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Nachruf: Zum Tod von Diego Maradona: Die Last des Lebens als Fußball-Gott

Nachruf

Zum Tod von Diego Maradona: Die Last des Lebens als Fußball-Gott

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    Diego Maradona ist im Alter von 60 Jahren gestorben.
    Diego Maradona ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Foto: Alessandro Di Meo, dpa

    Für längere Zeit nichts von Diego Maradona gehört zu haben war für alle, die den zeitweise genialsten Fußballer auf diesem Planeten für seine Werke bewunderten, ein gutes und ein schlechtes Zeichen. Ein gutes, weil Nachrichten aus seinem Leben selten erfreulich, häufig befremdlich und gelegentlich lebensbedrohlich waren. Ein schlechtes, weil Anhänger immer die Sorge umtrieb, einer seiner vielen Akte der Selbstzerstörung könnte der letzte gewesen sein und dann von der argentinischen Regierung geheim gehalten werden, um dem darbenden Land eine wenigstens einmonatige Staatstrauer zu ersparen. Jetzt ist das Befürchtete geschehen: Diego Armando Maradona ist tot. Weltmeister, Serienmeister, UEFA-Cup-Sieger, Dopingsünder, gescheiterter TV-Moderator und Kokain-Junkie in Personalunion – eigentlich viel zu viel für ein einziges Leben. Erst kürzlich hatte er einen Krankenhausaufenthalt überstanden. Argentinien weint.

    Seit Diego Maradona nicht mehr spielte, war sein Leben in Gefahr

    Maradona war am 11. November, gut eine Woche nach der Operation wegen einer Hirnblutung, aus einem Krankenhaus entlassen worden. Zunächst war von emotionalem Stress, Blutarmut und Dehydrierung die Rede. Bei den Tests wurde dann eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirn festgestellt. Maradona habe den möglicherweise schwierigsten Moment seines Lebens überstanden, erklärte sein Anwalt Matías Morla.

    Man muss es so sagen: Seit Maradona nicht mehr Fußball spielte, war sein Leben ständig in Gefahr. Es war aus dem Leim gegangen wie er selbst. Drogen, Vaterschafts- und Steuerprozesse, Herzprobleme, Fressanfälle – wieder

    Diego Maradona war ein Fußball-Gott

    Er halte sich für Gott, hieß es irgendwann. Fußballgott war er schon vorher gewesen. Deren Rückkehr ins Irdische erfolgt selten ohne Brüche. Oft sitzen sie noch in den Stadien, wenn das Leben schon weitergezogen ist. Sie wissen nicht, wohin. So bleiben sie einfach. Maradona blieb Spieler, auch als er Trainer war. Er war Moderator einer dämlichen Fernsehshow, für die halb Argentinien sich die Nacht um die Ohren schlug. Eine Comicfigur. Ein Kind im Körper einer Kugel, das noch immer gerne mit Autos und Panzern spielt.

    Als Vorstandsvorsitzender und Repräsentant von Dynamo Brest ließ er sich im Sommer 2018 in einem Hybridfahrzeug chauffieren, das zweifellos etliche Jahre Kriegserfahrung besaß. Weil Maradona im kleinen Zeh noch immer mehr Ballgefühl besaß als die meisten Nachgeborenen in beiden Füßen, zog es ihn wieder an den Spielfeldrand.

    Im September 2019 heuerte er bei Gimnasia y Esgrima la Plata an, dem damaligen Tabellenletzten der argentinischen Primera División. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, Vereine alle paar Monate zu wechseln, saß er dort bis zuletzt auf der Bank. Vor drei Wochen wurde Maradona 60 und nicht jeder seiner Anhänger war sich sicher gewesen, dass der Argentinier diesen Geburtstag erreichen würde.

    So begann das Leben von Diego Maradona: Am Stadtrand von Buenos Aires

    Das verrückte Leben des Goldjungen („El Pibe de Oro“) hatte in der Siedlung Villa Fiorito am Stadtrand von Buenos Aires begonnen, wo er früh von den Talentspähern des Erstligisten Argentinos Juniors entdeckt wurde. Er war das fünfte von acht Kindern eines Fabrikarbeiters. Als zwölfjähriger Balljunge unterhielt er die Zuschauer mit seinen Kabinettstückchen während der Halbzeitpausen. Der Ball lief ihm wie ein dressierter Hamster um den Körper.

    Mit 15 debütiert der Goldjunge in der Ersten Liga, mit 16 ist er Nationalspieler, mit 17 Torschützenkönig und als 19-Jähriger erstmals Südamerikas Fußballer des Jahres – Stationen eines Fußball-Wunderkindes. 1982 schließt er sich für die damalige Rekordablösesumme von 7,3 Millionen Dollar dem FC Barcelona an. Zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weitere Rekordablöse von umgerechnet zwölf Millionen Euro geht es zum SSC Neapel. Nicht zu den großen Klubs im Norden Italiens, sondern zum verspotteten Fast-Absteiger in den verachteten Süden. „Kloake

    Der deutsche Abwehrspieler Guido Buchwald hinten deckt den argentinischen Kapitän Diego Maradona im WM-Finale in Rom am 08.07.1990.
    Der deutsche Abwehrspieler Guido Buchwald hinten deckt den argentinischen Kapitän Diego Maradona im WM-Finale in Rom am 08.07.1990. Foto: Frank Kleefeldt, dpa

    Die Hand Gottes: Diego Maradona zwischen Schlitzohr und Genie

    Schon bei seiner Begrüßung hatten mehr als 70.000 Fans ihn im Stadio San Paolo empfangen. Mit Argentinien wird er 1986 Weltmeister. Gegen England zeigt sich in einem Spiel das ausgekochte Schlitzohr Maradona, als er einen Ball mit der Hand ins Tor bugsiert („Hand Gottes“) und andererseits das Genie, das in einem mitreißenden Sololauf das „WM-Tor des Jahrhunderts“ erzielt. 1989 gewinnt er mit Neapel auch noch den Uefa-Pokal. Abseits des Platzes wird Maradona genauso unkontrollierbar wie für seine Gegenspieler. Er verfällt dem Kokain („Eine Linie – und ich fühlte mich wie Superman“), zieht von Sonntagabend bis Mittwoch um die Häuser. Seine Nationalmannschaftskarriere endet bei der WM 1994 mit einem positiven Dopingtest.

    2008 legt ihm Argentinien seine Nationalmannschaft zu Füßen. Ein Experiment, das nach eindreiviertel Jahren zu Ende geht, was nicht zuletzt an den feinen Unterschieden im Fußballwesen zwischen dem verspielten Goldjungen und der humorlosen Prägung der argentinischen Kicker liegt. Was ihnen fehlt, ist das kindlich Verspielte, das Leichte und Ziellose, wie es ihre brasilianischen Nachbarn besitzen, am Ball und im Leben. Das alles hat keinen Platz neben der Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Dinge betreiben. Man hüte sich deshalb, sie zu reizen. Es könnte sein, dass sie, wie auch einst Maradona, zum Luftgewehr greifen. Wer die Beziehung der Argentinier zum Fußball stört, kann auch einen Stier am Schwanz ziehen.

    Diego Maradona: War ihm geben wichtiger als nehmen?

    Die Deutschen haben das 2006 nach dem gewonnenen Elfmeterschießen erlebt. Da genügte ein falscher Blick, der eine mittelschwere Keilerei auslöste. Eine Demütigung, wie sie die Brasilianer beim 1:7 gegen Deutschland erlebt haben, würden die Argentinier nicht hinnehmen. Wenn Argentiniens Fußball untergeht, dann aufrecht – und frei nach dem alten Boxer-Motto, demzufolge Geben seliger als Nehmen ist. Im Kern war das auch Maradonas Lebensplan – nur alles mit Vergnügen bitteschön. So ähnlich muss der Goldjunge auch seine Familienplanung verstanden haben. Mit seiner ersten Frau hatte er zwei Töchter. Aus zwei weiteren Beziehungen entstanden zwei Söhne und eine Tochter. Im März 2019 bekannte sich Maradona zur Vaterschaft von drei weiteren Kindern aus der Zeit seiner Kuraufenthalte in Kuba zu Beginn der 2000er Jahre.

    Wie feierte der achtfache Vater seinen Geburtstag? Offenbar bei bester Gesundheit, wenn man Instagram glauben durfte. Man sah ihn mit einem kleinen Hund auf dem Arm und einer Taktiktafel im Garten. Auf den Fotos wirkte er schlank und fit. Eine Täuschung. Maradona ist tot. „Diego hatte ein Leben wie ein Traum. Und wie ein Albtraum. Er lebte jeden Moment, als wäre es sein letzter“, sagte sein langjähriger Fitnesstrainer Fernando Signorini. Nicht nur Argentinien weint jetzt um einen der besten Fußballer aller Zeiten.

    Ein Fan mit einem Trikot der Argentinos Juniors kniet vor einem Wandgemälde mit der Abbildung von Diego Mardona in Buenos Aires. Die argentinische Fußball-Legende ist im Alter von nur 60 Jahren gestorben.
    Ein Fan mit einem Trikot der Argentinos Juniors kniet vor einem Wandgemälde mit der Abbildung von Diego Mardona in Buenos Aires. Die argentinische Fußball-Legende ist im Alter von nur 60 Jahren gestorben. Foto: Gustavo Ortiz/dpa

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