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„Stopft euch einen Socken ins Lästermaul“
![Olympia hat ab sofort überall in London Vorfahrt. Olympia hat ab sofort überall in London Vorfahrt.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Londons Bürgermeister gibt den Ton vor und selbst die Taxifahrer bremsen plötzlich für Touristen. Stimmungswechsel in der Stadt
London Gut gelaunte, muskelbepackte Athleten in der U-Bahn, Luxus-Jachten in den Docks und Hollywood-Royals im Anflug: London gestaltet nicht nur Olympia – Olympia gestaltet London. Drei Tage vor Auftakt der Spiele ist die sonst chronisch miesepetrige Stadt im Griff fröhlicher Gäste. Jetzt müssen die Hauptstädter sich schnell entscheiden: Wollen sie sechs Millionen Besuchern die Vorfreude verderben, nur weil sie selbst nicht zur Party eingeladen sind?
Monatelang sind die Londoner auf allen Kanälen gewarnt worden: Die Stadt wird voll! Plant Umwege ein! Arbeitet von Zuhause aus! Jetzt sind sie da: Ganze Teams breitschultriger Sportler, die sich in die U-Bahn quetschen wie der Riese Gulliver im Land der Zwerge.
Jeder zweite Londoner gibt in Umfragen an, von den Spielen genervt zu sein. Die Hardcore-Gegner sind in Urlaub gefahren, die übrigen wollen aber offenbar versuchen, den „Zirkus“, so das Code-Wort unter Hauptstädtern, mit Würde zu ertragen. „Stopft Euch einen Socken ins Lästermaul“, hatte Bürgermeister Boris Johnson angeordnet.
Der Rüffel zeigt Wirkung: In Islington, wo eine japanische TV-Crew unter Ausrüstung und dem plötzlichen Ausbruch des Sommers ächzt, lässt man ihr den Vortritt am Doppeldecker-Bus. Taxifahrer auf der Oxford Street bremsen plötzlich für Touristen, Straßenkartengucker werden geduldig von Hastig-Hastig-Anzugträgern zum Ziel gelotst. Das ist – bei aller Ruppigkeit, die Londoner sonst mit ihren Sorrys und Thankyous maskieren – ein gigantischer Stimmungswechsel.
Auch das viel gefürchtete Verkehrschaos ist vorerst nicht ganz so dramatisch ausgefallen. Den zähesten Stau haben die Kritiker selbst provoziert: Als Taxifahrer am Montag gegen VIP-Fahrspuren in der Stadt protestierten, stand London still. Der Frust gestrandeter Städter blieb aus: Mit Exzentrikern kann eben niemand in London wirklich böse sein.
Vor Dank auf Knie gehen dürften die Olympia-Planer vor der Sonne. Die Super-Jachten der Reichen, die vor den glitzernden Hochhäusern in Canary Wharf angedockt sind, die vielen Kilometer bunter Wimpel, die im Sommerwind an den Fassaden flattern – all das wäre im Regen an Tristesse nicht zu überbieten gewesen. Mit Ende des englischen Monsuns sind auch die Schlagzeilen besser geworden: Auf der Themse thront nicht mehr nur ein riesiges Kriegsschiff zur Terrorabwehr. Mittlerweile hat sich eben auch das größte Schiff der Stadtgeschichte in die Docks manövriert: das „Traumschiff“, die imposante MS Deutschland.
Im Zentrum wird derweil der rote Teppich am Victoria and Albert Museum abgestaubt: Angelina Jolie, Brad Pitt, Bob Geldorf und Nicole Kidman fliegen für eine Olympia-Gala ein. „Wir halten alles bereit, was die Stadt an legaler Unterhaltung zu bieten hat“, prophezeit Bürgermeister Johnson.
Größte Sicherheitsaktion, die es je zu Friedenszeiten gab
Nur zimperlich darf man beim Feiern nicht sein: 35000 Ordner, Polizisten und Soldaten beschützen die 17-Tage-Party – für Großbritannien die größte Sicherheitsaktion, die je zu Friedenszeiten stattgefunden hat. London kennt seit den Terroranschlägen 2005 die Bedrohung nur zu gut. Nach dem Übergriff von Iranern auf jüdische Gläubige vergangene Woche in Bulgarien sind die Londoner Sicherheitskräfte besonders alarmiert: Vier Meilen vom Olympia-Gelände entfernt wohnt die größte Gemeinschaft orthodoxer Juden in Europa.
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