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Skispringen: „Dafür ist der Mensch nicht geschaffen“

Skispringen

„Dafür ist der Mensch nicht geschaffen“

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    Oben hat man den besten Überblick: Sven Hannawald auf dem Schanzenturm von Lahti.
    Oben hat man den besten Überblick: Sven Hannawald auf dem Schanzenturm von Lahti. Foto: Ralf Lienert

    Herr Hannawald, wir stehen genau an der Stelle, an der Sie bei der WM 2001 losgefahren und zu Mannschafts-gold gesprungen sind. Eine schöne Erinnerung?

    Natürlich. Es war ein tolles Erlebnis. Einen Titel mit dem Team zu gewinnen, ist immer ein Genuss – weil sich danach vier Leute freuen. Da entwickelt sich eine Gruppendynamik, die alles noch emotionaler macht.

    Und farbenfroher.

    (lacht) Stimmt. Wir Springer und die Trainer haben sich die Haare damals in den Ampelfarben gefärbt. Das sah grausig aus. Aber es war auch ein Zeichen dafür, was wir für ein verschworener Haufen waren.

    Trotz der Alphatiere Martin Schmitt und Sven Hannawald?

    Wir wussten beide, dass es nichts bringt, unsere Egos auszuleben. Skispringen ist ein Einzelsport, aber ein Einzelner kann immer nur dann etwas gewinnen, wenn das Leben im Team funktioniert.

    Martin Schmitt und Sie arbeiten jetzt wieder in einem Team.

    ... und das funktioniert sehr gut. Wir telefonieren zwar nicht ständig miteinander, aber wir verstehen uns super. Und wir versuchen jetzt, beim TV-Sender Eurosport unsere beste Leistung zu zeigen.

    Was geht einem Skispringer durch den Kopf, wenn er auf dem Balken sitzt?

    Gerade frage ich mich, was ich da früher eigentlich Verrücktes gemacht habe.

    Und als Sie noch als Athlet hier saßen?

    Habe ich gehofft, dass es ein weiter Sprung wird, den ich genießen kann.

    Was macht diesen Genuss aus?

    Was die Intensität der Gefühle betrifft, kenne ich keinen Sport, der ans Skispringen heranreicht. Man spürt diesen Kitzel, weil man weiß, dass es gefährlich ist, was man tut. Andererseits versucht man, mit seinem Körper, seinem Wesen, seinem Tun so weit wie möglich zu fliegen – ohne Motor, ohne Düsenantrieb, ohne technische Hilfsmittel. Ein Skispringer will etwas beherrschen, wofür der Mensch nicht geschaffen ist.

    Wir stehen ganz oben, so wie Sie damals in Ihrer Karriere. War der Vierschanzentournee-Triumph 2002 wirklich der absolute Höhepunkt?

    Ja. Ich habe jeden Titelgewinn genossen, aber für mich ist nichts höher einzuschätzen als dieser Sieg bei der Tournee – das wäre auch so gewesen, wenn ich damals nicht alle vier Springen gewonnen hätte.

    Ehrlich?

    Ganz ehrlich. Die Tournee war mein erster Berührungspunkt mit dem Skispringen, damals mit meinem Vater auf dem Sofa vor dem Fernseher. Sie wollte ich immer gewinnen, deshalb zählt dieser Sieg mehr als Olympia- oder WM-Gold.

    Hier oben kann’s ganz schön unruhig werden. Wann in Ihrer Karriere haben Sie den meisten Gegenwind gespürt?

    Im Frühjahr 1997. Im Verband wurde über meine Zukunft diskutiert, ich hätte beinahe meinen Status als Kaderathlet verloren. Mein damaliger Heimtrainer Wolfgang Steiert hat sich jedoch für mich eingesetzt und mir eine Schonfrist von einem Jahr verschafft. Damals bin ich aus meinem Schlummerdasein erwacht, habe dann auch prompt am 6. Januar 1998 in Bischofshofen mein erstes Weltcupspringen gewonnen und Kazuyoshi Funaki damit den Grand Slam vermasselt. Mein Triumph 2002 wäre sonst nie in die Geschichte eingegangen.

    Wer Anlauf nimmt, für den gibt es auf der Schanze kein Halten mehr. Geht Skispringen nur ganz oder gar nicht?

    Für mich war es so. Ich hatte von der Sprungkraft her immer schlechtere Voraussetzungen als viele meiner Rivalen. Das musste ich bei der Technik oder beim Material ausgleichen. Jahrelang habe ich 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche fürs Skispringen gelebt. Das war Raubbau an Körper und Geist.

    Sie mussten sich 2004 wegen eines Burn-outs behandeln lassen, sind danach nicht mehr auf die Schanze zurückgekehrt. Wie hart war die Landung im Leben?

    Am Anfang war ich froh, weil niemand mehr etwas von mir erwartet hat. Doch dann habe ich gemerkt, dass alles auch ein bisschen langweiliger ist. Deshalb bin ich froh, dass ich nun wieder in meinem Sport dabei sein kann, zumal ich Skispringen als Fernsehmann jetzt aus einer anderen Perspektive erlebe. Ich kann auch mal schauen, was links und rechts von der Schanze läuft. Gepaart mit meinen Erinnerungen ist das eine schöne Sache.

    Sie sind im Leben angekommen?

    Auf jeden Fall. Am 11. Februar kam unser Sohn Glen auf die Welt, ich genieße es, eine eigene Familie zu haben – das wäre mit meinem Sport früher nie vereinbar gewesen. Und beruflich läuft es auch bestens. Ich habe meine Balance gefunden.

    Sie sind für Eurosport bei fast allen Weltcupspringen, haben zudem eine Unternehmensberatung gegründet, geben Seminare auf Schanzen und helfen anderen, in die Spur zu finden.

    Richtig. Stress ist im heutigen Berufsleben nicht zu vermeiden, aber man muss lernen, mit ihm umzugehen. Dabei ist es wichtig, aus der Spur auch mal auszubrechen, sich Luft zu lassen. Ich war als Sportler in einer Dauerschleife: Anlauf, Absprung, Landung, mit dem Lift wieder nach oben. Es wäre sinnvoll für mich gewesen, auch mal was anderes zu tun. Klar ist es wichtig, sich mit seinem Beruf hundertprozentig zu identifizieren. Aber nicht rund um die Uhr.

    Machen die deutschen Skispringer bei der WM in Lahti einen guten Job?

    Absolut. Früher war es bei Weltmeisterschaften immer unser Ziel, eine Einzel- und eine Mannschaftsmedaille zu holen. Das haben die Jungs jetzt schon übertroffen. Zudem hat das Mixedteam bei seinem Sieg eine Demonstration der Stärke abgeliefert. Da wächst etwas heran.

    Vor allem dank Andreas Wellinger, der in beiden Einzelspringen Silber geholt hat.

    Er ist wie Markus Eisenbichler ein Typ, der weiß, dass er selbst sehr viel tun muss, um voranzukommen. Und dass es nicht funktioniert, nur cool zu sein. Er ist sehr fokussiert, entwickelt sich super. Selbstvertrauen und mentale Stärke wachsen von alleine mit.

    Sie trauen ihm auch in der Zukunft viel zu?

    Ja. Er hat mit 21 Jahren schon eine enorme Konstanz, die mir zeigt, dass Körper und Material funktionieren. Er hat sich auf sehr hohem Niveau eingependelt – von da aus kann er die nächsten Schritte gehen.

    Um der nächste Hannawald oder Schmitt zu werden?

    Ich halte nichts von solchen Vergleichen. Wir wurden damals immer an Jens Weißflog gemessen. Damit hatten wir zwar kein Problem, aber jede Zeit ist anders. Deshalb muss auch jeder seinen Weg finden. Eines lässt sich aber sagen: Wellinger ist gut genug, um seine eigene Geschichte zu schreiben.

    Das erste Kapitel steht schon: Er hat es geschafft, dass keiner mehr vom verletzten Severin Freund spricht.

    Das ist im Sport doch ganz typisch: Wenn der Leitwolf ausfällt, wittern andere ihre Chance. Und manche befreit es, wenn sie nicht mehr den Leader im eigenen Team überflügeln müssen.

    Kann Wellinger die Deutschen im Teamspringen zum Sieg führen?

    Ich würde mich tierisch freuen. Aber es gibt in den Polen, Norwegern und Österreichern weitere Gold-Anwärter. Und auf der Schanze in Lahti kann viel passieren. Das haben wir 2001 selbst erlebt.

    Interview: Thomas Weiß und Jochen Klingovsky

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