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US Open: Der schleichende Zerfall des Alexander Zverev

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Der schleichende Zerfall des Alexander Zverev

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    Alexander Zverev: Der Deutsche kämpft mehr mit sich selbst als mit seinem Gegner.
    Alexander Zverev: Der Deutsche kämpft mehr mit sich selbst als mit seinem Gegner. Foto: Javier Rojas/Pi/Prensa Internacional via ZUMA, dpa

    Es war im fünften Spiel des ersten Satzes, als schon klar wurde, dass es ein sehr schwieriger Tag für Alexander Zverev werden würde. Nicht mit Diego Schwartzmann, seinem Gegner. Sondern mit sich selbst. Mit

    Zverev blickte entgeistert in die Weiten des Arthur Ashe Stadiums, die Menge raunte, einige Zuschauer lachten. Dann schüttelte Zverev den Kopf. Er wusste: Sein ärgster Gegner, das Zittern, Zögern und Zaudern beim Service, war wieder da, wie ein Stalker, der sein Opfer kurzzeitig in Ruhe gelassen hatte, um nun wieder frech an dessen Seite zurück zu sein. Und ihm alle Hoffnungen zunichte zu machen.

    Zverev gewann zwar noch den ersten Achtelfinal-Satz gegen den kleinen argentinischen Flitzer Schwartzmann, aber danach setzte ein schleichender Zerfall ein – mit einem Zverev, der keinen Plan und keinen Weg fand, das Unheil zu stoppen. Es war schließlich ein Akt der Selbstdemontage, der den ATP-Weltmeister aus dem letzten Grand-Slam-Turnier der Saison katapultierte: Bei der 6:3, 2:6, 4:6, 3:6-Niederlage schlug er sich eigenhändig aus dem Rennen, Schwartzmann musste über weite Strecken nur solide Handwerkskunst bieten und den Ball im Spiel halten – den Rest erledigte Zverev selbst, mit 17 Doppelfehlern und 65 unerzwungenen Irrtümern unterm geschlossenen Hallendach.

    Boris Becker: Alexander Zverev "hat sich nicht weiterentwickelt"

    Und auf einmal, nach ein paar sonnigen Tagen und drei schwer erkämpften Auftaktsiegen im Big Apple, lagen bei dem deutschen Frontmann wieder alle Fragen und Schwierigkeiten auf dem Tisch: Wo war seine stärkste Waffe, der Aufschlag, geblieben, als es zählte bei diesem Major-Turnier? Wo hatte sich die aggressive, zupackende Spielweise Zverevs versteckt, die ihn zu den wichtigsten Siegen seiner bisherigen Karriere getragen hatte, auch zum Titel beim Saisonfinale 2018 in London? Wie sinnvoll war das Familienmodell in der Trainerfrage, mit Papa Alexander als Chefcoach und Bruder Mischa dazu als assistierendem Berater?

    Nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den Schiedsrichterentscheidungen haderte Alexander Zverev im Achtelfinale der US Open.
    Nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den Schiedsrichterentscheidungen haderte Alexander Zverev im Achtelfinale der US Open. Foto: Witters

    Boris Becker, der alte Meister, traf in jedem Fall eine niederschmetternde Einschätzung nach diesem hilflosen Auftritt von Zverev: "Er hat sich in den letzten 18 Monaten nicht weiterentwickelt." Und auch dies gab Becker zu Protokoll: "Es ist die Frage, ob bei Zverev nicht ein bisschen zu viel Familie im Spiel ist. Sascha muss sich überlegen, ob er da nicht Abstand braucht." An seinem Team werde sich "nichts ändern", sagte Zverev, noch unter dem Eindruck der Pleite, mit Trotz in der Stimme. Die Fehler lägen bei ihm selbst.

    Ob diese Einschätzung allerdings auch mit etwas Abstand zu dem unnötigen Achtelfinal-Knockout gilt, bleibt abzuwarten. Eins jedenfalls ist klar: Die Spekulationen, dass Becker bei Zverev einsteigen könnte, machen keinen Sinn, wenn die Teamaufstellung so bleibt, wie sie jetzt ist. Becker will schließlich nicht so enden wie sein langjähriger Weggefährte und Rivale Lendl, der im internen Machtkampf mit Vater Zverev nur auf Platz zwei landete. Zverev junior müsste sich wohl vom Prinzip Family first, Familie zuerst, verabschieden, bevor einer wie Becker ins Spiel käme. Doch wie es scheint, ist Zverev dazu noch nicht bereit.

    Ist Zverev gewillt, sich eine ehrliche Meinung anzuhören?

    Ob man das Noch betonen muss – auch das ist offen. Denn unklar ist auch, welchen Einfluss das neue Management um Tony Godsick auf diese Thematik hat, ob Zverev gewillt ist, sich von seinem Agenten eine ehrliche Meinung anzuhören. Den unterm Strich hatte diese Saison eine Rotfärbung, zeigte einen Rückschritt auf, geradezu buchstäblich. Gegenwärtig schien auch ein Platz beim Saisonfinale in London und damit die Chance auf eine Titelverteidigung illusorisch.

    Beim Blick auf Federer, Djokovic und Nadal müsste Zverev auffallen, dass sie im Verlauf ihrer Karriere immer wieder harte, auch schmerzliche Personalentscheidungen gefällt haben. Das Berufsleben im Wanderzirkus ist ein steter Prozess, Neujustierungen sind zwingend erforderlich. Die Alphatiere haben sich regelmäßig neu erfunden, ihre Spielweise, ihre Taktik den Erfordernissen angepasst. Federer, so etwas wie ein heimlicher Mentor Zverevs, ist das beste Beispiel dafür. Als er so alt war wie Zverev nun, stand er kurz vor seinem ersten Grand-Slam-Coup. Dass er heute, mit fast vierzig, immer noch große, ganz große Titel gewinnen kann, verdankt er auch der pausenlosen Veränderung. Der Tatsache, dass er im Hier und Jetzt ein anderer Spieler ist. Für Zverev kann es nur heißen: Von den Großen lernen heißt Siegen lernen.

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