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Nationalmannschaft: So professionell läuft es im Trainingslager der DFB-Elf ab

Nationalmannschaft

So professionell läuft es im Trainingslager der DFB-Elf ab

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    Schweinsteiger ist zwar nicht mehr dabei, aber was soll‘s: Papa und Sohn als Fans auf dem Weg zum Training der deutschen Mannschaft.
    Schweinsteiger ist zwar nicht mehr dabei, aber was soll‘s: Papa und Sohn als Fans auf dem Weg zum Training der deutschen Mannschaft. Foto: Christian Charisius, dpa

    Die ganze Nacht hat es über Eppan Bindfäden geregnet. Aber jetzt, da sich all die kleinen und großen Müllers, Kimmichs, Neuers und Khediras wie jeden Vormittag auf dem frisch asphaltierten Sträßchen Richtung Sportzone Rungg bewegen, reißt der Himmel über der Pilgerschar in Deutschland-Trikots auf. Der Fan-Marsch endet an einer Schranke, vor der sich Sicherheitsleute und Carabinieri postiert haben. Wer mit Wanderrucksack oder Mountainbike unterwegs ist und glaubhaft versichern kann, nur zum Montiggler See laufen oder radeln zu wollen, darf den Checkpoint passieren, wird aber freundlich darauf hingewiesen, dass das Stehenbleiben nicht erlaubt ist – auch nicht auf der kleinen Anhöhe am Waldrand. Von dort aus könnte man trotz all der Sichtschutzplanen einen Blick auf zwei der fünf top-gepflegten Fußballplätze erhaschen.

    Für die Deutschland-Trikot-Träger hier in Südtirol, unweit von Bozen, beginnt das Warten auf den kurzen Glücksmoment. Als schließlich der schwarze Bus mit der Aufschrift „Die Mannschaft“ um die Ecke biegt, brandet Beifall auf. Kurze Zeit später rollt der Luxus-Liner durch das Menschenspalier mit hochgereckten Handykameras – auch wenn die Gesichter hinter den getönten Scheiben allenfalls schemenhaft zu erkennen sind.

    Wegen des nächtlichen Dauerregens trainiert die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ausnahmsweise auf dem Nebenplatz für die bevorstehende Weltmeisterschaft in Russland. Der dahinter liegende Hauptplatz wird für die Übungseinheiten in den nächsten Tagen geschont. Aus der nichtöffentlichen wird damit eine öffentliche Trainingseinheit. Denn von der Schranke aus kann man Joachim Löw und seinen Hoffnungsträgern zuschauen. So steht das bunte Völkchen dicht gedrängt auf einem Fleckchen, nicht größer als ein Sechzehnmeterraum, und bejubelt jede gelungene Aktion auf dem Platz, wo Löw in gewohnt ruhiger Art das Geschehen dirigiert. Zwischendurch setzt die Menge zur La-Ola-Welle an.

    Manfred Call sitzt im klimatisierten Medienzelt, während hundert Meter weiter Jogis Jungs bei 27 Grad Celsius schwitzen, und spricht über seinen anspruchsvollen Job. Der Südtiroler ist als örtlicher Projektleiter verantwortlich für den Ablauf des Trainingslagers und das Bindeglied zwischen dem Deutschen Fußball-Bund sowie den lokalen Stellen. Call spricht von einer Gratwanderung, was den Umgang mit den Fans angeht. Einerseits müsse der DFB-Tross so gut wie möglich abgeschirmt werden. Sich in Ruhe vorbereiten zu können, das ist in einem solchen Trainingslager mit das Wichtigste. Andererseits sollen die Fans keineswegs das Gefühl haben, nicht willkommen zu sein. Es ist ihre Mannschaft, die an diesem Samstag in Klagenfurt ihr vorletztes Testspiel gegen Österreich bestreitet (18 Uhr, ZDF).

    Manfred Call ist in Eppan der Schleusenwärter

    Eigentlich hatte sich der gelernte Jurist, der seit 24 Jahren Sportveranstaltungen organisiert, egal, ob im Fußball, Eishockey oder Handball, schon in den Ruhestand verabschiedet. Aber als sich Südtirol beim DFB um die Austragung des WM-Trainingslagers bewarb, wurde schnell klar, dass man nur mit Call als Organisationschef Chancen hat. Er ließ sich überreden und zieht wieder die Fäden – wie schon 1990, 2010 und 2014, als sich die Nationalmannschaft ebenfalls in Südtirol auf die WM vorbereitet hatte. Das habe nichts mit Aberglaube zu tun, sagt Manfred Call. Bei uns weiß der DFB einfach, dass er einen bewährten und erfahrenen Partner hat.

    Ein paar Kilometer weiter gerät Franz Moser ins Schwärmen, wenn er an die WM 1990 zurückdenkt. Italia Novanta“, Italien 90 – damit habe alles angefangen, sagt der Hotelier. In der Woche vor dem Turnierstart hatte sich Franz Beckenbauer mit seinen Männern in Mosers „Hotel Seeleiten“ oberhalb des Kalterer Sees einquartiert. Lothar Matthäus & Co. im Haus, dazu viel Polizei und hunderte Fans vor dem Eingangstor – „das waren schon aufregende Tage, sagt Moser, während er in der Hotel-Lobby an seinem Glas mit gut gekühltem Weißwein nippt. Was die Eingangskontrollen angeht, seien die Carabinieri bei jungen Damen nicht allzu streng gewesen, erzählt er und schmunzelt.

    Damenbesuch im Mannschafts-Hotel – das hält Franz Moser in der heutigen Zeit für undenkbar. Genauso wie die Männer mit Geldköfferchen, die seinerzeit durch sein Hotel geisterten und die deutschen Kicker zu neuen Vereinen locken wollten. „Da ist damals viel gelaufen“, so Mosers Eindruck. „Das gibt es heute nicht mehr. Es ist alles viel professioneller geworden.“

    Zwei Brüder, beide Hoteliers, und beide mit DFB-Erfahrung

    Moser muss es wissen. Er verfügt über Insider-Wissen. Bruder Bruno ist Besitzer des Hotels Weinegg, wo der deutsche WM-Tross residiert – wie schon 2010. Im vergangenen Jahr ist die Fünf-Sterne-Herberge aufwendig umgebaut und erweitert worden. Dafür hob der Bürgermeister sogar teilweise das Nachtarbeitsverbot auf – was nicht allen Anwohnern gefiel. Aber das ist vergessen. „Die Leute freuen sich, dass die deutsche Mannschaft da ist.“

    Der DFB war 1990 mit ihm als Gastgeber so zufrieden, dass Moser auf Einladung bei allen deutschen WM-Spielen im Stadion saß und sich als Teil des Ganzen fühlte. Auch bei der rauschenden Siegesfeier nach dem gewonnenen Finale in Rom durfte der Hotelier nicht fehlen. „Ich habe eine bleibende Erinnerung daran“, sagt Moser und zieht das Hosenbein hoch. Die Narbe am Schienbein stamme vom Weltmeisterpokal. Den hatte ihm Thomas Häßler plötzlich zugeworfen. „Ich habe ihn nicht richtig gesehen, er fiel mir auf die Füße.“ Es sei ja dunkel gewesen, und ein bisschen was getrunken habe man auch schon gehabt, entschuldigt Moser den Fehlgriff. Anschließend habe er den Pokal im Hotel-Swimmingpool versenkt. Es sei eine Riesengaudi gewesen, die fünf Kilogramm schwere Trophäe wieder herauszutauchen.

    Auch Manfred Call war 1990 dabei. Er bezeichnet sich selbst neben Andreas Köpke, damals Ersatztorhüter und heute Torwarttrainer, sowie Physiotherapeut Klaus Eder als einen „der letzten Mohikaner“, die knapp 28 Jahre nach der magischen Nacht von Rom an der WM-Mission 2018 wieder beteiligt sind. Vieles habe sich verändert, manches zum Positiven. Beckenbauers Truppe von 1990, das war Call zufolge keine echte Mannschaft, sondern „eine Interessengemeinschaft von Alphatieren, die sich nur für den Erfolg unterordneten“. Dagegen sei 2010 und 2014 schon in der Vorbereitung ein richtiger Teamgeist zu spüren gewesen. „Es gab keinen großen Star, der über allen anderen stand.“

    Dieser Geist imponiert dem Eventmanager auch in diesen Tagen wieder – was den Umgang der Spieler untereinander, aber auch das Verhalten des gesamten Betreuerstabs betrifft. „Jogi Löw und die Co-Trainer leben es den Spielern vor.“ Ob Busfahrer oder Zeugwart, jedem im Team hinter dem Team werde das Gefühl gegeben, wichtig zu sein für das große Ziel – den WM-Titel zu verteidigen. Es sind Kleinigkeiten, an denen Call das festmacht. So würden die Spieler nicht am Busfahrer vorbeigehen, ohne ihn abzuklatschen. „Die heutige Spielergeneration ist ganz anders erzogen als die vor 30 Jahren.“ Und mit anders meint Call besser.

    Über allem steht der Bundestrainer. Abgesehen vom taktischen Sachverstand wird ihm ein extrem gutes Gespür für die Gruppe nachgesagt. Löw habe sich bei der WM 2014 fast nur um die Reservisten gekümmert, hat Per Mertesacker in seinem kürzlich erschienenen Buch geschrieben. „Er hat ihre Wichtigkeit vor allen immer wieder betont.“ Mertesacker kam es so vor, als habe sich Löw gesagt, um die ersten 13 brauche er sich nicht zu kümmern, der Rest sei wichtig für ihn und müsse immer wieder gelobt werden. Der Erfolg gab ihm recht.

    Der Teamgeist also. Er wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit beschworen. Bei den Pressekonferenzen etwa mit täglich wechselnder Besetzung. „2014 – das war etwas Besonderes. Aber das hat sich auch erst mit der Zeit entwickelt. Ich bin mir sicher, dass wir wieder als Einheit auftreten werden“, sagt Julian Draxler auf dem Podium, über dem in großen Lettern „Die Mannschaft“ steht. „Das Ego-Denken hat bei uns kein Spieler“, hat Miroslav Klose, Weltmeister von 2014, der Löw diesmal als Trainer für die Offensivkräfte unterstützt, tags zuvor betont. Und Mats Hummels stellt fest, dass der Kader Qualität, Wille und Moral besitze. Aber das allein reicht nicht“, schränkt der Abwehrspezialist ein. „Das Glück ist ein sehr wichtiger Faktor.“

    Der Zufall ist ein mieser Spielverderber

    Um dem Zufall, diesem miesen kleinen Spielverderber, so wenig Chancen wie möglich zu geben, wird an jeder Stellschraube gedreht. Fitnesstrainer aus Amerika kümmern sich um die Athletik, jede Trainingseinheit wird mit Kameras aufgenommen und anschließend analysiert, auf dem Trainingsplatz unterteilen zig Linien das Grün in Flügelräume, zentrale Räume und Halbräume, um taktische Varianten besser einstudieren zu können. Zudem wurden die U20-Nationalspieler, darunter Marco Richter vom FC Augsburg, am Montiggler See unweit des Quartiers der Löw-Mannschaft versammelt. Ihr Auftrag: Als Sparringspartner sollen sie in Testpartien die Spielweisen der deutschen Vorrundengegner Mexiko, Schweden und Südkorea simulieren.

    Nein, Spanisch musste er dafür nicht lernen, antwortet Marco Richter auf die scherzhaft gemeinte Frage. Er habe gerne seinen Urlaub verschoben, um vielleicht einen kleinen Beitrag zur angestrebten Titelverteidigung leisten zu können, versichert der gebürtige Friedberger. Marco Richter bezeichnet die Testspiele als „super Erfahrung“ und zeigt sich schwer beeindruckt von der Form der WM-Kandidaten. „Ich trainiere jeden Tag mit Bundesligaprofis und habe schon gegen den FC Bayern gespielt, aber die Nationalmannschaft, das ist nochmals ein anderes Level.“ Folglich traut Richter den Deutschen in Russland sehr viel zu: „Die Jungs bringen eine unglaubliche Mentalität mit. Ich habe das am eigenen Leib gespürt.“

    Call, 64, ist Experte für eine derart heikle Mission. Eine der wichtigsten Aufgaben ist dabei die des Schleusenwärters. Täglich fragen Politiker, Geschäftsleute und Honoratioren wegen eines Fototermins mit Löw oder Spielern nach. In aller Regel leitet die grauhaarige Eminenz die Anfragen erst gar nicht an den Verband weiter. „Ich weiß, wie die Leute beim DFB ticken.

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