An der Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf wirbelten die Flocken wie in einer Schneekugel, aus den Boxen dröhnte Disco-Stampf und die 25000 Zuschauer im ausverkauften Stadion lärmten, was die Tröten hergaben. Nur einer blieb ruhig und schilderte seine Gefühle nach dem Gewinn der Bronzemedaille scheinbar unterkühlt. „Ja okay, dann nehm ich die halt“, sagte Richard Freitag am Samstagabend. Es waren die Umstände, die zu der unerwarteten Reaktion des Sachsen führten.
Vor dem vierten und letzten Durchgang hatte die Jury wegen aufkommenden Windes die Konkurrenz abgebrochen. Gerade noch hatten sich die Springer auf den finalen Satz vorbereitet, als die Nachricht die Medaillenvergabe zementierte. „Das ist einfach eine komische Situation, wenn abgebrochen wird und dir einer sagt: Du hast eine Medaille gewonnen“, beschrieb Freitag seine Gedanken. Der Norweger Daniel Andre Tande wurde zum neuen Skiflug-Weltmeister erklärt, gefolgt vom Vierschanzentournee-Sieger Kamil Stoch aus Polen und dem Deutschen.
Etwas später bei der Medaillen-Zeremonie vor 3000 Zuschauern im Zentrum von Oberstdorf kam Freude auf. Doch die Skiflug-WM bringt viel wichtigere Erkenntnisse für den besten deutschen Springer. „Erfolg hin oder her. Das ist das Größte für mich nach der Pause und dem Nichtwissen, ob ich wieder einsteigen kann ins Geschehen.“ Richard Freitag ist wieder in der Spur.
Im dritten Springen der Vierschanzentournee war Freitag am 4. Januar in Innsbruck gestürzt. Mit einem Schlag musste der 26-Jährige nicht nur die Hoffnungen auf einen Tourneeerfolg begraben. Die Olympia-Saison schien in Gefahr. Die bange Frage lautete, wie der Skispringer das Missgeschick aufarbeitet. Mit „ranklotzen“ antwortet der Schnauzbartträger auf seine eigene Art. In der Wiederholung habe er sich den Sturz sehr wohl angesehen, aber nicht analysiert. Einen Psychologen zog er nicht zurate. „Ich habe das ein paar Mal probiert, aber ich habe gemerkt, dass ich nicht der Typ dafür bin.“ Er müsse sich „vom Kopf her“ einstellen können und hart arbeiten. Eben „ranklotzen“. Das Skifliegen vor einer Woche im österreichischen Bad Mitterndorf ließ Freitag aus.
Der erste Satz über 228 Meter war entscheidend für Freitag
Als die Ärzte ihr Okay für einen Einsatz in Oberstdorf gaben, wagte sich Freitag wieder in die Anlaufspur, in der die Springer beim Absprung über 100 Stundenkilometer erreichen, bevor sie rund acht Sekunden lang durch die Luft segeln. Entscheidend sei der allererste Satz über 228 Meter von der drittgrößten Schanze der Welt gewesen, meint der Bundestrainer. „Der erste Sprung ging über 200 Meter. Da war das Gefühl in das eigene Leistungsvermögen wieder da“, sagt Werner Schuster.
Selbst dem erfahrenen Coach nötigt Freitags Kaltschnäuzigkeit Respekt ab. „Mental war das, seitdem ich beim Springen dabei bin, eine der größten Leistungen, die ich gesehen habe“, kommentiert Schuster den dritten Platz und fügt an: „Das ist die erste Medaille in seinem Skispringer-Leben. Da hat er lange genug dafür kämpfen müssen, aber das kann ein Türöffner für Weiteres sein.“
Der Trainer hat die Olympischen Spiele im Blick. Die Resultate von Andreas Wellinger als Siebter, Markus Eisenbichler (11.) und Stephan Leyhe (20.) im Einzel seien vielversprechend. Auf einen Mann jedoch blickt Schuster besonders. Richard Freitag sei das heißeste Eisen für die Spiele von Pyeongchang. Werner Schuster: „Er hat sich selbst und auch uns viel Druck genommen und einen super Auftakt für den Medaillen-Winter hingelegt.“
Lesen Sie auch:
Nach Abbruch: Freitag mit Bronze bei Skiflug-WM