Katarina Witt musste erst einmal tief durchatmen. Nur langsam wich die Anspannung, die sich den ganzen Tag über bei ihr angestaut hatte. Vorsichtig wischte sich die ehemalige Eiskunstläuferin eine Träne aus dem Augenwinkel, ehe sie vor die Kameras trat. Die Enttäuschung über die Absage des Internationalen Olympischen Komitees an München als Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2018 saß tief bei der Vorsitzenden des Kuratoriums der Bewerbungsgesellschaft. Wie kein anderer hatte Witt in den vergangenen Monaten für die Bewerbung Münchens gestanden. Wie kein anderer litt sie gestern unter der Niederlage.
Als Witt aus dem Konferenzsaal kam und vor die zahlreichen Kameras und Mikrofone trat, waren die Tränen noch lange nicht getrocknet. Trotzdem mühte sie sich um eine realistische Einschätzung und rang um Worte. „Vielleicht waren die Entscheidungen doch schon vorher gefallen“, sagte sie und gratulierte dem Gewinner Pyeongchang. Erhobenen Hauptes könnten sie und das ganze Bewerbungsteam Durban verlassen. Eine „brillante“ Präsentation habe die Meinung bei den IOC-Mitgliedern nicht mehr ändern können. „Wir haben keine Frage unbeantwortet gelassen. Wir waren ein tolles Team und sind in den vergangenen Tagen und Wochen noch enger zusammengewachsen. Deshalb schmerzt dieses Ergebnis umso mehr.“ Witt, ansonsten immer schlagfertig und um keine Antwort verlegen, zog sich bald schon in einen abgesperrten Bereich zurück.
Draußen, im grellen Scheinwerferlicht, beantworteten andere die Fragen der Journalisten. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sowie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) standen dabei in seltener Eintracht nebeneinander und sprachen sich gegenseitig Komplimente aus. Der Freistaat habe die Bewerbung hervorragend unterstützt, sagte Ude. München habe sich, und damit auch Bayern, ausgezeichnet in der ganzen Welt repräsentiert, sagte Seehofer.
Und auch im Ausmaß ihrer Enttäuschung gingen die beiden im olympischen Gleichschritt einher. „Wir haben in den letzten Jahren sehr kräftig die Ärmel hochgekrempelt. Da ist es doch klar, dass ich sehr enttäuscht bin“, sagte Ude. Seehofer nickte bei diesen Worten zustimmend und sprach von deutlich spürbarer Enttäuschung.
Einige Meter und knapp ein Dutzend Mikrofone weiter dozierte DOSB-Präsident Thomas Bach zeitgleich über die sportliche Wertigkeit eines zweiten Platzes. „Das war eine Niederlage. Und da kommt es nicht darauf an, ob es im ersten oder zweiten Durchgang passiert“, sagte er. „Wie bei Olympia geht es hier nur um die Goldmedaille.“ Der ehemalige Olympiasieger im Fechten wirkte gefasst, als er die Gründe für die Pleite Münchens analysierte. „Man hat sich entschieden, in neue Regionen und Märkte zu gehen.“ Und auch Bach wollte einen starken Mitleidsfaktor für Südkorea in den Reihen des IOC ausgemacht haben.
Die ganze Chancenlosigkeit Münchens hatte sich schon unmittelbar nach der Wahl abgezeichnet. Als feststand, dass die Entscheidung im ersten Wahlgang gefallen war, machte sich im deutschen Lager bittere Ernüchterung breit.
Die bayerischen Skilegende Markus Wasmeier gratulierte Pyeongchang gar schon vor der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses zum Sieg. München hatte darauf gehofft, den ersten Wahlgang zu überstehen und danach aus dem Lager der Annecy-Wähler entscheidende Unterstützung zu bekommen. Dieser Plan misslang gründlich.
Pyeongchang hat seit zehn Jahren darauf gewartet
Pyeongchang dominierte die Wahl in beeindruckender Art und Weise. Schon im Vorfeld hatten sich die Südkoreaner in Durban mit großem Selbstbewusstsein und in noch größerer Anzahl präsentiert. Neben dem Pressezentrum war auch der gesamte Kongressbereich fest in Hand der stets freundlichen und zuvorkommenden Asiaten. Diese blieben selbst im Moment des Erfolgs zurückhaltend und wedelten mit kleinen Fähnchen in die Kameras. „Die Koreaner haben seit zehn Jahren darauf gewartet, die Winterspiele auszurichten“, sagte der Leiter des südkoreanischen Bewerbungskomitees, Cho Yang Ho. „Jetzt wird unser Traum endlich wahr.“
Ob für München der olympische Traum mit einer Verzögerung von vier Jahren wahr wird, war gestern noch unklar. Nächste Woche wolle man sich zusammensetzen und über einen erneuten Versuch für 2022 beraten, kündigte Bach an. Einig waren sich alle Beteiligten nur darin, dass München trotz des negativen Votums profitiert habe. Immerhin 33 Millionen Euro hatte die weltweite Werbekampagne gekostet, 27 Millionen davon wurden von Sponsoren finanziert. Für den Rest muss der Steuerzahler aufkommen.
Dieses Geld sei gut angelegt gewesen, war einhellige Meinung in Reihen der deutschen Delegation. Und vielleicht hat München beim nächsten Mal einen Vorteil auf seiner Seite, der mit Geld nicht zu bezahlen ist: den Mitleidseffekt. Wer Katarina Witt weinen sah, könnte gut daran glauben.