Herr Zabel, Ihr Podcast "Plan Z" ist sehr erfolgreich. Viele Sportler ziehen sich ins Private zurück. Sie machen genau das Gegenteil. Wie kam es dazu?
Rick Zabel: Als Radprofi sind das Training und die Rennen mein täglich Brot. Aber eigentlich hat man da schon noch relativ viel Zeit nebenbei. Zudem ist es kein großer Aufwand, so einen Podcast aufzunehmen. Ich mag an dem Format, dass die technische Komponente sehr einfach ist, denn da bin ich kein Genie. Außerdem höre ich selbst sehr gerne Podcasts. Ich mag die Stimmung, die Intimität. Es ist auch mein Ziel, dass man das Gefühl hat, am Abend im Wohnzimmer neben mir und meinem Gast zu sitzen und einfach zuzuhören. Außerdem gab es zwar Radsport-Podcasts, aber eben keinen, den ein aktiver Radprofi macht und aus der Szene berichtet. Ich finde es spannend, zu vielen Themen meine Meinung zu äußern und auch mal eine klare Kante zu zeigen. Im Radsport ist vieles schön, aber es läuft auch vieles schief.
Worum geht es in Ihrem Podcast?
Zabel: Ich berichte aus meinem Leben, dann natürlich aus der deutschen Radsportszene. Ich will aber auch ganz andere Leute hier haben. Ich will einfach einen guten Mix finden. Viel Radsport, natürlich. Aber ich will auch zeigen, dass es nicht nur Radsport gibt. Am Anfang habe ich mir eine Gästeliste geschrieben, meine Top 3 habe ich jetzt schon geschafft. Dazu gehörten Kristina Vogel durch ihr tragisches Schicksal. Dann Jens Voigt, von dem man ja weiß, dass er reden kann wie ein Wasserfall. Und schließlich mein Papa. Auch weil er einer ist, der sich so gut wie komplett aus der Öffentlichkeit zurück gezogen hat – und das auch sehr genießt. Ich weiß es zu schätzen, dass er sich momentan fast nur bei mir der Öffentlichkeit präsentiert. Das ist ziemlich cool für mich.
Sie geben relativ viel von sich persönlich Preis in dem Podcast. Fällt Ihnen das schwer?
Zabel: Da habe ich mir eigentlich gar keine Gedanken gemacht. Manchmal ist es schon komisch, wenn ich in Köln radfahre und ein Hobbysportler, den ich gar nicht persönlich kenne, plötzlich neben mir fährt und gratuliert, dass ich jetzt dann Vater werde. Da denkt man sich dann schon erst mal, woher der das eigentlich weiß. Manchmal bin ich mir der Reichweite gar nicht bewusst, wenn ich so vor mich hin rede. Aber ich habe damit kein Problem. Ich bin ein Stück weit in der Öffentlichkeit groß geworden. Aber natürlich gibt es Dinge, die mir heilig sind, über die ich nicht spreche.
Wie schnell konnten Sie Ihren Vater davon überzeugen, in Ihrem Podcast aufzutreten?
Zabel: Überreden musste ich ihn nicht lange. Aber ich habe gemerkt, dass er am Anfang dem Braten nicht ganz getraut hat. Mein Papa hatte noch nie einen Podcast gehört und wusste nicht, was auf ihn zukommt. Er war ziemlich aufgeregt und wusste auch nicht, was ich ihn fragen würde. Das wollte ich ihm vorher nicht sagen, denn ich will ja eine echte Reaktion im Podcast haben und keine Antworten, die man sich vorher überlegen kann. Für meinen Papa war das ein Sprung ins kalte Wasser. Am Anfang war er dementsprechend angespannt, hat sich dann aber extrem geöffnet.
Wie schwer fällt es Ihnen, mit Ihrem Vater auch über die dunklen Seiten seiner sportlichen Vergangenheit zu sprechen?
Zabel: Das ganze soll ja ein Dreiteiler werden. Die erste Folge war, wie er zum Radsport gekommen ist, die zweite ging über die aktive Profizeit und die dritte soll über die Zeit danach gehen – und vielleicht machen wir dann noch eine Extrafolge, in der es um die Dopingvergangenheit gehen soll. Wenn man aber nur die reinen Fakten wissen will, kann man sich ja das Spiegel-Interview von damals durchlesen, wo detailliert drin steht, was genommen wurde. Das finde ich jetzt nicht wirklich interessant. Viel interessanter ist doch, wie er das aus heutiger Sicht sieht. Wie er die Geschichte erlebt hat. Mein Papa ist ja gerade erst 50 geworden und hatte deshalb auch einige Interviewanfragen. Die hat er alle abgelehnt, weil er das im Podcast erzählen will. Das wird sehr spannend. Aber noch haben wir keinen Termin.
Sie haben über Ihren Vater den direkten Vergleich: Wie hat sich der Radsport seit den Zeiten eines Erik Zabel verändert?
Zabel: Ich glaube, dass die breite Masse viel stärker geworden ist. Früher war das Feld nicht ganz so stark, wie es heute ist. Es gibt keine schwachen Fahrer mehr. Dann kann man heute sehr viel mehr Geld verdienen. Mein Papa hat damals sicher nicht schlecht verdient, aber wenn man das mit einem Peter Sagan vergleicht, dann sind das wahrscheinlich Peanuts. Es ist aber auch die Schere weiter auseinander gegangen, weil die Top-Stars so krass viel verdienen. Gleichzeitig fahren sehr viele junge Fahrer am Minimum. Früher war das ein bisschen fairer. Da hatte auch ein guter Helfer einen guten Vertrag. Auch die Medien sind viel aktiver. Früher wurden nur die letzten 100 Kilometer einer Etappe übertragen. Da wurde locker losgefahren, kam ja eh noch nicht im Fernsehen. Das gibts heute nicht mehr. Es herrscht deutlich weniger Respekt im Feld, jeder kämpft um seine Position. Von Kilometer 0 an ist der Kampf eröffnet. Da ist nix mehr, mit locker einrollen. Es ist deutlich härter und professioneller geworden.
"Dann fragt man sich schon, ob das alles mit rechten Dingen zugeht"
Glauben Sie, dass heute sauberer gefahren wird?
Zabel: Ich gehe immer von mir aus und ich kann sagen, dass ich sauber eine Tour de France durchgefahren bin – und auch gut mitfahren kann. Ich bin aber auch kein Seriensieger. Und es gibt Tage, da kommt man total erschöpft ins Ziel, schaut sich seine Werte an und sieht, dass es eigentlich ein guter Tag war. Trotzdem hat man eine halbe Stunde auf den Sieger der Etappe verloren – dann fragt man sich schon, ob das alles mit rechten Dingen zugeht. Die Gedanken und Zweifel hat man auch als aktiver Radprofi. Es ist aber immer eine Frage der Perspektive.
Wie meinen Sie das?
Zabel: Wenn ich zum Beispiel einen normalen Radfahrer treffe und er mir sagt, dass er seine 100 Kilometer gerade in einem 23er Schnitt gefahren ist. Dann sage ich, dass ich einen 32er Schnitt gefahren bin. Das ist für den unvorstellbar und ich würde mich ungerecht behandelt fühlen, wenn mir dann was unterstellt wird. Ich habe sicherlich viel Talent, aber ein Tour-de-France-Sieger hat doppelt oder dreifach so viel Talent.
Wie effektiv schätzen Sie das Anti-Doping-System ein?
Zabel: Es ist auf jeden Fall viel viel besser geworden – und ich war lange davon überzeugt, dass es so gut wie unmöglich ist, in diesem System zu dopen. Aber wenn dann so etwas wie die Operation Aderlass um die Ecke kommt – das hat mich extrem enttäuscht. Und ich habe mir schon gedacht, dass es vielleicht eine naive Einstellung von mir war, dass es nur noch sehr wenige schwarze Schafe gibt. Ich denke schon, dass der Sport sauberer geworden ist. Aber egal ob Fußball, Radsport, Tennis oder was auch immer: Da, wo Leistungssport betrieben wird, wird es auch immer Leute geben, die versuchen zu betrügen. Das muss man leider hinnehmen.
Der Radsport leidet dennoch immer noch unter einem Generalverdacht. Die Zeiten Lance Armstrongs wirken nach. Ist das ungerecht?
Zabel: Mit der Vergangenheit, die wir haben, ist der Verdacht auf den ersten Blick schon nachvollziehbar. Wenn man sich aber ein bisschen mehr in die Materie hinein begibt sieht man, welche Maßnahmen der Radsport ergriffen hat. Es gibt mittlerweile fast keine andere Sportart, die einen so rigorosen Anti-Doping-Kampf betreibt wie wir. Als aktiver Sportler muss man diesem Kampf sehr viel unterordnen. Deshalb würde ich sagen, dass der Radsport vielleicht sogar der sauberste Sport ist, den es momentan gibt.
"Der Radsport hat ein grundsätzliches Problem"
Aber woher kommt das Misstrauen?
Zabel: Der Radsport hat ein grundsätzliches Problem. Fußball zum Beispiel kann jeder spielen. Das kann man sich gut vorstellen. Wenn man uns aber im Fernsehen irgendwelche Pässe hochfahren sieht, oder wie wir Etappen über 200 Kilometer fahren, dann ist diese Leistung für den normalen Menschen nicht zu verstehen. Genauso geht es mir ja auch, wenn ich einen Marathon anschaue. Wie kann man 42 Kilometer so schnell rennen. Das ist in meiner Welt nicht vorstellbar. Wenn Leistungen für die Allgemeinheit so weit weg sind, dann werden es diese Sportarten immer schwerer haben. Niemand sieht, wie viel Arbeit da drin steckt. Ich fahre 35 000 Kilometer im Jahr mit dem Rad. Das ist sehr weit weg von der Realität eines normalen Menschen. Es ist verrückt, an was sich der Körper alles gewöhnen kann. In meinem Fall, dass man jeden Tag drei, vier Stunden auf dem Rad verbringt.
Ende Juli starten Sie aus der Corona-Pause mit einem Rennen in Spanien in die kurze Saison. Ende August beginnt die Tour de France. Ist das Ihr großes Ziel?
Zabel: Mein erstes Ziel ist Mailand- San Remo am 8. August. Da bin ich auf jeden Fall im Kader. Für die Tour de France wurden 15 Fahrer aus unsere Team vornominiert. Davon werden acht tatsächlich fahren. Die Chance ist also da, dass ich die Tour fahre. Ich hoffe natürlich, dabei zu sein. Aber dieses Jahr ist sehr komisch, ich werde vor der Tour nur sieben Renntage haben. Sich in so wenigen Rennen zu präsentieren ist schwierig. Zudem ist die Tour de France in diesem Jahr sehr sehr schwer von der Streckenführung. Für Fahrer wie mich, die ein bisschen schwerer sind als die Bergspezialisten, wird das kein Spaß. Das sieht man auch daran, dass fast alle großen Sprinter gesagt haben, sie wollen auf den Giro oder die Vuelta ausweichen. Trotzdem würde ich gerne meine vierte Tour de France in Folge zu fahren.
Warum freuen Sie sich auf eine dreiwöchige Schinderei und Quälerei?
Zabel: Also ich habe eine absolute Hassliebe zur Tour de France. Es ist jedes Jahr wieder eine Art Ritterschlag, wenn man dabei ist. In meinem Team sind 30 Fahrer. Wenn man es da zur Tour schafft, wäre das im Fußball die Startelf für das Champions-League-Finale. Das Rennen dann zu fahren ist sehr hart. Drei Wochen Extremsituation. Es gibt Tage, da kommt man gut durch. Aber es gibt auch wirklich Tage, die verflucht man. Da hasst man es, Teil des Events zu sein. Wenn man es jedoch nach Paris schafft und man fährt die letzte Etappe auf der Champs-Élysées – dann ist das so ein krass schöner Moment, dass er die drei Wochen Quälerei davor überstrahlt. Das ist das verrückte an der Tour de France. Allein daran teilzunehmen ist schon so eine krasse Erfahrung, dass es einen hohen Suchtfaktor hat.
Aber wie kann den eine Tour de France aussehen in Zeiten von Corona? Können Sie sich vorstellen, dass wieder hunderttausende Fans an der Strecke stehen und jubeln?
Zabel: Das weiß ich auch nicht. Ich kann es mir aber schwer vorstellen. Als ich den Hygienekatalog für uns Fahrer gesehen habe, da war meine erste Reaktion: Wenn es so kompliziert ist, ein Radrennen stattfinden zu lassen, dann sollten wir uns vielleicht überlegen, ob wir das auf nächstes Jahr verschieben. Aber wenn man sich rein denkt in die ganze Sache, dann wird schnell klar, dass viele Teams in Probleme kommen werden, wenn die Tour nicht stattfindet. Dann lieber so. Es kann ja nicht das Ziel sein, den Radsport um Jahre zurück zu werfen, weil alle Sponsoren aussteigen. Aber ich fürchte, man muss sich von Szenen verabschieden, in denen Bergfahrer durch ein Spalier von Menschen fahren. Auch an Start ud Ziel wird weniger los sein. Es wird eine Tour de France in der Corona-Version mit viel weniger Fans als sonst. Aber hauptsache das Rennen kann stattfinden und wird im Fernsehen übertragen.
Aber was passiert, wenn Fahrer positiv getestet werden?
Zabel: Genau diese Frage stellen wir uns auch. Das ganze Konzept ist sehr fragil. Wir sind auch alle gespannt. Es weiß keiner, wie das dann in der Realität abläuft. Das müssen wir jetzt einfach abwarten. Ich kann mir vorstellen, dass unter Umständen auch eine Tour de France abgebrochen werden muss. Wenn Fahrer positiv getestet werden bleibt eigentlich nichts anderes übrig. Alles andere wäre ja unverantwortlich.
Zur Person:
Rick Zabel steht seit diesem Jahr beim israelischen Team "Israel Start-up Nation" unter Vertrag. Der 26-jährige Sohn des ehemaligen Radsportlers Erik Zabel ist seit acht Jahren Profi und nahm bislang drei Mal an der Tour de France teil.
Hier können Sie den Podcast anhören.
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