Der DJ dreht die Musik auf, als die Spieler den Sand betreten. Laut wummern die Bässe, oben auf den Tribünen bricht ein Beifallssturm los. Es ist eine faszinierende Mischung aus ausgelassener Stimmung und Anspannung. Man möchte gleichzeitig Feiern und Tanzen und ein kühles Bier trinken und den Profis unten auf dem Platz zuschauen. So war das 2016 in London. Und 2012 in Rio, als das olympische Beachvolleyballturnier an der berühmten Copacabana gespielt wurde. So war es eigentlich immer. Doch jetzt ist alles anders. In Tokio gastieren die Beachvolleyballer im Shiokaze Park in der Bucht von Tokio. Eine gigantische Stahlrohrkonstruktion erhebt sich rund um den Centre Court, nur überragt von den Flutlichtmasten und einem Wohnblock.
Über 12.000 Zuschauer hätten auf den Rängen Platz gefunden. Ein enger Kessel mit steil aufsteigenden Tribünen. Aber dann kam Corona. Ein sanfter Wind streicht vom Meer herüber und verschafft Linderung in der schwülen Hitze der Nacht. Am frühen Abend hat es geregnet. Die Luftfeuchtigkeit ist fast mit Händen zu greifen. Natürlich dröhnt laute Musik in den schwarzen Himmel. Julius Thole und Clemens Wickler stehen unten im Sand. Ihnen gegenüber das US-Duo Jacob Gibb und Tri Bourne. Achtelfinale. Es geht um viel.
Beachvolleyball bei Olympia: Fans verfolgen das Turnier vor dem PC
Während der Ballwechsel schweigt die Musik, bis in die obersten Reihen der leeren Ränge ist zu hören, was sich die Spieler zurufen. Alles unterlegt vom ewigen und allgegenwärtigen Gesang der Zikaden. Auf den großen Videowänden werden Menschen eingeblendet, die zuhause vor ihren Rechnern sitzen und in die Kameras winken. Das wirkt an diesem Abend gleichzeitig komisch und traurig. Was wäre das hier nur geworden, wenn …?
„Es ist so bitter, dass die Zuschauer nicht dabei sein können und alles miterleben dürfen. Da kriege ich schon wieder Gänsehaut“, sagte die Olympiasiegerin Laura Ludwig in Tokio. „Rio ist immer in meinem Kopf und wird immer in meinem Herzen bleiben, weil es ein Riesenerlebnis war und mich immer noch pusht.“ Wie kaum eine andere Sportart leidet Beachvolleyball darunter, dass es in Tokio ohne Zuschauer auskommen muss.
Brink und Reckermann weckten das Interesse für Beachvolleyball in Deutschland
Die größte Party war immer dort, wo die Sportler durch den Sand hechten. Diese goldene Regel galt seit 1992, als Beachvolleyball in Barcelona erstmals bei Olympia als Demonstrationssportart zu sehen war. Medaillen werden seit 1996 vergeben. Anfangs hatten es Puristen eher kritisch gesehen, dass dieser lärmende Zirkus nun olympisch sein sollte. In Deutschland hatten sich anfangs nur wenige für die Volleyballvariante interessiert. Das änderte sich schlagartig, als sich Julius Brink und Jonas Reckermann 2012 in London daran machten, durch das olympische Turnier zu marschieren. Mit jedem Sieg stieg das öffentliche Interesse hierzulande.
Als das deutsche Duo im Finale gegen die Brasilianer Emanuel Rego und Alison Cerutti spielte, saßen Millionen Menschen mitten in der Nacht vor dem Fernseher und sorgten für die Top-Einschaltquote der gesamten Spiele. Brink und Reckermann holten Gold. Vier Jahre später taten es ihnen Ludwig und Kira Walkenhorst in Rio nach. Und diesmal saßen noch einmal 500.000 Zuschauer mehr vor den Geräten und fieberten mit.
Es ist diese Mischung aus Athletik und Gefühl, aus Strategie und Intuition, die Beachvolleyball so spektakulär und fesselnd macht. Jeder, der schon einmal am Strand joggen war, weiß, wie anstrengend das auf Sand ist. Beachvolleyball ist aber auch der Sport, in dem es lange eine Vorschrift dafür gab, wie breit der Rand der Bikinihosen der Frauen sein darf. „Vor ein paar Jahren wurde ich von einem Offiziellen gebeten, meine lange Hose, in der ich wegen Muskelbeschwerden spielen wollte, auszuziehen. Es sei ein TV-Spiel. Ich war total baff und noch nicht reif genug, um dagegenzuhalten“, schrieb die Olympiasiegerin Walkenhorst in einer Kolumne. Erst 2012 wurde diese Regel überarbeitet, Frauen dürfen heute mit Shorts bis oberhalb des Knies und Shirts mit Ärmeln spielen.
Beachvolleyball: Thole und Wickler stehen im Viertelfinale bei Olympia 2021
Unten im Sand wird geschwitzt, gebaggert und geschlagen. Der DJ quatscht in den Spielpausen irgendetwas auf Englisch, vielleicht ist es auch japanisch. Schwer zu verstehen. Dafür ist die kleine deutsche Delegation auf den Rängen gut zu hören, die jede gelungene Aktion lautstark bejubelt. DOSB-Präsident Alfons Hörmann klatscht fast so euphorisiert wie beim Tennis tags zuvor. Doch Thole und Wickler haben Probleme gegen das US-Duo. Sie verlieren den ersten Satz mit 17:21. Schaffen im zweiten aber die Wende und gewinnen die Partie. Damit stehen sie im Viertelfinale, wo auch schon Ludwig und ihre neue Partnerin Margareta Kozuch angekommen sind. Die Nicht-Party geht also. zumindest für zwei deutsche Beachvolleyball-Duos weiter Und zuhause sitzen die Menschen wieder vor dem Fernseher. Und sehen tollen Sport vor leeren Rängen.