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Tour de France: Allgäuer bei der Tour: Es gibt kein besseres Gefühl

Tour de France

Allgäuer bei der Tour: Es gibt kein besseres Gefühl

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    Dominik Nerz startet 2015 bei der Tour de France.
    Dominik Nerz startet 2015 bei der Tour de France. Foto: Javier Lizon (dpa)

    Zwischen 30.000 und 40.000 Kilometer fährt Dominik Nerz pro Jahr – mit dem Rad. Da wirkt die 3360 Kilometer lange Tour de France fast schon harmlos. Ist sie aber nicht. Ganz im Gegenteil. Für die Fahrer bedeutet die Tour drei Wochen Quälerei. Nerz tut sich die Tortur zum zweiten Mal an. Diesmal als Kapitän des deutschen Teams Bora-Argon 18, das mit einer Wildcard startet.

    Wie läuft die Vorbereitung auf die Tour de France?

    Nerz: Nach einem Sturz geht’s mir eigentlich schon wieder ganz gut. Ich muss das Knie und die Schulter noch ein bisschen schonen. Aber das wird mich bei der Tour nicht beeinträchtigen.

    Kann man sich auf eine dreiwöchige Quälerei freuen?

    Nerz: Sicher. Es ist natürlich eine Quälerei, aber das gilt eigentlich für jedes Rennen. Wir sind an die Strapazen gewöhnt, wobei einem eine dreiwöchige Rundfahrt schon noch einiges mehr abverlangt.

    2012 sind Sie erstmals die Tour gefahren. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie daran zurückdenken?

    Nerz: Eigentlich meine vier Stürze.

    Keine besonders guten Erinnerungen ...

    Nerz: Nein, im ersten Moment nicht. Das ist aber leider das, was mir schon sehr in Erinnerung geblieben ist. Auf der anderen Seite war es in dem Jahr aber eine super erfolgreiche Tour für unser Team Liquigas-Cannondale mit dem Sieg von Peter Sagan in der Sprintwertung und Vincenzo Nibali auf Platz drei in der Gesamtwertung. Außerdem ist es sehr beeindruckend, wenn man das erste Mal in Paris einfährt. Das werde ich nie vergessen. Letztes Jahr konnte ich es mir ja nur im Fernsehen anschauen, aber selbst da hatte ich eine Gänsehaut. Wenn man tatsächlich selbst fährt, ist es noch um einiges krasser. Ich glaube, das ist das, worauf alle Fahrer hinarbeiten. Da gibt es kein besseres Gefühl.

    Ist es richtig, dass die Fahrer auf dem Weg nach Paris teilweise über 10.000 Kalorien am Tag verbrauchen?

    Nerz: Das stimmt schon. Es kommt aber ganz auf die Etappe und die Witterungsbedingungen an. Teilweise kommt man da schon auf extreme Zahlen.

    Nehmen Sie in den drei Wochen der Tour auch an Körpergewicht ab?

    Nerz: Ja. Es ist natürlich das Ziel, nicht zu viel zu verlieren. Aber es ist nahezu unmöglich, da nicht abzunehmen. Man sitzt fünf bis sechs Stunden pro Tag auf dem Rad. Daneben versucht man natürlich so lange wie möglich zu schlafen, um zu regenerieren. Das begrenzt die Zeit, in der man Nahrung zu sich nehmen kann. Da wird es irgendwann schwierig, so viel reinzubekommen, wie man am Tag raushaut.

    Da kommt dann das berühmte Nudelfrühstück ins Spiel ...

    Nerz: (lacht) Mittlerweile sind wir auch im Radsport ein bisschen fortgeschritten. Wir haben unseren eigenen Food-Truck mit unserer Köchin dabei. Da ist man jetzt nicht unbedingt nur auf Nudeln angewiesen. Es gibt gute Alternativen, die etwas angenehmer sind.

    Ihr Team-Manager Ralph Denk hat Sie als besten deutschen Rundfahrer bezeichnet und gesagt, es könne in Richtung Podium gehen. Was haben Sie sich selbst vorgenommen?

    Nerz: Also Richtung Podium könnte vielleicht in ein paar Jahren möglich sein. Ich bin zwar guten Mutes, dass ich eine sehr gute Leistung zeigen kann. Aber ich weiß auch, dass du zu einer Drei-Wochen-Rundfahrt in noch so guter Form anreisen kannst und durch einen Sturz oder sonst irgendwas relativ schnell wieder draußen bist. Du brauchst auch Glück.

    Erstmals bestreiten Sie heuer eine komplette Saison als Kapitän eines Teams. Was bedeutet das für Sie?

    Nerz: Es ist Neuland, nicht als Helfer aufzutreten, sondern als Kapitän. Das ist eine Riesen-Ehre und Ansporn, aber auf der anderen Seite ein immenser Druck, der da auf einem lastet. Ich muss in diese Rolle noch ein bisschen reinfinden. Aber wenn alles glatt geht, kann ich auf jeden Fall ähnliche Resultate erzielen wie bei der Vuelta (2013: 14., 2014: 18.; Anm. d. Red.).

    Erklären Sie kurz, was sich ganz konkret geändert hat, seitdem Sie Kapitän sind. Vermutlich müssen Sie Ihre Trinkflaschen nicht mehr selbst am Versorgungsfahrzeug abholen ...

    Nerz: Das stimmt, ich muss keine Wasserflaschen mehr holen. Meine Aufgabe besteht darin, über das ganze Rennen so viel Energie wie möglich zu sparen, um dann im Finale alles raushauen zu können. Es ist auf jeden Fall ein anderes Fahren, und ich habe gemerkt, dass ich da noch einiges lernen muss. Teilweise fahre ich doch noch etwas unökonomisch, wobei ich das in den letzten Rennen schon sehr verbessert habe. Außerdem habe ich extremes Vertrauen in mein Team. Die Jungs sind superstark und ich fühle mich sicher. Für einen wie mich, der sich eher in den Bergen wohl fühlt, ist das gerade auf den ersten Etappen der Tour wichtig, denn die sind sehr flach.

    Geben Sie auch die Renntaktik vor?

    Nerz: Die Tagesetappe wird mit dem Sportlichen Leiter besprochen und eine Art Grundgerüst festgelegt. Unterwegs muss man dann situationsbezogen kleine Änderungen in der Taktik vornehmen.

    Zuletzt war die ARD wegen der Flut an Dopingfällen aus der Live-Übertragung der Tour ausgestiegen. Jetzt wird es im Ersten wieder Live-Bilder geben. Neue deutsche Fahrer feierten Erfolge, es herrscht Aufbruchstimmung im deutschen Radsport. Empfinden Sie das auch so?

    Nerz: Ja, das kann man sicher sagen. Der Wiedereinstieg der ARD ist ein klares Zeichen, dass das mediale Interesse wieder steigt – was uns Fahrer natürlich sehr freut. Es ist einfach nicht schön, wenn die Deutschen jede Menge Etappen bei der Tour gewinnen und es wird nichts berichtet. Wenn man sieht, welchen Stellenwert der Radsport in anderen Ländern hat, ist es natürlich traurig, wenn man auf Deutschland schaut.

    Der Radsport war auch hierzulande populär, dann aber gab es zahlreiche Dopingskandale. Der Weg aus diesem Tief heraus scheint mühsam...

    Nerz: Natürlich. Ich verüble es auch niemandem, wenn er sagt, dem Radsport kann man nicht trauen. Denn wenn man nicht nah am Geschehen dran ist, bekommt man in Deutschland eben nur die Negativnachrichten. Es berichtet kein Mensch über die Etappensiege von Marcel Kittel oder Tony Martin. Wenn aber ein Drittligist irgendwo im Ausland des Dopings überführt wird, dann haben wir gleich fünf Schlagzeilen.

    Aber was hat sich im Radsport geändert, dass es jetzt wieder aufwärtsgehen kann?

    Nerz: Es hat ein allgemeines Umdenken stattgefunden. Und es gab einen Generationenwechsel. Viele von den älteren Fahrern sind im Ruhestand und extrem viele junge Fahrer sind nachgekommen. Die sind in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen. Die Teams haben gemerkt, sie müssen etwas ändern. Da spielt vieles zusammen. Alle Beteiligten haben gemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte – ansonsten wäre der Radsport ausgestorben.

    Sie haben die neue Generation deutscher Fahrer angesprochen. Darunter sind Top-Sprinter, Top-Zeitfahrer und Spezialisten für die Klasssiker. Nur ein starker Mann für die großen Rundfahrten fehlt. Mancher Experte sieht Sie als den geeigneten Kandidaten, diese Lücke zu füllen. Was halten Sie von diesen Prognosen?

    Nerz: Das ist so eine Sache, die mir in den Mund gelegt wird. Die Leute sehen anhand meiner Ergebnisse bei der Vuelta und anderen Rundfahrten mein Potenzial. Ich denke natürlich auch, dass ich das Potenzial dafür habe, ein guter Rundfahrer zu sein. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich sicherlich noch ein, zwei Jahre brauchen werde. Ich werde dieses und nächstes Jahr bei Bora-Argon 18 alles daransetzen, ein guter Rundfahrer werden. Dann muss man sehen, ob das der richtige Weg für mich ist. Denn im Vergleich zu Sprintern oder Klassiker-Fahrern ist ein Rundfahrer schon noch mal eine andere Hausnummer. Du musst über drei Wochen jeden Tag top sein und darfst dir keinen Fehler erlauben.

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