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Serie, Teil 5: Das Augsburger Jahrhundertspiel

Serie, Teil 5

Das Augsburger Jahrhundertspiel

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    Mehr als 90000 Besucher verfolgten das Regionalliga-Duell zwischen dem TSV 1860 München und dem FCA.
    Mehr als 90000 Besucher verfolgten das Regionalliga-Duell zwischen dem TSV 1860 München und dem FCA. Foto: imago

    15. August 1973. Ein herrlicher Sommertag. Wie geschaffen, um unter Flutlicht Fußballgeschichte zu schreiben. Helmut Haller kehrte wenige Wochen zuvor aus Italien nach Augsburg zurück, der Weltstar hatte davor mit Juventus Turin noch die italienische Meisterschaft gefeiert. Der Neuling aus

    Die „Löwen“, die unter Trainer Rudi Gutendorf zurück in die Bundesliga wollten, und der Aufsteiger vom Lech standen sich im Olympiastadion am zweiten Spieltag der Regionalliga Süd, der damals zweithöchsten Spielklasse, gegenüber. Die Begeisterung unter den FCA-Fans steigerte sich an diesem Tag beinahe ins Unvorstellbare, die man unter den eigentlich als zurückhaltend geltenden Schwaben nie und nimmer vermutet hätte. Die Partie endete 1:1, doch es war ein außergewöhnliches Spiel, an das sich Tausende auch Jahrzehnte danach noch erinnern. So auch Alwin Fink, am vergangenen Wochenende 70 Jahre geworden, der seinerzeit die Kapitänsbinde trug: „Wir waren eine tolle Mannschaft, auch für uns war das ein Erlebnis, so ein Spiel vergisst man sein Leben lang nicht“, erklärte der quirlige Außenverteidiger Jahre später.

    Auch wir, die Fußballer des SC Biberbach (Kreis Augsburg), wollten das Derby sehen, in der Rosenau waren wir seit der Fusion mit dem TSV Schwaben vier Jahre zuvor Stammgäste. Fußballchef Hermann Stettberger charterte einen Bus in die 70 Kilometer entfernte Landeshauptstadt. Für 17.30 Uhr, zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn, war die Abfahrt geplant. Statt der erwarteten 50 Fans waren aber 70 Personen da. Ein weiterer Bus musste her, die Abfahrt verzögerte sich. Auf der Autobahn merkten wir dann schnell, dass da ein besonderes Ereignis auf uns wartete. Ab Dasing, 50 Kilometer vor dem Ziel, ging es nur im Schritttempo Richtung München, es war schon wenige Minuten vor 20 Uhr, als wir den Busparkplatz erreichten. Im Laufschritt eilten wir zum Olympiastadion, wir hatten ja keine Karten. Einige von uns, darunter ich, ergatterten noch Tribünentickets: 25 Mark, damals ein stolzer Preis. Noch während wir in der langen Schlange standen, drang erstmals ein Torjubel aus der Arena.

    Löwen-Verteidiger Werner Luxi brachte die Gastgeber in Führung. Als der FCA nach elf Minuten durch Klaus Vöhringer zum 1:1 ausglich, gab es für die Massen, die vor dem Stadion standen, kein Halten mehr. Sie rissen die Zäune ein, die Ordner öffneten die Tore. Die Bilanz: 136 Verletzte. Nummerierte Plätze gab es noch nicht, ich saß auf den Treppen der Haupttribüne und verfolgte fasziniert, wie rund 35000 Augsburger Anhänger ihre Mannschaft anfeuerten und feierten, das „Hallerluja“ wurde an diesem denkwürdigen Abend und in den Monaten danach in deutschen Stadien zum Hit.

    Der damalige Geschäftsführer der Münchner, der mittlerweile verstorbene Manfred Amerell, erzählte mir Jahre später, dass er zunächst nur 50000 Tickets an die Kassen mitnehmen wollte. Im Vorverkauf waren nur 8000 Billetts über die Theke gegangen. Amerell, später beim FCA auch Geschäftsführer und zudem Bundesliga-Schiedsrichter, überlegte es sich anders und verkaufte tatsächlich 79000 Karten. Insgesamt dürften weit mehr als 90000 Besucher im Stadion gewesen sein. Das war und ist noch immer Besucherrekord im Olympiastadion.

    An diesem denkwürdigen Abend ahnte ich nicht, dass ich Jahre später den völlig unkomplizierten Helmut Haller näher kennenlernen durfte und er mir als Sportjournalist beruflich manche Tür öffnete. Am Ende der Saison 1973/74 feierte der FCA den Titel in der Regionalliga und durfte anschließend in der zweiten Bundesliga kicken. Doch zum Aufstieg in die Bundesliga fehlte ein Punkt. Das Augsburger Fußballwunder blieb unvollkommen, erst 38 Jahre später wurde das Märchen wahr. Der FC Augsburg stieg ins Oberhaus auf.

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