In England ist das Wetter immer ein Thema. Erst recht, wenn auf der Insel die Sonne lacht und damit all die Spötter eines Besseren belehrt werden, die das Königreich ganzjährig unter dem Regenschirm wähnen. Daniel Abt, als Allgäuer den Unbilden des Wetters oft genug ausgesetzt, strahlt an diesem sonnigen Spätsommertag im mittelenglischen Derby übers ganze Gesicht, als sein Vater Hans-Jürgen auf ihn zukommt, ihn herzlich umarmt und Daniel Abt sogleich frotzelt: „Schlechtes Wetter daheim, oder? Hier ist es seit fünf Tagen schön.“
Das hört der Papa gern, wenngleich es Hans-Jürgen Abt bei seiner Stippvisite an die Rennstrecke Donington Park nicht vordergründig um das Wohlbefinden seines 21-jährigen Sprösslings geht. Das Private muss hintanstehen. Es geht ums Geschäft, genauer gesagt um das vielleicht größte Geschäft, das die Familie Abt in der 60-jährigen Motorsport-Geschichte des Kemptener Unternehmens eingegangen ist: den Einstieg in die Formel E, einer weltweiten Rennserie mit Fahrzeugen, deren Motoren statt mit Benzin mit Strom angetrieben werden.
Start der Formel E: "Ein historisches Ereignis"
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Das ist das Geräusch, das an diesem Tag 8000 Engländer an die Rennstrecke nach Donington lockt. Nicht nur Fans sind zum letzten Testtraining gekommen, sondern auch zahlreiche Journalisten und Fernseh- und Radioteams, um vor dem Saisonstart Mitte September in Peking über die Weltneuheit zu berichten. Der aus Indien angereiste Radioreporter spricht von „einem absolut historischen Ereignis“ und die ähnlich wie die Rennautos aufgemotzte 1,90-Meter-Blondine eines privaten italienischen TV-Senders haucht ein „Fantastico“ ins Mikrofon, als Ex-Formel-1-Fahrer Jarno Trulli seinen Boliden auf die Rennstrecke lenkt.
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Der Ton der Elektronik-Rennautos gleicht einem Pfeifen. „Ich weiß auch nicht so recht“, sagt Abt-Technikkoordinator Albert Deuring, „es ist so ein Zwischending aus dem hochfrequenten Surren einer Stechmücke und dem Start einer Silvesterrakete.“
Abt Sportsline wird von der Schaeffler-Gruppe gesponsert
Lästig oder gar bedrohlich klingt es allerdings nicht, wenn die knallbunt lackierten Abt-Autos die Box verlassen. Daniel Abt ist jetzt an der Reihe und sein Team-Kollege Lucas di Grassi findet Zeit, mit Teamchef Hans-Jürgen Abt übers Wetter, die letzten Testtage und die Renntaktik zu diskutieren. Hitzig debattiert der 30-jährige Brasilianer mit Abt und Sportdirektor Thomas Biermaier zum Beispiel darüber, ob die Anzeige im Cockpit, wie viel Strom der Fahrer pro Runde verbrauchen darf, überhaupt richtig sei. „Wir fahren doch 13 Runden und nicht bloß zwölf“, mokiert sich di Grassi. Biermaier winkt ab. „Hier zählt doch die Einfahrrunde nicht mit.“
Doch für tiefgründigere Analysen bleibt jetzt keine Zeit. Es ist 13 Uhr – und im Logbuch der Äbte steht ein Pressetermin auf dem Programm. Hans-Jürgen Abt und sein Marketing-Chef Harry Unflath hatten beim Flug von Memmingerberg nach Derby extra eine Zwischenlandung mit ihrer privat gecharterten Maschine auf Sylt eingelegt, um den dort urlaubenden Vorstand der Schaeffler-Gruppe, Professor Peter Gutzmer, abzuholen und mit nach Donington zu nehmen.
Der Chef des weltweit tätigen Maschinenbau-Konzerns und Automobilzulieferers aus Herzogenaurach durfte als neuer Sponsor nicht nur die flugs in den Firmenfarben gelb-grün umlackierten Heckpartien der Autos bewundern, sondern zusammen mit den Abt-Fahrern und -Verantwortlichen auch noch fotografenwirksam einen Sponsoren-Vertrag unterzeichnen.
Abt zur Formel E: "Dabei sein, um die Dinge mitzugestalten"
Über die Höhe des Sponsorings schweigen beide Firmen ebenso wie über das Budget, das die neunmonatige Welt-Tour mit den zehn Rennen in neun Ländern verschlingt. Gutzmer, der sich seit Jahren für die Elektromobilität stark macht, ist begeistert von der Formel E: „Diese Rennserie ist mutig und visionär.“ Der Motorsport sei ideal, um die Fortentwicklung neuer Technologien zu beschleunigen. Gutzmer ist überzeugt davon, dass die Formel E das Thema Elektromobilität „auf faszinierende Art und Weise mit Emotionen auflädt.“
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Von der Emotion hat sich auch Hans-Jürgen Abt leiten lassen, als er im Dezember vergangenen Jahres seine Bewerbungsunterlagen beim Internationalen Automobilverband FIA einreichte. „Natürlich haben wir lange überlegt. Aber um die Dinge aktiv mitgestalten zu können, musst du von Anfang an dabei sein.“
Die Vergangenheit habe gezeigt, dass vor allem die mutigen Entscheidungen meist die erfolgreichsten für das Unternehmen Abt waren. Das war bei den Tourenwagenserien STW und DTM so – und auch bei der ersten Rennserie mit Erdgas-Autos, dem Scirocco R-Cup gaben die Äbte von Beginn an Vollgas. So auch jetzt bei der Formel E: „Wir glauben an den Erfolg dieser Rennserie und sind stolz, das einzige deutsche Team bei dieser Weltmeisterschaft zu sein“, sagt Hans-Jürgen Abt.
Das Konzept, mit den Rennen in die Zentren der Großstädte zu gehen, hält er für ebenso sinnvoll wie das straffe Programm. Training, Qualifying, Rennen und eine anschließende Show mit wechselnden Weltstars – das alles soll an einem Tag durchgezogen werden. „Damit dürften wir den Nerv der Menschen treffen. Und nebenbei zeigen, dass leisen und CO2-neutralen Elektroautos in Städten die Zukunft gehört.“
Formel E: Nach 20 Minuten muss der Fahrer das Auto wechseln
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Daniel Abt kommt von seiner letzten Runde. Drei Mechaniker schieben sein Auto in die Box. Für einen Rückwärtsgang, denkt sich der Laie, hat es nicht mehr gereicht. Abt junior wäre aber auch nicht der Erste, dem auf den letzten Metern der Saft ausgeht. „Wer es bei den Überholvorgängen auf den engen Stadtkursen übertreibt, bleibt in der letzten Runde schon mal stehen“, weiß Daniel Abt um die Schwierigkeiten seiner neuen Aufgabe. Die 365 Kilo schwere Batterie ist das Herzstück der Rennautos. „Da gibt’s schon noch kleine Kinderkrankheiten“, sagt Abt. Dass die Akkus nach zwanzig Rennminuten ohnehin leer sind, wurde von den FIA-Funktionären geschickt ins Reglement eingebaut. Der Fahrer muss an die Box, den Wagen wechseln, mit Auto Nummer zwei und geladener Batterie den zweiten Teil des Rennens in Angriff nehmen.
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Auch für Lucas di Grassi ist für heute Schluss. Seine Ingenieure recken den Daumen nach oben. Er und Daniel Abt seien bei den Tests immer bei den Topleuten dabei gewesen. Zeit also, sich noch einmal der Optik seines Autos zu widmen. Er, der Brasilianer im einzigen deutschen Team, liebe die Farben und die Formen des Autos. Sie würden ihn an die Frauen beider Länder erinnern. Vorne (schwarz-rot-gold) schön schmal, hinten (gelb-grün) ... Di Grassi hat die Lacher auf seiner Seite. Bis sein Chef Thomas Biermaier den Vorschlag macht, seine Nummer 66 doch durch die 71 zu ersetzen. Vorne 7 (Deutschland), hinten 1 (Brasilien).