Kaum jemand würde es wagen, eine Olympiasiegerin als „Mischung aus Genie und irrer Ziege“ zu bezeichnen. Doch wenn einer das darf, dann Hans Günter Winkler. Schließlich kannte der Springreiter seine eigenwillige braune Hessen-Stute Halla besser als jeder andere. Ihr hatte er es zu verdanken, dass er Deutschlands erfolgreichster Springreiter der 1950er und 60er Jahre wurde. Mit ihr gelang es ihm, ein Drama, das die Welt 1956 gebannt vor den Bildschirmen verfolgte, zu einem wunderbaren Happy End zu führen.
Bei den Olympischen Spielen in Stockholm lag die deutsche Springreiter-Equipe auf Goldkurs. Alles hing vom letzten Reiter ab, dem damals 30-jährigen Hans Günter Winkler. Doch der hatte sich am Morgen einen schweren Muskelriss in der Leiste zugezogen und schaffte es vor dem letzten Durchgang nur unter größten Schmerzen überhaupt aufs Pferd. Unter dem Einfluss von starken Medikamenten hielt sich Winkler gerade so im Sattel, konnte sein Pferd aber kaum mittels reiterlicher Hilfen durch den Parcours führen. Doch als wenn sie wüsste, worauf es ankommt, überwand Halla fehlerfrei alle Hindernisse, auf die sie Winkler unter Schmerzensschreien zusteuerte. Der Lohn: Doppel-Gold. Winkler wurde Olympiasieger, sowohl mit der Mannschaft als auch im Einzel.
ARD-Reporter schwärmt vom Gold-Ritt
Schwärmend, ja nahezu lyrisch kommentierte Hannes Stein als ARD-Reporter damals den Gold-Ritt des deutschen Paares: „Halla, was geht in dir treuem Pferd jetzt vor? Alle unsere Wünsche, Hoffnungen, Gedanken sind bei dir, und Halla ist ein Pferd, das über alle Weiten fliegen kann, und dabei geht sie so, dass wir meinen, sie lacht mitunter.“ Die Legende von „Halla, der Wunderstute“ war geboren.
Auch Hans Günter Winkler erzählte gern von seinem sprunggewaltigen Pferd, deren lebensgroßes Bronzeabbild heute vor dem Haupteingang am Sitz der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf steht. „Dieses wunderbare Pferd machte mir die größte Liebeserklärung, indem es am langen Zügel nur begleitet von meinen Schmerzensschreien über jeden Sprung ohne Fehler ging“, erzählte er auch viele Jahre später noch.
Acht Fohlen und 125 siegreiche Springen
Halla starb 1979 im hohen Alter eines Pferdes von 39 Jahren – nach acht Fohlen und insgesamt 125 siegreichen Springen. Bis heute bleibt sie einmalig, denn die FN hat beschlossen, dass kein Turnierpferd mehr unter dem Namen Halla eingetragen werden darf. Winkler selbst wurde mit seinem olympischen Husarenritt schlagartig weltberühmt, obwohl er schon zuvor ein erfolgreicher Springreiter war. Im sich langsam aufbauenden Nachkriegsdeutschland ritt er die ersten Turniere, holte schnell Topergebnisse und rückte in die deutsche Springreiter-Equipe auf. Sieben olympische Medaillen und zwei Weltmeistertitel sammelte er mit unterschiedlichen Pferden. Dreimal gewann er den renommierten Großen Preis von Aachen, bevor er sich 1986 aus dem aktiven Sport zurückzog.
Danach engagierte er sich mit seiner Sport-Agentur HGW unter anderem als Turnierorganisator und Förderer des Scharlachrennens in Nördlingen und pflegte gute Kontakte zum Fürstenhaus Oettingen-Wallerstein. 2018 verstarb HGW, wie ihn seine Freunde nannten, zwei Wochen vor seinem 92. Geburtstag. Doch die Legende von Winkler und seiner Wunderstute Halla wird auch nach ihnen weiter erzählt werden.
Dieser Text ist Teil der Serie "Momente für die Ewigkeit", mit der wir spezielle Ereignisse der Sportgeschichte würdigen. In dieser Serie sind bislang erschienen:
- Dieter Baumanns Rekordlauf bei Olympia 1992: Die Lücke zum Gold
- Als Boris Becker die Tennis-Welt in Staunen versetzte
- WM 2006: Wen Jens Lehmann gegen Argentinien auf dem Zettel hatte
- Als Michael Schumachers Rammstoß gegen Jacques Villeneuve schiefging
- Tour de France 1997: Als Riis nickte und Jan Ullrich alle abhängte
- EM-Finale 1976 in Belgrad: Als Uli Hoeneß den Elfmeter verschoss
- Vier Minuten und 38 Sekunden Ekstase: Als Schalke "Meister der Herzen" wurde
- Nia Künzers irrwitziger Auftritt im Strafraum
- Als Muhammad Ali "Karl den Großen" Mildenberger adelte
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