Vor Kurzem war Philipp Kohlschreiber beim Friseur. Und als er dem erzählte, er werde in Kürze zu den Olympischen Spielen reisen, war der Mann an der Schere angemessen begeistert. Olympia hat eine gigantische Strahlkraft. Diese reicht auch in Sportarten hinein, die ansonsten vor allem um sich selbst kreisen. Fußball im Besonderen, aber eben auch Tennis. Dort sind die vier Grand-Slam-Turniere das Maß der Dinge. Den Profis geht es darum, Punkte für die Weltrangliste zu ergattern. Je höher die Positionierung dort, desto ertragreicher sind die Turniere, bei denen die Profis automatisch im Hauptfeld stehen. Bei Olympischen Sommerspielen gibt es keine Punkte zu holen. Trotzdem sind viele Stars der Szene in Tokio am Start.
Für Kohlschreiber war früh klar, dass er in Tokio dabei sein will
Für den Augsburger Kohlschreiber war schon früh klar, dass er auf jeden Fall dabei sein wolle, wenn er die Möglichkeit dazu bekommen sollte. Seitdem feststeht, dass er zum neunköpfigen Team gehört, ist die Vorfreude groß. „Rio 2016 hat mir riesigen Spaß gemacht“, erinnert sich Kohlschreiber. Damals musste er allerdings wegen einer Verletzung nach der ersten Runde aussteigen.
Andere Sportler zu treffen, sich über die verschiedenen Sportarten auszutauschen, das gesamte Flair – „so etwas gibt es nur bei Olympia. Dieses Jahr wird dieses Superfeeling wohl eher nicht entstehen, weil alles sehr streng ablaufen wird. Trotzdem glaube ich, dass es was ganz Besonderes ist, wenn man da mit seinem Deutschland-Anzug rumläuft. Da gibt es einfach ein Wirgefühl. Wir wollen uns alle selbst etwas beweisen, aber auch den Fans und wir wollen unser Land gut vertreten. Das ist schon toll.“
Roger Federer musste wegen Knieproblemen für Tokio absagen
Insgesamt neun Spielerinnen und Spieler hat der DOSB für Tokio nominiert. Neben Kohlschreiber bilden Dominik Koepfer, Kevin Krawietz, Tim Pütz, Jan-Lennard Struff, Alexander Zverev, Anna-Lena Friedsam, Angelique Kerber und Laura Siegemund das deutsche Tennis-Team.
Von den internationalen Top-Leuten, auf die Kohlschreiber treffen könnte, hatten Rafael Nadal und Dominic Thiem schon früh abgesagt. Letzterer ist nun ohnehin verletzt. Nun wird mit Roger Federer auch der prominenteste Spieler fehlen. Dem Schweizer macht sein operiertes Knie zu schaffen (siehe dazu auch nebenstehenden Artikel). Für das olympische Tennisturnier abgemeldet haben sich auch Serena Williams, Simona Halep, Bianca Andreescu und Nick Kyrgios.
Nowak Djokovic ist auf dem Weg zu einer perfekten Saison
Dabei sein wird dafür Nowak Djokovic, der frischgebackene Wimbledon-Sieger auf dem Weg zu einer perfekten Saison. Drei Grand-Slams hat er schon gewonnen, fehlen nur noch die US Open. Der Reiz, vorher auch Olympia-Gold zu gewinnen, ist aber groß. Doch außer Medaillen gibt es in Tokio eben eher wenig zu holen. „Manche wollen sich deshalb die Strapazen nicht antun. Für uns ist ja danach nicht Schluss“, sagt Kohlschreiber. Ganz im Gegenteil, es folgt besagter US-Open-Swing. „Wir fliegen erst nach Osten zu den Sommerspielen und dann wieder zurück in den Westen mit den dazugehörigen Zeitunterschieden und Strapazen. Das ist schon hart.“
Der Olympia-Zeitplan für Tokio
Termin Die Olympischen Sommerspiele finden offiziell vom 23. Juli bis 8. August in Tokio statt. Zentrum der Spiele ist das Olympiastadion, das für 1,3 Milliarden Euro von Stararchitekt Kengo Kuma entworfen wurde.
Wettkämpfe In 33 Sportarten werden 339 Wettkämpfe in 51 Disziplinen ausgetragen. Die ersten finden schon zwei Tage vor der offiziellen Eröffnungsfeier statt: Fuß- und Softballspiele werden bereits am 21. Juli ausgetragen.
TV Im Fernsehen laufen die Spiele kostenlos bei Eurosport, ARD und ZDF haben ebenfalls Lizenzen. (AZ)
Kohlschreiber habe aber für sich entschieden, trotzdem in Tokio zu spielen. „Auch, weil wir eine lustige Truppe beisammen haben. Wir haben schon einen Deutschland-Chat eröffnet. Das sind so Kleinigkeiten und ist fast ein bisschen wie beim Daviscup, wenn man zusammen für eine Sache kämpft. Das schweißt zusammen und motiviert extrem.“ Zwar werde er nichts davon haben, wenn ein anderer aus dem deutschen Team eine Medaille gewinnt. „Aber trotzdem ist es dann ein anderes Gefühl. Wenn du den Deutschland-Adler auf der Brust tragen darfst – dafür hast du viele Jahre trainiert. In anderen Sportarten ist der Stellenwert ja noch viel höher. Das gibt mir schon das Verständnis, dass Olympia cool ist.“
Philipp Kohlschreiber hängt im Niemandsland der Weltrangliste fest
Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Augsburger dort eine gute Rolle spielen kann. Nach einem holprigen Start in die Saison hat er sich zuletzt deutlich gesteigert. „Spielerisch und von den Ergebnissen her war das wieder auf gutem Wettkampfniveau.“ In Wimbledon war zwar in der ersten Runde Schluss für Kohlschreiber. Er lieferte dabei aber dem Kanadier Denis Shapovalov einen großen Kampf über fünf Sätze. Besagter Shapovalov scheiterte später erst im Halbfinale an Djokovic.
Trotz guter Leistungen hängt Kohlschreiber momentan im Niemandsland der Weltrangliste fest. Auf Platz 115 sei man zu schlecht positioniert, „um bei den großen Turnieren im Hauptfeld zu stehen. Ich fühle mich aber zu gut als Spieler, um jetzt Quali oder Challenger zu spielen.“ Angesichts dieser Situation sei es schon schmerzhaft, dass er die Turniere in Gstaad und Kitzbühel nicht spielen könne, weil die während der Olympischen Sommerspiele stattfinden. „Aber ganz ehrlich: Ich werde in drei Jahren nicht noch mal die Chance auf Olympia haben. Das wäre schon ein kleines Wunder. Deshalb hat Tokio für mich jetzt einfach Vorrang.“