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Olympia 2016: Doping-Vorwürfe: Warum werden so viele russische Athleten zugelassen?

Olympia 2016

Doping-Vorwürfe: Warum werden so viele russische Athleten zugelassen?

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    Hunderttausende haben einer Online-Petition für den Olympia-Start der russischen Doping-Kronzeugin Julia Stepanowa unterzeichnet. Viele andere russische Athleten dürfen antreten.
    Hunderttausende haben einer Online-Petition für den Olympia-Start der russischen Doping-Kronzeugin Julia Stepanowa unterzeichnet. Viele andere russische Athleten dürfen antreten. Foto:  Michael Kappeler/Archiv (dpa)

    Der russische Doping-Skandal im Schnelldurchlauf

    3. Dezember 2014: Alles beginnt mit dem Dokumentarfilm «Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht». Das Image des russischen Sports wird durch Enthüllungen der ARD über systematisches Doping, Vertuschung von Kontrollen und Korruption auf schockierende Weise beschädigt...

    ... Die Dokumentation präsentiert geheime Aufzeichnungen mit Hinweisen auf ein staatlich unterstütztes Doping sowie auf einen offenbar im Hintergrund wirkenden Betrugs- und Vertuschungsapparat. Sogar die Spitze des Leichtathletik-Weltverbandes mit Ex-Präsident Lamine Diack ist involviert.

    16. Dezember 2014: Die Welt-Anti-Doping setzt eine Kommission zur Aufklärung der Vorwürfe gegen den russischen Spitzensport ein. Der frühere WADA-Chef Richard W. Pound führt das dreiköpfige Gremium an, ihm zur Seite stehen Experte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger.

    16. Juli 2015: Aufgrund von Doping-Ermittlungen zieht der russische Leichtathletik-Verband vorläufig sein komplettes Geher-Team von internationalen Wettkämpfen zurück. Die WM findet Ende August in Peking ohne die mit Abstand erfolgreichste Geher-Nation statt.

    4. November 2015: Diack wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. Die französische Justiz erhebt Anklage gegen den 82-Jährigen. Diack soll in seiner Amtszeit mehr als eine Million Euro für die Vertuschung positiver Doping-Proben kassiert haben, erklärt eine französische Staatsanwältin.

    9. November 2015: Die unabhängige WADA-Kommission um Pound legt ihren ersten Bericht vor, der ein Schreckensbild der Doping-Praktiken in der russischen Leichtathletik zeigt. Die Kommission empfiehlt, Russland aus der IAAF auszuschließen. 

    10. November 2015: Die WADA entzieht dem Doping-Kontrolllabor in Moskau vorläufig die Akkreditierung. Das Internationale Olympische Komitee suspendiert das IOC-Ehrenmitglied Lamine Diack.

    13. November 2015: Die IAAF suspendiert den Gesamtrussischen Leichtathletik-Verband ARAF angesichts der gravierenden Dopingvorwürfe.

    18. November 2015: Die WADA suspendiert Russlands Anti-Doping-Agentur RUSADA, weil sie die Regeln nicht eingehalten hat.

    7. Januar 2016: Die Ethikkommission der IAAF sperrt im Zuge des Dopingskandals den Sohn von Ex-Präsident Diack, Papa Massata, den ehemaligen IAAF-Schatzmeister Walentin Balachnitschjow und Russlands Ex-Cheftrainer Alexej Melnikow lebenslang. Der frühere Anti-Doping-Chef Gabriel Dollé wird für fünf Jahre gesperrt.

    14. Januar 2016: Bei der Präsentation des zweiten Berichts wirft die unabhängige WADA-Kommission der IAAF «ein komplettes Versagen im Kampf gegen Doping und Korruption» vor. Hauptverantwortlicher für die «Organisation und Ermöglichung der Verschwörung» sei der frühere IAAF-Präsident Diack.

    6. März 2016: Das angeblich große Reinemachen in der russischen Leichtathletik wird durch neue Vorwürfe gegen die Sport-Weltmacht erschüttert. Eine neue TV-Dokumentation präsentiert im WDR Belege für Verstöße von Russlands Leichtathletik gegen Auflagen vom Weltverband IAAF und der Welt-Anti-Doping-Agentur. 

    7. März 2016: Die russische Weltklasse-Spielerin Maria Scharapowa ist bei den Australian Open im Januar positiv auf Meldonium getestet worden. Das gibt sie selbst bekannt. Bis Mitte April verzeichnet die WADA mehr als 170 Positiv-Tests auf Meldonium, das erst seit Jahresanfang auf der Liste der verbotenen Mittel steht. Da unklar ist, wie lange Meldonium nachweisbar ist, lockert die WADA ihre Richtlinien.

    12. Mai 2016: Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, Gregori Rodschenkow, behauptet in der «New York Times», dass er in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten zusammen mit der Anti-Doping-Agentur Rusada sowie dem Geheimdienst auf Anordnung vom Staat vertuscht habe. 15 der russischen Medaillengewinner in Sotschi seien gedopt gewesen. US-Justiz, das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die WADA nehmen Ermittlungen auf.

    17. Mai 2016: Bei Nachkontrollen zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking werden 31 Sportler positiv getestet. Darunter sollen 14 russische Sportler sein, offenbar auch zehn Medaillengewinner. Eine davon ist Hochsprung-Olympiasiegerin Anna Tschitscherowa. Gleichzeitig setzt die WADA eine Untersuchungskommission wegen der Sotschi-Vorwürfe ein.

    27. Mai 2016: Bei Nachkontrollen zu den Olympischen Spielen 2012 in London sind 23 Sportler positiv getestet worden. Hinzu kommt eine weitere positive Probe von den Sommerspielen 2008 in Peking. Acht russische Sportler sind betroffen.

    8. Juni 2016: Scharapowa wird für zwei Jahre wegen ihres positiven Tests auf Meldonium gesperrt.

    15. Juni 2016: Die WADA erhebt erneut schwere Vorwürfe. So sollen zwischen dem 15. Februar und 29. Mai insgesamt 736 geplante Dopingkontrollen nicht durchgeführt worden sein. Kontrolleure seien in Russland von Athleten massiv behindert und von Beamten des russischen Geheimdienstes FSB eingeschüchtert worden.

    17. Juni 2016: Einstimmig bestätigt das Council der IAAF die Sperre für die russischen Leichtathleten. Damit dürfen sie bei den Olympischen Spielen in Rio nicht starten. Es gibt jedoch einen Kompromiss. Einzelne Athleten können unter neutraler Flagge teilnehmen, sofern sie nicht im russischen Doping-System involviert sind. So erhält Weitspringerin Darja Klischina eine Ausnahmegenehmigung von der IAAF.

    3. Juli 2016: Russland legt Einspruch gegen den Olympia-Ausschluss seiner Leichtathleten vor dem CAS ein.

    11. Juli 2016: Der CAS verschiebt ein Urteil im Fall Maria Scharapowa auf September. Damit ist sie bei Olympia nicht dabei.

    18. Juli: Die Welt-Anti-Doping-Agentur legt ihren Ermittlungsbericht zu den Doping-Anschuldigungen rund um die Winterspiele in Sotschi gravierende Belege für staatlich gesteuertes Doping in Russland vor. Im Moskauer Dopinglabor seien über Jahre hinweg positive Proben verschwunden, das russische Sportministerium habe die Manipulationen überwacht, hieß es in dem in Toronto vorgestellten Report. Eine Empfehlung für Sanktionen wie einen Olympia-Ausschluss gab er aber nicht.

    bis 21. Juli 2016: Der CAS will über den Einspruch gegen den Ausschluss russischer Leichtathleten in Rio entscheiden

    Das Ringen um das Startrecht russischer Athleten nahm auch am Eröffnungstag der Olympischen Spiele in Rio noch kein Ende. Nachdem der Internationale Sportgerichtshof CAS den Olympia-Ausschluss von drei schon einmal gedopten Sportlern aus Russland ablehnte, ging das große Prüfen weiter. "Wir sind natürlich enttäuscht, dass der CAS unsere Maßnahmen gegen gedopte Athleten als zu hart betrachtet. Aber wir akzeptieren deren Beurteilung", hieß es in einer IOC-Stellungnahme am Freitag. Das letzte Wort will der olympische Ausrichter dennoch behalten. 

    Denn das CAS stellte in den Fällen der russischen Schwimm-Weltmeisterin Julija Jefimowa sowie der beiden Ruderern Anastassija Karabelschtschikowa und Iwan Podschiwalow fest, dass sie wegen ihrer früheren Doping-Sperren nicht noch einmal mit einer Verbannung von Olympia bestraft werden dürfen. Da das CAS aber zugleich den Antrag des Trios auf Startrecht in Rio zurückgewiesen hat, mussten im Eilverfahren erst die Weltverbände der Ruderer (FISA) und Schwimmer (FINA) eine Teilnahme-Genehmigung prüfen.

    Auch Whistleblowerin Julia Stepanowa hätte durch die CAS-Entscheidung wieder Chancen auf einen Start gehabt. Sie verzichtete aber darauf, ihr Recht einzuklagen. "Sie hatte es nie im Sinn", sagte ihr Schweizer Manager Patrick Magyar am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Der 31 Jahre alten russischen 800-Meter-Läuferin war vom Internationalen Olympischen Komitee auch wegen einer zweijährigen Doping-Sperre die Teilnahme an den Rio-Spielen verweigert worden. Der Leichtathletik-Weltverband hätte dagegen einen Start gut geheißen.

    Im Fall der russischen Ruderer blieb die FISA hart. Anastassija Karabelschtschikowa und Iwan Podschiwalow dürfen trotz des Teilerfolges vor dem CAS bei Olympia nicht ins Boot steigen. Die Skullerin kann laut einer FISA-Mitteilung die Vorgaben zur nötigen Zahl international unabhängiger Doping-Tests nicht erfüllen. Podschiwalow wäre zwar startberechtigt, doch der russische Verband möchte die Besetzung seines Doppelvierer vor dem Vorlauf am Samstag nicht mehr ändern. Im Fall Jefimowa gab es zunächst noch kein Prüfergebnis der FINA. 

    Nach den Fachverbänden checkt noch ein CAS-Experte, ob die Entscheidung regelkonform sind, und am Ende musste noch das Dreier-Gremium des IOC um die deutsche Athletensprecherin Claudia Bokel final befinden, ob die Ex-Gedopten mitmachen dürfen. Das IOC hatte im Staatsdoping-Skandal um Russland auch entschieden, dass Athleten aus dem Land mit Doping-Vergangenheit nicht antreten dürfen.

     Russlands Sportminister Witali Mutko frohlockte, dass dank der Schützenhilfe durch den CAS zu den 271 vom IOC zugelassenen Athleten noch weitere hinzukommen. "Auch unsere Verbände müssen aktiv werden, dann kann die Zusammensetzung der Mannschaft noch ausgeweitet werden", sagte er der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Ursprünglich standen 389 Athleten auf der Liste des Nationalen Olympischen Komitees Russlands für Rio. 

    Der Deutsche Olympische Sportbund übte heftige Kritik an den Weltverbänden und deren Prüfungen des Startrechts von russischen Athleten für die Rio-Spiele. "Legt man die harten Kriterien des IOC-Beschlusses vom 24. Juli zugrunde, dann ist diese hohe Zahl angesichts der Schwere der vom McLaren-Report belegten Missstände und der bewiesenen staatlichen Lenkung des Dopings in Russland kaum nachvollziehbar", hieß es in einer DOSB-Erklärung. "Sie lässt vermuten, dass die Weltverbände der einzelnen Sportarten nicht mit gleichem Maß und nach gleichen Kriterien gemessen haben." 

    Olympia 2016: Stepanowa klagt nicht

    Es dränge sich deshalb "der Eindruck auf, dass der IOC-Beschluss trotz Prüfung durch CAS-Experten und der vom IOC eingesetzten Kommission nicht in allen Sportarten konsequent umgesetzt wurde", hieß es weiter. "Damit ist aktuell die Chance auf ein deutliches Zeichen im Anti-Doping-Kampf verpasst worden." 

    Nicht verstehen kann der deutsche Schwimm-Chefbundestrainer Henning Lambertz das Gerangel um das Olympia-Startrecht von Jefimowa. "Die schieben sich das Ding hin und her, keiner will eine harte Entscheidung treffen. Eine mögliche wäre gewesen, sie nicht unter russischer Flagge starten zu lassen, dass sie hier keine Hymne hören kann", sagte Lambertz der dpa. 

    Als unwahrscheinlich gilt, dass sich Whistleblowerin Julia Stepanowa mit einer Klage beim CAS noch das olympische Startrecht sichern will. Auch die 800-Meter-Läuferin war wegen einer verbüßten Doping-Sperre für die Rio-Spiele abgewiesen worden. Als Kronzeugin enthüllte sie das systematische Doping in der Leichtathletik Russlands. 

    Es gibt aber viele Sympathisanten, die sie gern am Zuckerhut laufen sehen würden. Fast 250 000 Menschen hatten bis zur offiziellen Olympia-Eröffnung die Online-Petition für ihren Start unterzeichnet. AZ/dpa

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