Für seine Fans im Internet hat er sich am Donnerstagmittag extra noch einmal filmen lassen. Ein Schwenk von der im Sonnenlicht glänzenden Oberstdorfer Schattenbergschanze rüber zu seinem Auto. Da steht Richard Freitag, Schnauzbart der Nation und Deutschlands derzeitiger Vorzeige-Skispringer, und sagt ein paar einstudierte Sätze auf, um seine Fangemeinde über die Feiertage bei Laune zu halten: „So Jungs“, legt er los, obwohl er doch inzwischen genauso viele weibliche Anhänger hat, und fährt im Wörterstakkato fort: „Letzte Trainingseinheit absolviert. Jetzt geht’s ab nach Hause. Frohes Fest. Wir sehen uns zur Tournee.“ Rumms, fällt die Tür ins Schloss – und weg ist er.
Ob der 26-Jährige irgendwann auf der sechsstündigen Heimfahrt ins Erzgebirge die Weihnachtsschnulze „Driving Home for Christmas“ von Chris Rea gehört hat, ist nicht überliefert. Aber es würde zum Typ Freitag passen. Auf die Frage, was er denn seit seinem Umzug im Sommer vom sächsischen Breitenbrunn nahe der tschechischen Grenze in die südlichste Gemeinde Deutschlands nach Oberstdorf am meisten vermisse, hat Freitag so kurz vor Weihnachten eine schnelle Antwort parat: „Die Schwibbögen in den Fenstern. Dass alles beleuchtet ist. Das ist schon eine erzgebirgische Tradition.“ Deshalb fahre er über Weihnachten auch in seine 540 Kilometer entfernte Heimat.“ Freitag schiebt aber noch einen Satz hinterher, der ihm wichtig ist: „Aber ansonsten fehlt es mir an nichts in Oberstdorf.“
Oberstdorf war "ein Schritt, der wichtig war"
Er, der nächste Woche als Topfavorit in die Vierschanzentournee startet, ist zuletzt oft gefragt worden, ob sein Wechsel an den Trainingsstützpunkt unterm Nebelhorn ausschlaggebend für seine Leistungsexplosion sei. Bis heute findet er darauf aber keine Antwort: „Welchen Anteil mein Umzug hat, kann ich nicht beziffern. Es ist ein Schritt, der wohl richtig war.“ Vergleiche zwischen seinem bisherigen Trainingsort und dem neuen lehnt er ab. „Ich spreche da kein Für und Wider aus, sondern sage: Ich bin ein Erzgebirgler, der zurzeit im Allgäu wohnt.“ Erst auf Nachfrage öffnet der schweigsame Sachse ein klein wenig sein Herz. Es sei anfangs schon schwierig gewesen. „Sofort habe ich mich hier nicht wohlgefühlt. Ich hatte wegen Umzugsstress und Lehrgängen aber auch zu wenig Zeit, mich da aktiv zu integrieren.“
Er habe erst wenig Lust verspürt, sich unters Volk zu mischen und traf sich nur hier und da mit seiner jüngeren Schwester Selina (16) – „zum Ratschen“ in einem Oberstdorfer Café. Auch sie startet noch für die SG Nickelhütte Aue, ist wegen der besseren Trainingsmöglichkeiten aber ebenso im Sommer ins Allgäu gezogen. Eine Wohngemeinschaft gibt’s nicht. „Nee, sie ist im Internat, ich bin in einer Wohnung“, klärt Freitag auf, der mit 550 Punkten nicht nur im Gesamtweltcup komfortabel vor Andreas Wellinger (399) führt, sondern sich an fünf Winter-Wochenenden quasi im Flug ein erkleckliches Weihnachtssalär von 55.000 Euro sicherte.
Berauscht vom derzeitigen Höhenflug gewinnt er seinem Wechsel ins Allgäu doch mehrheitlich Positives ab: „Ich habe jetzt weniger lange Autofahrten, bin immer in der Nähe der A-Mannschaft und hab’ mit Christian Winkler einen Heimtrainer, mit dem ich schon sehr lange zusammenarbeite.“ Auch das Leben nach dem Training kann er mittlerweile genießen: „Ich kenn jetzt ein paar Chaoten mehr“, witzelt er. „Und ja, man kann in Oberstdorf schon seinen Spaß haben.“ Gewandert sei er im Herbst, auch mal geradelt – und einen Lieblings-Italiener habe er auch gefunden: „Am Ende der Fußgängerzone – Pepe oder so.“
Der Bundestrainer lobt Freitag in den höchstenb Tönen
Bundestrainer Werner Schuster lobte Freitag nach seinem Erfolg in Engelberg (Schweiz) in den höchsten Tönen: „Intern ist er ein toller Orientierungsmarker und nach außen hat er unsere Sportart spitzenmäßig präsentiert.“ Der Umzug ins Allgäu sei überfällig gewesen, Oberstdorf sei nun mal das „Epizentrum für deutsche Skispringer“. Zur bevorstehenden Vierschanzentournee sagt Schuster: „Richi kann alle Schanzen. Aber er hat jetzt viel Zeit zum Nachdenken. Ich bin gespannt, wie er das meistert.“
Freitag macht sich darüber keinen Kopf: „Ist doch schön, wenn die erste Saisonphase so gut war und du sagen kannst: Auf geht’s, jetzt geht’s weiter so. Da kannst du locker in den Weihnachtsbraten beißen.“
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