Boris Becker reißt die Arme nach oben. Der Schläger schwingt in seiner linken Hand. Der Aufschlag hatte seinen Gegner Kevin Curren weit nach außen getrieben. Zu weit, er kann den Ball nicht mehr ins Feld bringen. In diesem Moment weiß Becker, weiß die Welt: Er ist der jüngste Wimbledon-Champion. Mit 17 Jahren. Es war am 7. Juli 1985.
Es war ein unvergleichlicher Triumph. Eine Sensation. Becker fährt sich durchs Haar. Am Netz streckt er Curren die Hand entgegen. Der Außenseiter hat gewonnen. Wenig später steht er mit der goldenen Trophäe auf dem heiligen Rasen. Becker hat das bedeutendste Tennisturnier der Welt gewonnen. In einem so jungen Alter wie keiner vor und bislang keiner nach ihm.
Becker beschreibt seine Stärken: "Ein Instinkt, der mich im entscheidenden Moment das Richtige tun lässt"
Becker, der Junge mit den roten Haaren, hatte während des Turniers Höhen und Tiefen. Das sollte bei einem 17-Jährigen nicht verwundern. Und schon gar nicht bei einem, dessen Spiel auf Kraft und Kampfeswille ausgelegt ist. Becker hat mit seinem Auftreten die Tenniswelt erstaunt, ja beinahe revolutioniert. Wie er die Aufschläge über das Netz hämmerte und selbst unerreichbar scheinenden Bällen hinterherjagte. Plötzlich flog da einer über den Rasen, als sei er Fußball-Torwart. Der Becker-Hecht war geboren. Er selbst sagte hinterher über seine Stärken: "Ein Instinkt, der mich im entscheidenden Moment das Richtige tun lässt. Ein Herz, das eine Niederlage nicht zulässt, obgleich ich nicht immer gewinnen kann. Und eine Seele, die unerschütterlich ist, auch wenn der Körper manchmal schwach ist."
Und sein Körper war schwach. Seine Bänder schmerzten. Gegen Joakim Nyström rettet ihn der Regen vor dem Aus. Nach der Unterbrechung gewinnt der Leimener das Drittrundenmatch mit 9:7 im fünften Satz, nachdem er zuvor drei Matchbälle abgewehrt hatte. Da war er, der Kampfgeist. Am Abend liegt Becker im Bett. Er hat erhöhte Temperatur und Schüttelfrost. Am nächsten Tag soll er gegen Tim Mayotte spielen. Unmöglich? Nicht mit Becker. Ein guter Schlaf helfe ihm immer, sagt er. In der Tat. Becker gewinnt den ersten Satz, gibt die zwei folgenden aber ab. Im vierten liegt er 6:5 vorne, als er sich den Fuß vertritt. Er humpelt, will schon ans Netz und aufgeben.
Nach der Verletzungspause läuft es für Becker wie von allein
Sein Trainer Günther Bosch fordert eine Verletzungspause. Becker nimmt sie. Danach läuft es wie von alleine. 7:5 und 6:2 gewinnt er die Sätze vier und fünf. Er steht im Viertelfinale, dort triumphiert er gegen Henri Leconte. Im Halbfinale gegen Anders Järryd läuft nichts bei Becker. Wieder rettet ihn das Wetter. Als es am nächsten Tag weiter geht, ist er wie ausgewechselt. Auch weil ihn am Abend zuvor Trainer Bosch und Manager Tiriac recht vehement aus einem Tief geholt hatten. Beim Essen im Hotel soll es lautstark zugegangen sein. Järryd jedenfalls ist in der Folge chancenlos. Und Becker im Finale.
Dort wartet der Südafrikaner Kevin Curren. Er ist der große Favorit gegen den jungen Deutschen. Nach anfänglich knapper Berichterstattung hat sich während des Turniers die Anzahl deutscher Journalisten immer weiter erhöht. Am Sonntagnachmittag fiebern viele vor dem Fernseher mit Becker. 6:3 gewinnt er den ersten Satz, den zweiten verliert er mit 6:7. Durchgang drei geht im Tiebreak an Becker, im vierten liegt er 5:4 vorne, als er seine ersten beiden Matchbälle hat. Den zweiten nutzt er. Mit einem starken Aufschlag. Wie so häufig.
Becker ist plötzlich Wimbledonsieger. Mit 17. Ein Moment für die Ewigkeit.
Dieser Text ist Teil der Serie "Momente für die Ewigkeit", mit der wir spezielle Ereignisse der Sportgeschichte würdigen. In dieser Serie sind bislang erschienen:
- WM 2006: Wen Jens Lehmann gegen Argentinien auf dem Zettel hatte
- Als Michael Schumachers Rammstoß gegen Jacques Villeneuve schiefging
- Tour de France 1997: Als Riis nickte und Jan Ullrich alle abhängte
- EM-Finale 1976 in Belgrad: Als Uli Hoeneß den Elfmeter verschoss
- Vier Minuten und 38 Sekunden Ekstase: Als Schalke "Meister der Herzen" wurde
- Nia Künzers irrwitziger Auftritt im Strafraum
- Als Muhammad Ali "Karl den Großen" Mildenberger adelte
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