1860 München und die Regionalliga Bayern – für die Löwen ist das nun ein schmerzlicher Fakt. Und dennoch scheint es, als ob sich der Verein immer noch schwer damit tut. Im Fanshop der Sechziger neben der Geschäftsstelle in der Grünwalder Straße wirbt ein Plakat von Sascha Mölders für das Zweitligatrikot, es gibt T-Shirts mit dem Konterfei von Ivica Olic zu kaufen. Der Kühlschrank im Presseraum ist ausgeschaltet und nur mit einer Handvoll Getränken befüllt, die zum Teil schon angebrochen sind. Aufbruchstimmung sieht anders aus. Einer der Pressefotografen, die an diesem Vormittag zum Trainingsstart gekommen sind, sagt: "Auf dem Weg hierher habe ich mich gefühlt, als ob ich einen Kranken besuche, der auf der Intensivstation liegt."
Den Kern der 1860-Mannschaft bildet nun die U21
Der Presseraum des Vereins war am Montag hingegen voll wie selten. Der neue Cheftrainer Daniel Bierofka und Geschäftsführer Markus Fauser stellten den neuen, 26 Mann großen Kader vor. Mit Max Engl, Moritz Heinrich, Nicolas Helmbrecht und Nico Karger sind nur noch vier Spieler dabei, die vergangene Saison zeitweise bei den Profis mittrainierten. Den Kern bildet die U21, Vizemeister in der Regionalliga. Dazu kommen vier A-Jugend-Spieler. Alle anderen wie Sascha Mölders sind weg – sie besaßen einen Vertrag, der nur für Liga eins und zwei gegolten hatte.
Zusammen mit Wolfgang Schellenberg, den Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, hat Bierofka die Mannschaft zusammengestellt. Die Zeit drängt: Schon am 13. Juli startet die Regionalliga in die Saison. Bierofka erhofft sich von den neuen Löwen ein anderes Auftreten als die bisher: "Wir wollen, dass sich die Spieler mit dem Verein und seinen Werten identifizieren." Das war unter seinem Vorgänger Vitor Pereira zuletzt offenbar nicht mehr der Fall: "In den Wochen, in denen ich bei den Profis war, habe ich eine tote Mannschaft vorgefunden." Pereira hatte auf einer Trainer-Tagung in Portugal zuletzt gesagt: "Der Kader hatte nichts von dem, was ich mag."
1860 München und Ismaik: Eine Chronologie des Chaos
Im Frühjahr 2011 stand 1860 München bereits vor dem Aus - erst Investor Hasan Ismaik bewahrte die "Löwen" durch seinen millionenschweren Einstieg vor der Insolvenz. Der Jordanier erschien in Giesing als strahlender Retter und hatte Visionen von der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga und sogar einem Angriff auf die besten Vereine Europas um den Stadtrivalen FC Bayern und den FC Barcelona.
Das 1860-Drama in sechs Akten:
2011/12: Euphorisiert vom Einstieg des Geschäftsmannes aus Abu Dhabi werden erste Dissonanzen zwischen Investor und Verein noch großteils wegmoderiert. "Wir haben klar gesagt, dass wir als Team erfolgreich sein wollen", sagt der damalige Geschäftsführer Robert Schäfer. Die Mannschaft unter Trainer Rainer Maurer spielt eine gute Saison, rangiert ab Spieltag drei bis zum Schluss auf einem einstelligen Tabellenplatz und verpasst als Sechster die Aufstiegsränge nur knapp.
2012/13: Auch die Spielzeit kann sich sportlich sehen lassen, 1860 landet wieder auf Rang sechs. Coach Maurer erlebt das aber schon nicht mehr als Verantwortlicher mit, er muss im November gehen. Nachfolger wird Alexander Schmidt, der international erfahrene Sven-Göran Eriksson soll ebenfalls einsteigen. Als der Schwede überraschend doch absagt, gibt Ismaik dem Präsidenten Dieter Schneider die Schuld. Es ist nicht der erste Angriff Ismaiks auf Schneider, der im März hinwirft.
2013/14: Nun probiert sich Gerhard Mayrhofer an der Spitze des TSV und wird von Ismaik erstmal als "Profi durch und durch" gelobt. In der Geschäftsleitung soll Markus Rejek als Finanzfachmann für neue Impulse sorgen, kurz vor Saisonende wird Gerhard Poschner für die sportliche Seite und vor allem Spielertransfers verpflichtet. Trainer Schmidt wird schon vor Herbstbeginn gefeuert und durch Friedhelm Funkel ersetzt. Als der seinen Weggang zum Saisonende verkündet, wird er im April freigestellt. Co-Trainer Markus von Ahlen übernimmt bis zum 34. Spieltag und führt die Münchner auf den siebten Platz.
2014/15: Die Ränge sechs, sechs und sieben sind Ismaiks Sechzigern zu wenig, also soll der Niederländer Ricardo Moniz endlich für den Aufstieg sorgen. "Wir werden Meister", tönt er. Doch der sportliche Niedergang nimmt Fahrt auf. Schon im September ist Moniz' Zeit vorbei, nach ihm versuchen sich erneut von Ahlen und ab Februar U21-Trainer Torsten Fröhling. Statt Aufstieg steht der Kampf gegen den Abstieg im Fokus, am Ende retten sich die "Löwen" erst in der Relegation gegen Holstein Kiel durch ein Tor in der Nachspielzeit des Rückspiels. Ismaik wird immer ungeduldiger, auch weil Poschners Transferpolitik grandios scheitert. Am Saisonende hört Präsident Mayrhofer auf, genervt vom "Kasperltheater" und der "Katzbuckelei" vor Ismaik, wie er sagt.
2015/16: Jetzt probiert es Interimspräsident Siegfried Schneider und geht auf Ismaik zu. Dessen Cousin Noor Basha, ein gelernter Apotheker, darf sogar Sport-Geschäftsführer werden und neben Finanzmann Rejek die Geschicke der Profis leiten. Neuer Manager wird Oliver Kreuzer. Auch Neu-Präsident Peter Cassalette wählt einen Kuschelkurs mit Ismaik. Sportlich läuft es wieder katastrophal: Die vier verschiedenen Trainer Fröhling, Benno Möhlmann, Daniel Bierofka und Denis Buschujew kriegen es wenigstens hin, als 15. nicht in die Relegation zu müssen.
2016/17: Cassalette ist inzwischen voll auf Ismaiks Linie eingeschwenkt und wirkt wie ein Erfüllungsgehilfe, ein Contra erscheint ihm offenbar zwecklos. Als Manager schafft Thomas Eichin bis zu seiner Beurlaubung gerade mal dreieinhalb Monate und wird ersetzt von einem gewissen Anthony Power, seines Zeichens Maschinenbauer und Ismaik-Vertrauter. Zwischendurch sorgt der Verein mit einem Presseboykott für Aufsehen. Mit dem Liverpool-Manager Ian Ayre hofft Ismaik ab April endlich auf internationales Flair, doch Ayre wirft nach zwei Monaten hin. Wieder verbraucht 1860 in einer Saison vier Trainer: Unter dem einstigen Champions-League-Coach Vitor Pereira steigt 1860 aus der 2. Liga ab.
Vielleicht kehrt Ex-Löwe Timo Gebhart wieder zurück
Auch wenn die meisten Spieler die Regionalliga schon kennen, erwartet Bierofka nun eine schwierige Umstellungsphase: "Wir sind jetzt nicht mehr die U21, sondern der TSV 1860 München." Wenn es nach ihm geht, sollen noch drei, vier erfahrene Spieler kommen – wahrscheinlich ist Ex-Löwe Timo Gebhart einer davon. Mit ihm befinde man sich "in guten Gesprächen".
Gespräche will Geschäftsführer Fauser in den kommenden Tagen auch mit der Stadt München und dem FC Bayern als Vermieter führen – Thema ist der Auszug aus der ungeliebten Allianz-Arena: "Unser erklärtes Ziel ist es, im Grünwalder Stadion zu spielen." Innerhalb der kommenden zwei Wochen soll der Antrag für die Regionalliga eingereicht werden. Fauser ist sich sicher, dass dieser genehmigt wird. Einen Budgetplan gibt es für die kommenden zwei Jahre – detaillierte Zahlen wollte er aber noch nicht nennen.
Wie es mit 1860-Großinvestor Hasan Ismaik weitergeht, ist völlig offen
Das größte Fragezeichen bleibt bei 1860 die Frage nach dem Investor. Ein persönliches Gespräch mit Hasan Ismaik habe Fauser bislang nicht führen können, will das aber schnell nachholen: "Wie es da weitergeht, ist völlig offen." Ismaik hatte Fauser nach seiner Ernennung zum Geschäftsführer angegriffen: Dessen einzige Qualifikation, so der Jordanier, sei das Insolvenzrecht. Dem widersprach Fauser: "Es ist nicht unser Ziel, auf einen Insolvenzantrag hinzuarbeiten."
Die Zukunft führt 1860 nun an Orte wie Schalding-Heining, Pipinsried oder Buchbach. Bierofka bemüht sich, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen: "Es sind kleinere Stadien – wenn es überhaupt Stadien sind. Aber man ist viel näher dran. Und es wird was los sein. Jeder Verein freut sich, wenn wir vorbeischauen. Und wir müssen schauen, dass wir ihnen die Freude nehmen."