Viel war vor diesen Olympischen Spielen davon gesprochen worden, dass die deutschen Schwimmer seit 13 Jahren ohne Medaille waren. 2008 hatte Britta Steffen in Peking erst 53,12, dann 24,06 Sekunden benötigt, um über 100 und 50 Meter Freistil Gold zu holen. Danach kam: nichts mehr. London und Rio verstrichen medaillenlos, aus der einst großen Schwimmnation Deutschland war eine graue Maus geworden. Bis jetzt.
Steffen, 37, ist mittlerweile Mutter eines Sohnes und hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am frühen Mittwochmorgen saß sie in ihrer Berliner Heimat vor dem Fernseher, als sie aus Tokio nett gegrüßt wurde. Sarah Köhler, mit der sie gut befreundet ist, richtete ein paar warme Worte an Steffen, immerhin war es ihr gerade gelungen, die Durststrecke des DSV zu beenden. Dafür musste sie allerdings deutlich länger arbeiten als Steffen. 15:42,91 Minuten war sie unterwegs, ehe sie nach 1500 Metern als Dritte anschlug. Schneller waren nur die Topfavoritin Kathy Ledecky (15:37,34 Minuten) aus den USA und deren Landsfrau Erica Sullivan (+ 4,07 Sekunden). „Ich war super nervös heute“, sagte Köhler, 27, und wusste gar nicht wohin mit ihren Emotionen. Während des Rennens habe sie gemerkt, dass die Chinesin Jianjiahe Wang ihre Leistung aus dem Vorlauf nicht wiederholen und sie vorbei gehen könne. „Dann habe ich die Chance einfach genutzt.“ Sechs Sekunden blieb sie unter ihrem eigenen deutschen Rekord. Weil sie es geschafft hatte, die Schmerzen auszublenden, die sie auf den letzten 600 Metern begleiteten. „Das ist dann ein Kampf gegen den inneren Schweinehund. Ich wollte unbedingt diese Medaille.“
Britta Steffen ließ es sich nicht nehmen, den Gruß zu erwidern. „Ich bin stolz wie eine ältere Schwester auf ihre jüngere. Sie hat das fantastisch gemeistert. Ich bin sehr glücklich, dass sie endlich den Bann vom Team genommen hat“, sagte die Doppel-Olympiasiegerin. Und: „Da wir freundschaftlich verbunden sind, freut es mich enorm, dass sie nach 13 Jahren die erste Medaille nach mir geholt hat. Es ist einfach eine ganz große Leistung. Ich bin ganz aufgekratzt.“
Die anderen Deutschen Schwimmer hatten keinen Erfolg
Köhlers Erfolg überstrahlte an diesem Mittwoch die Auftritte der anderen deutschen Schwimmer. Ein paar Minuten zuvor hatte Marco Koch ziemlich angefressen vor den Journalisten gestanden. Seine Antworten fielen kurz aus und im Wesentlichen sagte der 31-Jährige, dass er auch nicht wisse, was da gerade los gewesen sei. So gut wie nie habe er sich vorbereitet. Im Vorfeld hatte er wohl mit einer Medaille geliebäugelt, auch wenn über seine Paradestrecke 200 Meter Brust das internationale Niveau zuletzt stark angezogen hat. Im Wasser war von Koch wenig zu sehen. Als 20. der Vorläufe verpasste der Weltmeister von 2015 das Halbfinale. Ganz ähnlich erging es Franziska Hentke über 200 Meter Schmetterling. 2017 hatte die 32-Jährige WM-Silber gewonnen. In Tokio war das Finale weit außerhalb der Reichweite. „Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird das das letzte Rennen gewesen sein“, sagte sie nach dem Halbfinale.
Immerhin gibt es nun zumindest eine Erfolgsgeschichte zu erzählen, auch wenn die ganz großen Siege wo anders gefeiert werden. Im Lager der US-Amerikaner beispielsweise, traditionell die Schwimmnation Nummer 1. Oder bei den Australierinnen. Oder den Russen.
Im deutschen Team hatten sie schon ganz am Anfang der Schwimmwettbewerbe mit Henning Mühlleitner plötzlich auch einen im Team gehabt, der überraschend auf Medaillenkurs lag. Als Vorlaufschnellster zog er ins Finale über 400 Meter Freistil ein, wurde dann aber mit 13 Hundertstel Rückstand Vierter. Es fehlt dem deutschen Schwimmsport an Breite, um auch mal Geschichten, wie die der 17-jährigen Lydia Jacoby schreiben zu können. Die US-Amerikanerin gewann überraschend Gold über 100 Meter Brust und entthronte dabei ihre hoch favorisierte Landsfrau Lilly King.
Florian Wellbrock ist die nächste Deutsche Medaillienhoffnung im Schwimmen
Immerhin: Mit Florian Wellbrock hat die größte deutsche Medaillen-Hoffnung am Dienstag angedeutet, dass auch er in Topform ist. Der 23-Jährige aus Magdeburgschickte im Vorlauf über 800 Meter Freistil ein mehr als deutliches Signal an die Konkurrenz. Mit deutschem Rekord (7:41,77) zog er als Zweiter ins Finale am Donnerstag ein. Nur Europameister Michailo Romantschuk aus der Ukraine war schneller, als der Verlobte von Sarah Köhler.
Es scheint, als könne Wellbrock dem Erwartungsdruck trotzen. Gewohnt unaufgeregt kommentierte er seinen Vorlauf. „Ich habe wahnsinnig lange auf diese Wettkämpfe gewartet. Die anderen durften alle schon ran und ich saß hier nur auf heißen Kohlen“, sagte Wellbrock. Er habe sicher ins Finale einziehen wollen, um dort eine Mittelbahn zu bekommen. Das ist ihm gelungen, obgleich der Langstreckenspezialist über 1500 Meter noch etwas stärker einzuschätzen ist. In der zweiten Olympiawoche geht Wellbrock dann auch noch im Freiwasser über zehn Kilometer an den Start.