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Paralympics 2020: Athlet Coates-Palgrave: "Als ich zwei Beine hatte, war ich faul"

Paralympics 2020

Athlet Coates-Palgrave: "Als ich zwei Beine hatte, war ich faul"

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    Die Schuhe eines Athleten stehen während des Schwimmtrainings im Aquatics Centre in Tokio.
    Die Schuhe eines Athleten stehen während des Schwimmtrainings im Aquatics Centre in Tokio. Foto: Ennio Leanza, dpa

    Wenn Philip Coates-Palgrave auf sein Leben zurückblickt, beschreibt er sich selbst so: „Als ich zwei Beine hatte, war ich ein fauler Typ, völlig unnütz.“ Ein Sportler sei er nie gewesen. „Aber eines Tages fand ich, dass das jetzt genug war. Vor fünf Jahren hab ich dann entschieden, dass ich zu den Paralympics will.“ Der Südafrikaner erzählt dies mit einer Ruhe, als wäre völlig klar, dass es sich um einen Entschluss handelt, den man nur treffen muss, dann würde es schon gelingen. Auf einem der kuriosesten Wege, der wohl je zur größten Behindertensportveranstaltung der Welt geführt hat, trifft dies sogar auf eine Weise zu. Schließlich tritt Coates-Palgrave nicht etwa wie andere Athleten in einer Disziplin an, die er zu seiner persönlichen Erfüllung erhebt. Er spricht auch nicht von einer natürlichen Affinität zu seinem Sport. Der Mann ist verblüffend pragmatisch vorgegangen. Mit Mitte 40 suchte er sich einen

    Mit 50 Jahren gehört er zu den ältesten Debütanten jemals

    Es müsste also eine Disziplin sein, bei der es nicht auf körperliche Explosivität oder Ausdauer auskäme. Und eine, in der das Leistungsniveau zumindest in der Breite noch nicht derart hoch wäre, dass nur Athleten mit Trainingserfahrungen von Kindesjahren an zu den Besten zählen können. Als Philip Coates-Palgrave in seinem Heimatland auf einen Bogenschützen traf, der ihm Training anbot, entschied er sich fürs Bogenschießen. Mit 50 Jahren gehört der Südafrikaner nun wohl zu den ältesten Debütanten, die es bei den Spielen je gegeben hat.

    Chancen auf eine Medaille hat Philip Coates-Palgrave wohl kaum. Im Teilnehmerfeld sind sieben vorige paralympische Medaillengewinner. „Aber beim Bogenschießen trittst du nicht gegen andere an“, sagt der eher unerfahrene Athlet. „Du trittst gegen dich selbst an.“

    Es ist nicht das Einzige, was zunächst verblüffend klingt, wenn der 50-Jährige über seine viel jüngere Konkurrenz spricht. Die ganze Geschichte von Philip Coates-Palgrave ist so verrückt und unwahrscheinlich, dass man sie zuerst nicht glauben mag. Denn lange vor seiner späten Entscheidung, doch noch Athlet werden zu wollen, hatte der Typ mit bereits grauen Haaren ein einschneidendes Erlebnis, das eigentlich mit dem Tod hätte enden müssen. „Ich dachte schon, er erledigt mich“, sagte Coates-Palgrave diese Tage in Tokio. Im Jahr 1995, als der damals nach eigenen Angaben noch unsportliche Mann als Guide in Simbabwe arbeitete, fuhr er Touristen auf einem Kanu durch den Fluss Sambesi. Plötzlich kollidierte er mit einem Nilpferd, das daraufhin zur Oberfläche schreckte und den Fahrer angriff. Coates-Palgrave wurde ins Wasser gerissen, kämpfte gegen das schnelle und kräftige Tier, versuchte, es von seinen Fahrgästen im Boot fernzuhalten.

    Gegen das Nilpferd hat Coates-Palgrave im Wasser keine Chance

    Ungefähr drei Minuten hielt die Agonie an. „Ich trat zweimal zu. Aber dann merkte ich, dass ich keine Chance hab.“ Trotz seiner Verteidigungsversuche blieb Coates-Palgrave ruhig. „Wenn du so runtergerissen wirst, wirkt es, als wärst du in einer riesigen Waschmaschine. Du musst dich hingeben und darauf vertrauen, dass du irgendwann wieder an die Oberfläche kommen wirst.“ Als das Nilpferd ihn trat, habe es sich angefühlt wie bei einem vorigen traumatischen Erlebnis, als Coates-Palgrave einmal von den riesigen Victoriafällen runtergerissen wurde. Und dann wollte er aufgeben. „Ich stand dieser Kraft gegenüber, gegen die ich nichts auszusetzen hatte. Als ich das merkte, hörte ich auf, noch etwas zu versuchen.“ Philip Coates-Palgrave hielt die Luft an, in der diffusen Hoffnung, er würde doch noch an die Wasseroberfläche gelangen. Und, weil sich auf diese Weise diverse Muskeln besser entspannten. „Das Nilpferd dachte dann, es hätte mich getötet. Und dann ließ es mich ziehen.“

    Als er wieder aufs Boot gezogen wurde, war Philip Coates-Palgrave noch lange nicht gerettet. 25 Stunden lang dauerte eine eilige Fahrt zum nächsten Krankenhaus in Simbabwes Hauptstadt Harare. Dort blieb er monatelang in chirurgischer Behandlung, bis schließlich das linke Bein amputiert wurde. Danach folgte eine langwierige Genese, körperlich und mental. Irgendwann war der Überlebende dann so weit zu entscheiden, dass es im Leben nie zu spät ist für eine Veränderung. Er gab sich dem Sport hin.

    Bei seinem paralympischen Debüt diesen Freitag ist Philip Coates Palgrave ein bisschen nervös, gibt er zu. „Es wird ein harter Wettkampf. Ich versuche die ganze Zeit, meine Emotionen unter Kontrolle zu haben und ruhig zu bleiben.“ Wobei genau das die Fähigkeiten sind, die ihn schon in einer viel brenzligeren Situation gerettet haben.

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