„Wir sind die Host Town für die Niederlande geworden!“, sagte der Beamte mit Stolz im Gesicht. Beim Gang durchs Rathaus von Koriyama, noch vor der Pandemie, erklärte er die Hintergründe: „Die Beziehungen zwischen unserer Stadt und den Niederlanden reichen bis Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als Holländer hier ein Wassernutzungssystem installierten. Und für die Olympischen Spiele sind wir jetzt wieder Partner.“ So hoffe man nun auf regen Austausch: Olympia solle die Kultur und Sportler Hollands mit den Leuten in Koriyama bekannt machen und auch umgekehrt.
In der 335.000-Einwohner-Stadt Koriyama schien die „Host Town“-Initiative besonders wichtig. Koriyama liegt in der Präfektur Fukushima. Zwar ist sie vom vor zehn Jahren havarierten Atomkraftwerk 60 Kilometer entfernt. Evakuiert wurde hier nie. Aber der Imageschaden, den diverse Orte durch verschlechterte Handelsbeziehungen und sinkenden Tourismus spürten, machte sich auch hier bemerkbar. Genau das sollte sich mit diesem Vorhaben des kulturellen Olympiaaustauschs eben ändern.
"Host-Town"-Initiative sollte Wirtschaft und Austausch mit japanischen Städten verbessern
Mehr als 500 japanische Städte im ganzen Land meldeten sich über die letzten Jahre als offizielle „Host Towns“ – also Gastgeberstädte – für ausländische Olympiadelegationen an. Die Idee war neu, aber simpel: Die japanischen Orte schließen mit bestimmten Ländern eine Partnerschaft ab, durch die deren Athleten für präolympische Trainingslager in die Gastgeberstadt kommen. Parallel werden Kulturveranstaltungen organisiert, bei denen sich auch die aufgenommenen Athleten einbringen. Für beide Seiten entsteht eine seltene Chance kulturellen Austauschs. Der Sport macht’s möglich.
Das Coronavirus macht hier einen Strich durch die Rechnung - teilweise jedenfalls
Durch die Pandemie hat Japan nicht nur seit knapp eineinhalb Jahren seine Grenzen geschlossen, sodass Athleten kaum zu den geplanten Trainingslagern anreisen können. Auch wenn die Sportler im Vorfeld der Spiele hätten ins Land reisen können, wären viele „Host Towns“ nicht sonderlich erbaut gewesen: Reiseaktivität und reger Austausch erhöhen schließlich die Infektionsgefahr.
Außerdem fehlt vielen „Host Towns“ nun das Geld für einst geplante Aktivitäten. Nach mehreren Ausnahmezustandserklärungen über die vergangenen Monate sind die Sicherheitsvorkehrungen streng, die anreisenden Sportler müssten sich in einer Art Blase bewegen. Dies konterkariert nicht nur den einst geplanten Austausch, es wird auch alles teurer. „Dadurch ist unser Plan unmöglich geworden“, klagte vor kurzem ein Verantwortlicher der im Westen Japans gelegenen Stadt Okoizumo. Wirklich schade sei das. Man hatte sich auf die Hockey-Mannschaft aus Indien gefreut.
Ist die Angst vor radioaktiver Strahlung noch immer Grund für fehlenden Tourismus?
Dutzende „Host Towns“ haben mittlerweile ihre Gastfreundschaft wieder zurückgezogen. In Koriyama ist man aber noch nicht so weit. Die Hoffnung auf ein bisschen Internationalismus mit Besuchern von außen – und wenn es nur ein paar Athleten kurz vor Beginn der Spiele sind – ist hier noch nicht gestorben. Zehn Jahre nach dem verheerenden Atomdesaster leidet die Region noch immer unter ihrem durch traurige Umstände berühmt gewordenen Namen.
Womöglich besteht dieses Stigma der verstrahlten Gegend auch gegenüber den Partnern: Die Athleten aus den Niederlanden sind vor der Pandemie nämlich nicht nach Koriyama gekommen. Der Ort aus Fukushima blieb bisher eine Gastgeberstadt ohne Gäste.
Zur Serie: Als im Herbst 2012 die Olympischen Spiele endeten, zog unser Autor von der damaligen Olympia-Gastgeberstadt London nach Tokio. An dieser Stelle berichtet er nun wöchentlich, bis zum geplanten Olympiastart am 23. Juli, über den steinigen Weg zu „Tokyo 2020+1“.
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