Es sollte fast 20 Minuten dauern, ehe einer der Journalisten eine Frage an DFB-Direktor Oliver Bierhoff stellen konnte. Die erste Phase der Pressekonferenz vor dem Freundschaftsspiel gegen Tschechien (Mittwoch, 20.45 Uhr, RTL) bestritt der 52-Jährige alleine – und arbeitete sich dabei weitestgehend an einem Thema ab: der negativen Stimmung, mit der die Auftritte der Nationalmannschaft seit der missratenen WM 2018 begleitet werden.
Leitmotiv des DFB-Direktors war dabei die mehrfach wiederholte "dunkle Wolke", die über der deutschen Auswahl seither zu schweben scheint. "Dass wir Sympathien verspielt haben und nicht mehr Deutschlands liebstes Kind sind – das ist Fakt. Aber es tut mir weh, wenn ich sehe wie gerade mit den jungen Spielern umgegangen wird und immer eine dunkle Wolke über die Nationalmannschaft geschoben wird."
Bierhoffs Appell an die Öffentlichkeit: ""Gebt den Jungs vertrauen"
Dass die Ergebnisse zuletzt nicht befriedigend waren, sei eine Sichtweise, die man beim DFB zwar auch durchaus teile. "Die Mannschaft braucht eben Erfolgserlebnisse und Sicherheit." Der emotionale Appell Bierhoffs an Journalisten und Zuschauer: "Gebt den Jungs vertrauen. Ich bin überzeugt, dass sie das zurückzahlen."
Für das Zurückzahlen von Vertrauen gibt es im Fußball bekanntlich nur eine einzige wirklich harte Währung: Siege, am besten überzeugende. Diese wurden aber zuletzt seltener: Im Corona-Jahr 2020 sammelte die DFB-Auswahl in bislang fünf Spielen nur einen Erfolg, der Rest waren Unentschieden – viel zu wenig selbst für eine runderneuerte und junge deutsche Elf. Die Anspannung und den Frust merke man den Profis in der Kabine an, so Bierhoff: "Aber sie stellen sich und gehen nicht den bequemen Weg."
Dass der Faktor Erfahrung dabei eine wichtige Rolle spielt – Bierhoff sieht das auch so: Bei der jüngsten Länderspiel-Reise hätten gerade mal vier Auswahlspieler mehr als 50 Länderspiele gehabt. "Das merkt man natürlich." Etwa dann, wenn wie beim 3:3 gegen die Türkei mehrfach ein Vorsprung verspielt wird oder das 2:1 gegen die Ukraine deutlich knapper ausfällt als nötig.
Warum spielen Müller, Boateng und Hummels immer noch keine Rolle beim DFB?
Das wiederum führt unweigerlich zur derzeit am öftesten gestellten Frage an die DFB-Führungsriege: Warum spielen die zuletzt bärenstark auftrumpfenden Mats Hummels, Jerome Boateng und vor allem Thomas Müller keine Rolle mehr in der Nationalmannschaft? Das Trio würde einerseits die sportliche Klasse, zudem auch geballte Erfahrung (Boateng hat 76 Länderspiele, Hummels 70, Müller derer sogar 100) mitbringen.
Gegenüber dem Kicker betonte Bundestrainer Jogi Löw aber erneut, dass eine Rückkehr des Trios trotz der derzeitigen Absagenflut nicht zur Diskussion stehe: "Wir haben uns grundsätzlich dazu entschieden, diese Spieler nicht zu nominieren, daran hat sich jetzt nichts geändert." Bierhoff erläuterte auf Rückfrage, woran aus seiner Sicht das Problem mit einem Comeback des Trios liegt: "Was bedeutet das für die Gruppenkonstellation? Wenn du Thomas Müller wieder holst, musst du einen gewissen Umgang mit ihm voraussetzen." Andere Spieler, die bis dato mehr Luft hätten, müssten dann zurückstecken – die Entwicklung von neuen Hierarchien sei aber eines der erklärten Ziele beim Neuaufbau nach der WM 2018 gewesen.
Müller-Comeback? Bierhoff erinnert sich an die WM 1998 und Lothar Matthäus
Bierhoff zog Parallelen zu seiner eigenen Nationalmannschaftskarriere, als Trainer Berti Vogts kurz vor der WM 1998 Lothar Matthäus wieder in die Auswahl beorderte. "Lothar war ein Top-Spieler, aber das hat etwas mit der Mannschaft gemacht." Der Erfolg mutete damals bescheiden an: Im Viertelfinale war nach einem 0:3 gegen Kroatien Schluss. Fazit von Bierhoff zu Hummels-Boateng-Müller: "Zurzeit besteht kein Handlungsbedarf."
Eben diesen gibt es aber bei der Frage, wer den verletzten Joshua Kimmich ersetzen soll. Die Verletzung des Mittelfeld-Leaders war auch für die DFB-Auswahl ein Schock. Umso erleichterter sei man gewesen, als die schlimmsten Befürchtungen sich nicht bewahrheiteten. Der 25-Jährige wurde am Sonntag am Außenmeniskus des rechten Knies operiert und fällt bis Januar aus. "Jo geht’s gut, er ist voll guter Dinge und brennt schon wieder", sagte Bierhoff nach einem Telefonat mit dem Bayern-Spieler. Zumindest in dieser Angelegenheit sind die Wolken maximal dunkelgrau.
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