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Nachruf: Sie lehrte die Nazis das Fürchten

Nachruf

Sie lehrte die Nazis das Fürchten

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    Gretel Bergmann
    Gretel Bergmann

    Sie hatte es sich geschworen nach ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten im Jahr 1937: Nie mehr wollte sie deutschen Boden betreten. Mehr als 60 Jahre blieb Gretel Bergmann ihrem Schwur treu. Die Nationalsozialisten hatten es einer der weltbesten Hochspringerinnen verwehrt, 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teilzunehmen, weil sie eine Jüdin war. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Verbitterung darüber gewichen war. „Ich habe gemerkt, was ich für ein Narr gewesen bin, gegen all die Leute was gehabt zu haben, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun hatten.“ Das sagte Bergmann im April 2014 in einem Interview mit unserer Zeitung aus Anlass ihres 100. Geburtstags. Am Dienstag ist die Frau, die im oberschwäbischen Laupheim als Tochter eines Haarfabrikanten zur Welt kam, im New Yorker Stadtteil Queens gestorben. „Bis wenige Wochen vor dem Ende war sie gesund. Am Ende war sie sehr friedlich. Es gab keinen Schmerz“, bestätigte Gary Lambert – einer der beiden Söhne – den Tod der Mutter.

    Zweimal hat es Bergmann noch geschafft, ihre Heimatstadt zu besuchen – 1999 und 2003. Dem war ein fast zwei Jahrzehnte andauernder Briefwechsel mit dem damaligen Vorsitzenden des örtlichen Turn- und Sportvereins vorausgegangen. Dessen Sohn Burkhard Volkholz kann sich an die beiden Besuche gut erinnern. „Ich weiß noch genau, wie ich Gretel Bergmann am Bahnhof in Ulm abgeholt habe. Es war ein ergreifender Moment.“

    Eine „beeindruckende Persönlichkeit“ hat der Sprecher des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, Joachim Rüeck, im Jahr 2015 kennengelernt. Er nutzte eine private Urlaubsreise nach New York, um dieser außergewöhnlichen Sportlerin die eben in Deutschland erschienene Neuauflage ihrer Autobiografie „Ich war die große jüdische Hoffnung“ zu überreichen. „Sie war glücklich, dieses Buch noch in Händen halten zu dürfen“, sagt Rüeck.

    Wie rücksichtslos die Nazis mit Bergmann umgegangen sind, sieht man an deren perfidem Plan. Bergmann, die in Laupheim und später in Ulm trainierte, wurde nach der Machtergreifung Hitlers aus dem Sportverein geworfen. Die Eltern schickten sie zum Studieren nach England. Ihrem Sport blieb die junge Frau treu und wurde 1934 britische Hochsprungmeisterin. Der Vater holte sie nach Deutschland zurück – nicht freiwillig. Das Nazi-Regime war unter Druck geraten, da die USA und andere Länder mit dem Boykott der Olympischen Spiele in Berlin drohten, falls Bergmann daran nicht teilnehmen dürfe.

    Die damals 22-jährige Sportlerin hatte fünf Wochen vor den Spielen mit 1,60 den deutschen Hochsprungrekord eingestellt. Per Brief lehnte Mitte Juli 1936 der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen Bergmanns Teilnahme an Olympia ab – wegen zu schwacher Leistungen. Die Absage kam spät genug: Das US-Team war bereits mit einem Dampfer nach Europa unterwegs.

    Erst vor einigen Jahren erfuhren Gretel Bergmanns Leistungen bundesweit Anerkennung. 2009 fügte der Deutsche Leichtathletik-Verband ihren Rekordsprung von 1936 seinen Statistiken hinzu. 2012 wurde sie in die deutsche Hall of Fame des Sports aufgenommen. Bei der Leichtathletik-EM 2018 soll ihr Leben gewürdigt werden – in Berlin.

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