Fein säuberlich fährt er demonstrativ den rechten Mittelfinger aus. Die emotionale Mimik im Gesicht – verachtend. Das schwarz-weiße Foto des US-amerikanischen Country-Sängers und Songschreibers Johnny Cash mit Gitarre geht Ende der 60er Jahre um die Welt. Der berühmte Fotograf Jim Marshall schießt den Schnappschuss mit dem legendären Stinkefinger bei einer Konzertprobe im kalifornischen San-Quentin-State-Gefängnis.
Wem diese obszöne Geste gilt, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Fakt ist: Der Arbeitsanzug, den Cash bei seinem Auftritt vor den ungeduldig wartenden Häftlingen trägt, kommt 2010 für 50 000 Dollar bei einer Auktion in Beverly Hills unter den Hammer. Ein Stück Musikhistorie.
Effenberg leidet bei beinahe 50 Grad, dann brennen die Sicherungen durch
Auch Stefan Effenberg hat mit Devotionalien viel Geld für gute Zwecke gesammelt. Das Trikot mit der 20, das der Blondschopf bei der Weltmeisterschaft in den USA 1994 auf der Brust trägt, kann dem Blaumann von Johnny Cash erlöstechnisch indes nicht das Wasser reichen. Dabei schreibt "Effe" im Dress mit dem Nationaltrikot an jenem 27. Juni im Stadion "Cotton Bowl" in Dallas deutsche Fußballgeschichte. Nach zwei durchwachsenen Auftritten in der Vorrunde trifft Deutschland auf Südkorea, quält sich bei sengender Hitze zu einem 3:2 nach dem 3:0 zur Pause durch Tore von Jürgen Klinsmann (2) und Karl-Heinz Riedle.
Der Stressfaktor ist hoch, weil die DFB-Elf im zweiten Abschnitt mehr und mehr die Kontrolle über das Spiel verliert, zwei Gegentreffer schluckt, ins Schlingern gerät. Die aufgebrachten deutschen Fans stempeln Effenberg zum Sündenbock. Der leidet derweil bei fast 50 Grad wie ein Hund, wirkt lustlos, mitunter arrogant. Und ist voll mit Testosteron, das sich nach den gnadenlosen Pfiffen und "Effenberg-raus"-Rufen“ in einer unnötigen Verwarnung widerspiegelt. Jetzt hat auch Bundestrainer Berti Vogts genug. Er holt seinen "Leader" nach 75 Minuten vom Feld. Das (vorerst) letzte Mal.
Effenberg kehrt nochmals zurück - und tritt kurz danach endgültig zurück
Auf dem Weg zur Bank lässt sich der spätere Weltpokalsieger von 2001 frustriert über die eigene Leistung zu einer Dummheit hinreißen, reckt höhnisch lächelnd dem ob der Auswechslung erleichtert wetternden eigenen Anhang den Finger der Empörung entgegen. Skandal! Interessant: Es gibt weder Videoaufnahmen noch Fotos dieser Szene. Jenes Bild, das Effenberg als Nationalspieler mit dem Stinkefinger zeigt und für diverse Rückblicke herhalten muss, wurde später geschossen.
"Ich schäme mich in tiefster Seele, dass ein herausragender Vertreter des DFB in übelster Weise das verletzt hat, was wir aufgebaut haben", sagt Verbandsboss Egidius Braun später. Die Antwort von Vogts lässt nicht lange auf sich warten. Er wirft den gelernten Postangestellten aus dem Kader und verkündet gegenüber der Weltpresse: "Solange ich für die Nationalmannschaft verantwortlich bin, wird Stefan Effenberg nicht mehr für Deutschland spielen." Vier Jahre später holt ihn „Bundes-Berti“ aber doch zurück. Effenberg macht seine Länderspiele 34 und 35 – und beendet seine Karriere als Nationalkicker.
Im Nachklapp sagt er: "Vielleicht bin ich nur im falschen Land geboren. Ein amerikanischer Journalist hat mir mal gesagt: Junge, wenn du das bei uns gemacht hättest, wärst du jetzt ein Superstar." So wie Johnny Cash.
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