Jürgen Bühl sitzt im dritten Stock eines Bürogebäudes im Münchner Nordwesten. Er schaut von seinem Schreibtisch aus auf das rund einen Kilometer entfernte Olympiastadion. Eine Aussicht, die er nicht mehr lange genießen kann. Auf dem Stuhl des Chefs der Bewerbungsgesellschaft München 2018 klebt ein Strichcode - wie auf all seinen Büromöbeln. Das Inventar der Gesellschaft wird versteigert. Am Donnerstag endet die Internetauktion und führt dem 42-Jährigen noch einmal vor Augen, dass sein Traum geplatzt ist. Die Olympischen Spiele 2018 werden nicht in München ausgetragen. Die angedachte Eröffnungsfeier im Olympiastadion bleibt ein Gedankenspiel.
"Es ist ein komisches Gefühl"
Zweieinhalb Jahre hat er mit seinem Team dafür gekämpft, die Olympischen Winterspiele nach München zu holen. In dem Gebäudekomplex aus Glas und Sichtbeton breitete sich die Gesellschaft über drei Stockwerke aus. Bis zu 70 Mitarbeiter verfolgten das gemeinsame Ziel. Jetzt arbeitet Bühl noch mit zwei Kollegen zusammen. "Es ist ein komisches Gefühl. Vorher ist es hier zugegangen wie im Taubenschlag", sagt er.
Schmerzhafte Lebkuchen
An der Stehlampe neben seinem Schreibtisch baumeln Lebkuchenherzen. Auf jedem ist eine Botschaft an einen Mitbewerber gerichtet. "Thank You Pyeongchang" ziert in Zuckerguss-Schrift eines der Herzen. Der südkoreanische Landkreis hatte sich Anfang Juli deutlich gegen die anderen Bewerber durchgesetzt. Bereits beim ersten Wahlgang in Durban entschied sich das Internationale Olympische Komitee für den Konkurrenten und ließ München keine Chance. Die erste Reaktion von Bühl war allerdings weniger versöhnlich als die Zuckerguss-Botschaft: "Ich habe geflucht. Wenn man zweieinhalb Jahre von der Freizeit bis zur Familie alles liegen lässt, ist so ein Moment ein richtiger Schlag in die Magengrube."
Liquidator und Abwickler
Die Niederlage hatte erhebliche Konsequenzen für seine Arbeit. Anstatt an der Verwirklichung seines Traums mitzuwirken, muss er jetzt für dessen Auflösung sorgen. Bühl ist mittlerweile Liquidator und verantwortlich für die Abwicklung der Bewerbungsgesellschaft. Bis zum 31. Oktober soll München 2018 aus dem Handelsregister gelöscht werden. Bühls Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Bis dahin will er das meiste erledigt haben.
"Vielleicht knapp drunter"
Derzeit kümmert er sich vor allem um Finanzielles: "Ein Großteil der Post sind Rechnungen." Wie viel von den 33 Millionen Euro für die Bewerbung am Ende übrig bleibt, weiß er noch nicht. "Vielleicht bleiben wir knapp drunter", sagt er. Es gehe aber nicht um Millionensummen. Rund 80 Prozent des Bewerbungsgeldes stammen von Sponsoren, die öffentliche Hand ist mit 6,7 Millionen Euro beteiligt, wovon 4,1 Millionen von der Stadt München getragen werden. Der mögliche Restbetrag würde an die Gesellschafter zurückfließen, die momentan über eine erneute Bewerbung für 2022 diskutieren. Eine Entscheidung soll im ersten Quartal 2012 fallen.
Mobiliar bald verschwunden
Bis dahin soll auch das Mobiliar aus Bühls Büro verschwunden sein. Es kann zwar schon bis Donnerstag (20. Oktober) ersteigert werden. In einem leeren Raum sitzt der studierte Politikwissenschaftler danach aber nicht. "Meine Möbel können erst abgeholt werden, wenn ich hier raus bin", sagt er. Andere Schreibtischstühle, Fotokameras, Laptops oder Werbebanner aus der Auktion sind schon vorher abholbereit. Sind sie erst weg, wird es noch leerer um Bühl herum. Er schaut wieder aus dem Fenster zum Olympiastadion. Auf seinem Schreibtisch liegen Rechnungen. "Wir haben noch viel zu tun", sagt er, "auch wenn es eine andere Arbeit ist, als wir sie uns gewünscht haben." (dapd)