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Live-Interview: Felix Neureuther: "Dieses 'Sohn von' hat mich so wahnsinnig gemacht"

Live-Interview

Felix Neureuther: "Dieses 'Sohn von' hat mich so wahnsinnig gemacht"

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    Eineinhalb Stunden stellte sich Felix Neureuther den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz (Mitte) und Sportredakteur Andreas Kornes.
    Eineinhalb Stunden stellte sich Felix Neureuther den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz (Mitte) und Sportredakteur Andreas Kornes. Foto: Ulrich Wagner

    Die Familie Neureuther hat am vergangenen Freitag Zuwachs bekommen. Ihr Sohn Leo wurde geboren, Ihre Tochter Matilda ist zweieinhalb Jahre alt. Welchen Stellenwert hat die Familie in Ihrem Leben?

    Neureuther: Wenn ich für eins dankbar bin im Leben, dann dafür, dass ich eine tolle Familie habe. Meine Eltern haben uns als Kinder immer alles ermöglicht. Das war nicht immer einfach, das bewundere ich extrem an ihnen. Meine Eltern sind schon sehr im Fokus gestanden, da hat es auch nicht so schöne Momente gegeben. Meine Schwester sollte einmal entführt werden. Das haben wir als Kinder aber nie zu spüren bekommen. Unsere Eltern haben uns immer machen lassen. Ich hatte eine wirklich wunderbare Kindheit. Ich kann bis zum heutigen Tag immer voll auf meine Eltern zählen. Wir sind eine große Familie und wir halten zusammen, egal wie schwierig die Situation ist. Das ist ein unheimlich beruhigendes Gefühl, wenn du weißt, dass da jemand im Hintergrund ist, zu dem du immer kommen kannst – egal, was ist.

    Aber wie ist es, wenn man als Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther anfängt Ski zu fahren?

    Neureuther: Wir haben das nicht so wahrgenommen. Das waren halt Mama und Papa. Natürlich hat man gesehen, dass die ein bisschen besser Ski fahren als andere Eltern. Aber das war für uns ganz normal. Uns hat es immer nur gewundert, dass die nie bei Skirennen dabei waren. Die wollten uns machen lassen und sich nicht selbst in den Vordergrund drängen. Und wenn, dann sind sie irgendwo ganz hinten gestanden. Uns war als Kinder nie bewusst, was die eigentlich im Skisport erreicht haben. Ich habe das erst mitbekommen, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Da ist ein Vater von einem Skikollegen zu mir hergekommen und hat mir das Olympiabuch von 1976 gezeigt – und da war halt meine Mutter drinnen mit drei Medaillen um den Hals. Das war der Moment, wo ich mir gedacht habe: Sauber, vielleicht konnte die ja wirklich ein bisschen besser Ski fahren als die anderen.

    Wann kam dann der Moment, in dem Sie nicht mehr „der Sohn von“ waren?

    Neureuther: Das hat gedauert. Ich habe mein erstes Weltcuprennen in Kitzbühel gewonnen. Danach sehnst du dich, darauf arbeitest du hin. Und meine Mama hat sich damals wahnsinnig aufgeregt, dass die Zeitungen nur geschrieben haben „Der Sohn von Gold-Rosi gewinnt Kitzbühel“. Da ist mein Name gar nicht dringestanden. Dieses „Sohn von“ hat mich so wahnsinnig gemacht, denn ich war der Felix mit allen positiven und negativen Facetten. Aber mit den Erfolgen hat sich das dann gedreht…

    …und es hieß „die Eltern von“?

    Neureuther: Das weiß ich nicht. Aber es gibt tatsächlich noch Momente, in denen etwas ältere Semester zu mir herkommen und mich freudig mit „Hallo Christian“ begrüßen. Und umgekehrt ist mein Papa neulich in München von einem Taxifahrer angesprochen worden, wie schade es sei, dass er jetzt mit dem Skifahren aufgehört hat. Das hat ihm gutgetan.

    Bei einem Besuch in Augsburg plauderte Felix Neureuther aus seinem Leben, zu dem seit kurzem auch Sohn Leo gehört. Als Geschenk für das Kinderzimmer gab es eine Urmel-Marionette der Augsburger Puppenkiste.
    Bei einem Besuch in Augsburg plauderte Felix Neureuther aus seinem Leben, zu dem seit kurzem auch Sohn Leo gehört. Als Geschenk für das Kinderzimmer gab es eine Urmel-Marionette der Augsburger Puppenkiste. Foto: Ulrich Wagner

    Wie wollen Sie es schaffen, auch Ihre eigenen Kinder möglichst normal aufwachsen zu lassen?

    Neureuther: Für uns steht immer im Vordergrund, dass unsere Kinder eine normale Kindheit haben. Um das zu ermöglichen, kann es gut sein, dass wir in ein paar Jahren ganz wo anders sind und von der Bildfläche verschwinden.

    Das klingt fast nach Auswanderung?

    Neureuther: Kann alles passieren, weiß ich nicht. Ist ja noch ein bisschen hin. Meine Frau ist halbe Norwegerin. Und wie dort mit den Kindern in der Schule umgegangen wird, wie dort der Unterricht stattfindet – das würde ich mir auch für uns hier wünschen. Da findet viel mehr draußen statt. Die Kinder lernen, wie sie mit der Natur umzugehen haben. Wenn ich das Gefühl habe, dass unsere Kinder dadurch eingeschränkt werden, dass wir in der Öffentlichkeit stehen, dann bin ich sofort raus. Da habe ich gar kein Problem damit.

    Wie bitter ist es, dass Ihre Karriere zeitgleich mit der des Marcel Hirscher stattfand, dem vielleicht besten Skifahrer aller Zeiten?

    Neureuther: Einerseits ist es natürlich bitter. Andererseits war es immer die maximale Herausforderung, gegen Marcel zu gewinnen. Ich glaube, dass ich ohne ihn niemals so gut Ski gefahren wäre. Wenn du am Morgen aufgestanden bist und dir hat alles wehgetan, hast du dir Marcel Hirscher vor Augen geführt, wie er gerade im Kraftraum die Gewichte herumschmeißt – und dann bist du auch ins Training gegangen.

    Ist zwischen Ihnen eine Freundschaft entstanden?

    Neureuther:Wir sind tatsächlich Freunde, weil wir sehr viel gemeinsam erlebt haben. Damals bei der WM in Schladming hat ganz Österreich nur auf das Duell Hirscher gegen Neureuther gewartet. 50.000 Zuschauer im Stadion, wir waren Erster und Zweiter nach dem ersten Durchgang, Hirscher hat überraschenderweise geführt. Und dann stehst du mit ihm da oben am Start und musst abliefern. Wir haben uns in die Augen geschaut und jeder hat dem anderem viel Glück gewünscht und dass wir es nur irgendwie hinbekommen – denn größer kann der Druck nicht mehr sein.

    Was Ihnen beiden gelungen ist…

    Neureuther: Das stimmt. Vor mir ist noch Michael Matt, der andere österreichische Favorit, gefahren und die Leute sind komplett durchgedreht, denn er hat mit Bestzeit abgeschwungen. Mich hat es oben fast aus dem Starthaus hinten rausgedrückt und ich habe mir nur gesagt: Alles klar, Neureuther, bring die Österreicher zum Schweigen. Denn wenn sie ruhig sind, bin ich schnell. Und es war Gott sei Dank ruhig, am Ende habe ich Silber gewonnen.

    Sie haben eine extrem lange Liste an Verletzungen in Ihrer Karriere angesammelt, sind aber immer mit großem Willen wieder zurückgekommen. Wohin lenken Sie diese Energie jetzt als Sportrentner?

    Neureuther: Erst einmal bin ich froh, dass mir am Morgen beim Aufstehen nichts mehr wehtut. Der Sport zehrt schon am Körper. Verletzungen gehören dazu und ich habe sie immer als Herausforderungen angenommen.

    Haben Sie sich diese Art, Probleme anzupacken, bewahrt?

    Neureuther: Ja, ganz extrem. Ziele haben und die umsetzen zu wollen. Der totale Fokus darauf, dass du funktionierst. Du musst dir vorstellen, ein Slalomlauf sind 65, 70 Tore und du musst jeden Schwung auf den Millimeter genau treffen. Wenn du einen Millimeter zu früh ansetzt, fädelst du ein und es ist vorbei. Ich habe für mich gelernt, dass ich auf Knopfdruck funktionieren kann. Da hatte ich Glück, dass ich weiß, wie das bei mir funktioniert. Andere brauchen einen Mentaltrainer. Das habe ich nie gewollt. Ich muss selber wissen, wie ich funktioniere, und nicht jemand anders.

    Das Leben nach dem Sport bietet die Extremsituationen des Sports nicht mehr. Vermissen Sie diese, oder haben Sie sie als belastend empfunden?

    Neureuther: Sowohl als auch. Natürlich ist es belastend. Auf der anderen Seite ist es doch genau das, was du willst. Es gibt Momente, die erlebst du nur als Sportler. Du musst lernen sie zu genießen und aufzusaugen. Je älter du wirst, desto bewusster wird dir das. Jetzt ist eine volle Windel von meinem Sohn das Extremste, was ich erlebe.

    Sie selbst hatten eine Kindheit, in der Sie viel Ski gefahren sind. Haben Sie Angst, dass der Skisport jetzt, parallel mit den Gletschern, einen schleichenden Tod stirbt?

    Neureuther: Die Gefahr ist da. Ich weiß, wie die Gletscher vor 16 Jahren ausgesehen haben, und ich weiß, wie sie heute aussehen. Der Umbruch ist enorm. Man darf den Sport in den Alpen aber nicht verteufeln. Das braucht die Menschheit. Aber wenn die Leute auf die Berge gehen, dann sollen sie auch ihren Müll wieder mitnehmen. Man muss vorsichtig mit den Bergen umgehen. Ich bin zum Beispiel überhaupt kein Freund davon, dass neue Skigebiete erschlossen oder immer noch größer gemacht werden. Es darf auf keinen Fall mehr werden.

    Ein zweites Thema, das Ihre Kinder eher früher als später treffen wird, ist die Digitalisierung. Sind Sie froh, dass Sie eine Jugend ohne Handy erleben durften?

    Neureuther: Total. Ich habe mein erstes Handy mit 16 Jahren bekommen und das lag nur in der Ecke. Heute muss man seine Kinder am besten fünfmal am Tag anrufen und fragen, ob alles in Ordnung ist. Ich verteufel nicht die komplette Digitalisierung. Aber man muss einen Mittelweg finden. Für mich geht es momentan zu sehr in die Richtung, dass jedes Kind nur noch an so einem blöden Telefon hängt und keiner mehr normal miteinander kommuniziert.

    Sie haben Ihre Prominenz auch immer dafür genutzt, Missstände in den Sportverbänden wie dem IOC anzuprangern. Haben Sie das Gefühl, dort hat sich in den vergangenen Jahren etwas zum Besseren verändert?

    Neureuther: Nein, es wurde schlechter. Der Sport steht nicht mehr im Vordergrund, sondern persönliche Belange. Es wurde zu viel Schindluder mit dem Sport getrieben. Das Ergebnis sieht man überall, wo sich die Menschen gegen Olympische Spiele aussprechen. Die olympische Bewegung ist so einzigartig, so fantastisch, aber sie ist missbraucht worden. Es werden Milliarden Euro in die Hand genommen, um Großereignisse aus dem Boden zu stampfen. Da wird Natur zerstört, werden Menschen enteignet, werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Es kann nicht sein, dass Olympische Spiele bald nur noch in totalitären Staaten stattfinden können.

    Sind Sie von Thomas Bach enttäuscht, dass er als IOC-Präsident nicht gegensteuert?

    Ich wollte mich nach meinem Kreuzbandriss 2017 unbedingt noch einmal für die Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang qualifizieren. Das habe ich wegen einer Verletzung nicht mehr geschafft. Das war bitter, denn ich wollte diese Medaille gewinnen. Und wenn Herr Bach sie mir überreicht hätte, hätte ich sie nicht angenommen. Ich wollte ein Zeichen setzen und konnte es nicht. Ich wollte zeigen, dass es so nicht weitergeht. Heutzutage hast du das Gefühl, dass es nur noch darum geht, dass das IOC möglichst viel Geld verdient. Das größte Kapital wäre aber, Nachhaltigkeit zu generieren, um Kindern und Jugendlichen ein Erbe zu hinterlassen, wodurch sie zum Beispiel besser und mehr Sport betreiben könnten – besonders auch in den Schulen.

    Hören Sie sich hier das ganze Gespräch im Podcast an

    Hier können Sie den Abend noch einmal im Video sehen

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