Wenn man in Japan Menschen fragt, was sie sich für die Welt wünschen, hört man immer wieder das Wort: „heiwa.“ Japanisch für Frieden. In dem ostasiatischen Land, das im Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands kämpfte, sind viele stolz darauf, Pazifisten zu sein. Die Ablehnung von Krieg ist sozusagen Staatsräson: Das japanische Volk verzichte für alle Zeiten auf den Krieg, heißt es in Artikel 9 der Verfassung, die die siegreichen USA nach 1945 geschrieben haben. Und weiter: „Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt.“
Was das mit Sport zu tun hat? Viel, sagen Kritiker der Regierung und der Tokioter Olympiaorganisatoren. Eiichi Kido, Politologieprofessor der Universität Osaka, ist einer von ihnen. Olympia als Fest der Völkerverständigung werde auch dazu instrumentalisiert, Japan militärisch zu stärken: „Die Absicht der japanischen Obrigkeit ist von Anfang an klar, die Olympischen Spiele zu missbrauchen. Und zwar, um das Land kriegsfähig zu machen. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es immer wieder Versuche, den pazifistischen Verfassungsartikel 9 zu ändern.“
Japan: Verfassungsänderung im Schatten der Olympischen Spiele?
Japans konservative Regierung würde das anders formulieren als Eiichi Kido, aber ihr Ziel ist kein Geheimnis. Im Jahr 2019 verkündete der damals regierende nationalistische Premierminister Shinzo Abe hierzu: „Ich habe öfter gesagt, dass ich 2020 zu dem Jahr zu machen will, in dem eine neue Verfassung in Kraft tritt. An diesem Wunsch hat sich nichts geändert.“ Zwei Jahre zuvor sagte Abe: „2020 ist das Jahr, in dem wir die Olympischen und Paralympischen Spiele von Tokio veranstalten. Ich möchte, dass dieses Jahr eine Wiedergeburt Japans markiert.“
Vor der Pandemie, die dann eben 2020 begann, sah es auch eine Zeit lang so aus, als könnte dies gelingen. Die politische Richtung deutet schon länger auf eine Stärkung der Streitkräfte. 2021 markiert für Japan das neunte Jahr in Folge mit steigenden Militärausgaben. „Wenn man die absolute Erhöhung anschaut, ist es nicht sonderlich hoch“, gibt Raymond Yamamoto zu bedenken, Politikprofessor an der Universität Aarhus und Experte für Außen- und Sicherheitspolitik. Aber er sagt auch: „Die Öffentlichkeit steht einer drastischen Erhöhung des Militärbudgets skeptisch gegenüber.“
Pandemie lässt wohl kein patriotisches Olympiagefühl in Japan aufkommen
Gerade wegen dieser weitverbreiteten Skepsis und dem Pazifismus im Land konnte die Regierung die Verfassung bis heute nicht umschreiben. In einer dafür nötigen Volksabstimmung hätte wohl eine Mehrheit dagegen votiert. Und jetzt, da die Olympischen Spiele in der Pandemie höchst unbeliebt geworden sind, bestehen für die Konservativen auch kaum noch Hoffnungen, dass ein patriotisches Olympiagefühl für einen Sinneswandel sorgen würde.
Doch mit ihrer Parlamentsmehrheit hat die Regierung andere Gesetze verabschiedet, mit der sie zumindest innenpolitisch für ein stärkeres Sicherheitsgefühl sorgen will. Seit 2013 bestraft ein Gesetz Whistleblower, seit 2014 sind Waffenexporte im Grunde erlaubt. Ebenfalls 2014 erklärte der damals regierende Shinzo Abe, dass Japan jederzeit und überall militärisch an der Seite der USA präsent sein dürfe. Und dessen Nachfolger Yoshihide Suga führt diese Linie weiter. Was das alles mit der olympischen Idee von Völkerverständigung und Frieden zu tun hat? Auf eine entsprechende Anfrage hierzu gibt es vom Organisationskomitee bisher keine Antwort.