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Tennis: Das Drama um Boris Becker: Warum der Mann nicht anders kann

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Das Drama um Boris Becker: Warum der Mann nicht anders kann

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    Es ist auch weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges enorm schwer, Boris Becker zu fassen.
    Es ist auch weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges enorm schwer, Boris Becker zu fassen. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Es ist schon eine kleine Ewigkeit her, als Boris Becker an einem schönen Frühlingsabend in Monte Carlo eine leicht kuriose Bilanz der Scheidungsschlacht mit seiner ersten Frau Barbara zog. Becker stand damals mit dem früheren Tennis-Bundestrainer Klaus Hofsäss in der Nobelherberge „Hotel de Paris“ zusammen, es ging um die dauernden Schlagzeilen in der Öffentlichkeit. Aber Becker schien nicht wirklich böse drum, schnell machte er seine ganz eigene Rechnung auf: „Die Bild-Zeitung hatte mich 48 Mal auf der Titelseite – sensationell, oder?“ Und dann fügte er noch hinzu, nicht ohne Stolz in der Stimme: „Denen hab’ ich die Auflage in die Höhe geschossen.“

    Als Becker weggegangen war, wirkte Hofsäss für ein paar Augenblicke angemessen ratlos, folgerte aber dann: „Er ist eben anders als der Rest der Menschheit. Vielleicht muss das auch so sein bei jemandem mit seiner Biografie“, so Hofsäss. „Boris ist halt immer gerne im Gespräch.“

    Viele Jahre später steckt Boris Becker wieder in einer privaten Trennungsgeschichte drin, nun mit der zweiten Gemahlin Lilly. An öffentlicher Anteilnahme ist auch jetzt kein Mangel, auch nicht an manchen ungebetenen Ratschlägen oder schalen Witzchen wie beispielsweise von Möchtegern-Comedian Oliver Pocher.

    Becker ist immer noch und immer wieder ein Thema, ein beträchtlich großes Thema sogar. Aber ob man ihm in diesen ereignisschweren Zeiten gleich eine Spiegel-Titelgeschichte widmen muss, ist dann doch noch einmal eine andere Frage. „Finale“ übrigens ist diese Story überschrieben, und dazu findet sich die Zeile „Das Drama um Boris Becker“.

    Drama ist allerdings kein besonderer Zustand bei Becker. Schon gar kein Ausnahmezustand. Sondern eher der Normalfall. Beckers Leben ist ein einziges Drama gewesen und geblieben. Das hat seine Faszination als Spielertyp in seinem Sport ausgemacht, aber in späteren Jahren, in den Jahren nach der Profikarriere, hat es auch viele Menschen genervt und überfordert.

    Becker – das bedeutete gelegentlichen Nachrichten-Overkill. Es schien, als sei der frühere Heros irgendwie noch immer pausenlos auf dem Centre Court unterwegs, aber manche hätten ihn eben auch gerne mal auf einem Nebenplatz gesehen – ohne Dauerausleuchtung und -beschallung.

    Boris Becker ist ständig auf der Flucht davor, nur irgendwie greifbar zu sein

    Es ist auch jetzt, weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges, enorm schwer, diesen Menschen zu fassen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass er ständig auf der Flucht vor Festlegungen war, auf der Flucht davor, nur irgendwie greifbar zu sein für die Öffentlichkeit, aber auch die eigenen getreuen Parteigänger.

    Wer ihn über seine Zeit im Tennis und die Zeit nach dem Trennung von Ehefrau Lilly ausgebreitet werden – aktuell auch vor Gericht – und der sich, wie er am Rande eines Termins in Berlin soeben kokett sagte, nun „wieder auf dem Markt“ befindet.

    Sie gehen getrennte Wege: Boris Becker und seine Noch-Ehefrau Lillystecken mitten im Scheidungskrieg.
    Sie gehen getrennte Wege: Boris Becker und seine Noch-Ehefrau Lillystecken mitten im Scheidungskrieg. Foto: Ursula Düren, dpa

    Aber wenn man das alles einer Seite seines Lebens zuordnet, der schwierigeren Seite, dann gibt es eben auch noch eine ganz andere, eben erfolgreiche Seite. Als TV-Experte etwa oder als Leitfigur des Deutschen Tennis-Bundes. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist, wie sich Becker präsentiert, wenn er für Sponsoren und Geschäftspartner oder als Stargast auf roten Teppichen auftritt. Nämlich so, als gäbe es keine Schwierigkeiten in seinem Leben, als könnten ihm gewisse Schicksalsschläge wenig bis gar nichts anhaben.

    Wüsste man nicht um Insolvenzverfahren oder Scheidungsprozess, würde man ihm nichts davon anmerken oder ansehen. Spielt Becker dabei eine Rolle, spielt Becker den Coolen, den Abgebrühten? Ist sein Lächeln da nur Fassade?

    Er ist noch immer einer der berühmtesten Deutschen

    Wer weiß das schon ganz genau. Richtig jedenfalls ist: Becker hat schon so viele Höhen erklommen und Abstürze erlebt, dass auch eine gewisse Abstumpfung unverkennbar ist. Wie gesagt: Der von außen diagnostizierte Ausnahmezustand ist für ihn selbst, für einen der immer noch berühmtesten Deutschen in der Welt, alles andere als ein Ausnahmezustand.

    Beckers turbulentes, grelles Dasein – oft hatte man das Gefühl, dass an einem Tag so viel passiert wie bei anderen in einem Jahr. Oder überhaupt. Allein die letzten zwei, drei Jahre. Da war er ja auch der gefeierte Cheftrainer des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. Dann der einhellig gelobte Tenniserklärer beim Sender Eurosport. Dann auf einmal der Mann, der in balkendicken Überschriften als „Pleitier“ aufschien, mit nicht weniger als vermeintlich 60 Millionen Miesen. Dann im nächsten Moment schon wieder der neue Abteilungsleiter im deutschen Herrentennis. Dann auch der sorgenvoll betrachtete Patient Becker, dessen körperliche Probleme – ob nun mit künstlichen Hüft- oder Sprunggelenken – Traurigkeit und Mitleid auslösten. Und schließlich der Familienvater Becker, der um den Erhalt seiner zweiten Ehe kämpfte und daran scheiterte.

    In fast all diesen Lebensumständen hat man ihn übrigens auch voriges Jahr gesehen, als zu seinem 50. Geburtstag eine ausführliche, höchst beachtliche Dokumentation in der ARD lief – mit dem treffenden Titel „Der Spieler“. Treffend deshalb, weil Becker so vieles in seinen mittlerweile 51 Lebensjahren als Spiel, als großes Spiel gesehen hat. Nicht natürlich seine ureigensten privaten Lebensangelegenheiten, aber fast alles drumherum.

    Einen Gang runterschalten – das hatte sich Becker rund um seinen runden Geburtstag auch vorgenommen. Auch das war letztlich eine spielerische, unernste Behauptung. Er wusste und weiß, dass es nicht möglich ist. Becker kann gar nicht anders, als Aufmerksamkeit zu generieren. Aufmerksamkeit ist die Luft, die er atmet. Aufmerksamkeit ist seine Währung. Die Währung des Mannes, der als 17-jähriger Teenager ins Licht der Weltöffentlichkeit geschleudert wurde und für sich irgendwann beschloss, auch nicht aus diesem Licht zu verschwinden.

    Typisch Becker: der Hecht am Netz. Eine Szene aus seinem Sensationssieg in Wimbledon im Jahr 1985.
    Typisch Becker: der Hecht am Netz. Eine Szene aus seinem Sensationssieg in Wimbledon im Jahr 1985. Foto: Rüdiger Schrader, dpa

    Becker hat einmal gesagt: Ich bin anders als Steffi Graf

    Anders als seine langjährige Weggefährtin Steffi Graf, die in Las Vegas ein Leben ohne Aufregungen und Aufgeregtheiten lebt, als Ehefrau und Mutter. Becker hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein Leben wie das von Graf nicht leben könnte: „Ich bin anders. Ich war schon immer anders als sie.“

    Man würde Becker allerdings nicht gerecht, wenn man unerwähnt ließe, dass er sich schon länger nicht mehr in jede beliebige Diskussion öffentlich einschaltet. Old Twitterhand hatte man ihn vor einiger Zeit noch genannt, als er sich in den virtuellen Welten kreuz und quer zu brisanten Themen in wenigen scharfen Worten äußerte – mit dann tausendfachen, wenig schmeichelhaften Returns.

    Die neue Zurückhaltung mag auch den Problemen geschuldet sein, denen er sich in letzter Zeit gegenübersah. Denn wie stünde es um ihn, wenn er in 280 Twitterzeichen auch noch permanent über die gerichtlichen Angelegenheiten Stellung nähme. So gibt es auch zunächst Becker-freie, nachrichtenstille Tage, die später erst recht aller Ehren wert sind.

    Kürzlich zum Beispiel, da war Becker für ein paar Tage zu Gast in der Tennis Base in Hannover, einem der nationalen Leistungszentren. Man erfuhr erst im nachhinein von diesem Termin, es gab kein großes Presse-Brimborium. Becker sollte in aller Ruhe und Abgeschiedenheit mit den besten deutschen Junioren trainieren und arbeiten.

    Wie er das tat, war später in beeindruckenden Filmsequenzen zu sehen. „Ich erzähle ihnen, wie Tennis heute gespielt und gewonnen wird“, sagte Becker in einem aufgezeichneten Interview dazu. Und: „Die Jugendlichen hören genau hin. Da ist eine Menge Respekt, den ich aber auch beweisen muss.“

    Das war auf den Punkt gesagt, und er hatte damit so recht wie mit einer anderen wesentlichen Einschätzung: „Ich rate heute keinem Kind, mit 16 die Schule abzubrechen. Ich würde da niemandem Druck machen.“

    Becker weiß ja, dass es eine neue Zeit ist. Bei ihm war alles anders. Er hörte früh mit der Schule auf, er setzte alles auf eine Karte, wurde Wimbledonsieger mit 17. Er hatte und machte sich immer den größten Druck. Er war immer öffentlich da, nie richtig weg. Bis heute.

    Wie Becker kann und wird niemand mehr sein im Tennis. Und auch sonst.

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