft, sieht hier den entscheidenden Unterschied zum Fußball. Ein Fußballverein, der Talente ausbilde und sie dann weiterverkaufe, könne sich mit den Ablösesummen für die jungen Spieler wieder verstärken und gut über Wasser halten. Im Handball mit seinen deutlich bescheideneren Möglichkeiten funktioniert das nicht, schon gar nicht bei einem notorisch klammen Verein wie dem VfL Gummersbach, der dem Abstieg bereits in den vergangenen beiden Jahren nur knapp entgangen ist. So eng wie diesmal allerdings war es noch nie.

    Vor einem Jahr baute Jörg Löhr die Spieler noch auf

    Vor einem Jahr baute Löhrs Bruder Jörg, auch er ein ehemaliger Nationalspieler und heute ein bekannter Motivationstrainer, die Spieler vor dem entscheidenden Match noch einmal auf. Diesmal müssen sie sich selbst helfen. Ausgang ungewiss. Bruder Frank hofft auf ein Happy-End, er weiß aber auch: "Die Mannschaft ist nicht so stark und die meisten Spieler haben wenig Erfahrung mit solchen Situationen."

    Blockiert der Druck sie womöglich mehr als er sie beflügelt? In den vergangenen Spielen, zuletzt gegen Göppingen, fügten sich technische Fehler, Fehlpässe und eine Abwehr mit scheunentorgroßen Lücken beim VfL jedenfalls zu einem Bild, das auch den notorischen Handball-Optimisten zu denken geben muss. Auch der langjährige Nationaltorhüter Carsten Lichtlein, der bekannteste und routinierteste Spieler im Team, hat schon bessere Spielzeiten erlebt. Nach Saisonende wechselt der 38-jährige zum Ligakonkurrenten Erlangen.

    Sollte Gummersbach tatsächlich absteigen, hat Geschäftsführer Christoph Schindler zumindest den ganz tiefen Fall verhindert – den in Liga drei. Bis vor wenigen Tagen hatte der VfL wegen einer Finanzierungslücke in fünfstelliger Höhe noch nicht einmal eine Lizenz für die 2. Liga. Die, immerhin, ist jetzt da – sehr zum Nachteil eines anderen Traditionsvereins. Den TV Großwallstadt hätte nur ein Lizenzentzug für Gummersbach gerettet. Nun steigt er in die dritte Liga ab.

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