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Leverkusen: Die großväterliche Gelassenheit des Jupp Heynckes

Leverkusen

Die großväterliche Gelassenheit des Jupp Heynckes

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    Jupp Heynckes (l) gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Louis van Gaal. dpa
    Jupp Heynckes (l) gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Louis van Gaal. dpa

    Bei strahlendem Frühlings-Sonnenschein trainierte Jupp Heynckes seine Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen am Montagvormittag, als die Smart-Phones der Journalisten in kurzer Folge zu summen, fiepen und klingeln begannen. Es ging mal nicht um die neueste Ballack-Eskapade – der Star hatte nach dem 2:0 gegen Schalke mit den Bayer-04-Fans am Zaun „Scheiß FC Köln“ angestimmt. Sondern Heynckes’ Arbeitgeber hatte offiziell bestätigt, was als das „am schlechtesten gehütete Geheimnis der Bundesliga“ (Kölner Stadt-Anzeiger) unterwegs war: „Herr Heynckes hat uns mitgeteilt, dass er für ein weiteres Jahr nicht zur Verfügung steht“, meldete Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser.

    Der 65 Jahre alte Trainer schlägt also das Angebot für eine Vertragsverlängerung aus. Bayer 04 aktiviert den seit Wochen kursierenden Plan B: Robin Dutt vom SC Freiburg wird im Sommer aus seinem noch laufenden Vertrag herausgekauft. Dass Heynckes im Sommer beim FC Bayern Nachfolger von Louis van Gaal wird, steht so gut wie fest. Der Coach bestätigte gestern eine Anfrage von Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge und – noch viel wichtiger – ein Telefonat mit seinem Kumpel Uli Hoeneß. In Leverkusen gehen sie davon aus, dass ihr zukünftiger Ex in der Länderspiel-Pause alles klarmacht für ein drittes Engagement beim Rekordmeister. Natürlich freuen sich die Leverkusener auf den 46 Jahre alten Dutt, der vielleicht schon vor zwei Jahren anstelle von Heynckes gekommen wäre. Damals soll der mächtige Gesellschafter-Ausschuss des Klubs nach der Enttäuschung mit Bruno Labbadia für einen älteren Coach plädiert haben. Aber das lange Werben und die Geduld der Leverkusener mit dem monatelang zögernden Heynckes bringen auch zum Ausdruck, wie gut diese Trainer-Klub-Beziehung funktioniert hat. „Er hat hier zwei Jahre Super-Arbeit geleistet“, sagt Sportdirektor Rudi Völler.

    Heynckes hat sie in die Europa League geführt und aktuell auf Rang zwei der Liga. Leverkusens Fans lieben ihn. Beim 2:0 am Sonntag gegen Schalke sangen sie den Tote-Hosen-Song „Wir würden nie zum FC Bayern gehen“ und ließen den „Jupp, Jupp“-Sprechchor folgen. Kein Vorwurf des Im-Stich-Lassens oder gar des Verrats. Heynckes hat Bayer 04 hingehalten. Aber nichts versprochen und hat also auch kein Wort gebrochen. Korrekt war er wie an allen Stationen, erfolgreich nicht überall.

    Auch der Trainer zeigte gestern Gefühle: „Die Entscheidung ist mir schwergefallen“, sagte der Coach, der sich nach den fünf Comeback-Spielen bei den Bayern ab 2009 im unaufgeregten Leverkusen neu erfunden hat. Manchmal schien er selbst über sich zu staunen. Niemand nannte ihn mehr „Osram“. Nichts erinnerte mehr an den schnell beleidigten, hochfahrenden Mann aus Tagen in München (87 bis 91), Frankfurt (94/95), Schalke (03/04) oder Gladbach (06/07). Bei Leverkusens Pressekonferenzen wurden seine Sticheleien mit dem rund 25 Jahre jüngeren Pressesprecher Dirk Mesch Kult – der alte Fahrensmann, als Spieler Weltmeister von 1974, als Trainer Champions-League-Sieger 1998 mit Real Madrid, wies den kecken Jüngling mit gespieltem Stirnrunzeln zurecht und hatte stets eine Anekdote parat, in der meistens Günter Netzer vorkam. Auf dem Platz fand Heynckes eine begabte und angenehm zu leitende Mannschaft vor. Mit großväterlicher Gelassenheit ging er seinem Faible, der Förderung junger Spieler, nach. Er konnte sich auf die weltmännische Routine seines Abwehr-Riesen Sami Hyypiä verlassen und auf die Loyalität von erfahrenen Spielern wie Stefan Kießling und Kapitän Simon Rolfes bauen.

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    Lediglich Michael Ballacks schwierige Integration und die Allüren des 98-maligen Nationalspielers konnten bei Heynckes die Stress-Hormone aktivieren. Das ließ er durchblicken, als er aufzählte, was ihn alles nicht zum Weggang aus Leverkusen trieb: Nichts Privates (Frau und Hund Cando), nicht die Gesundheit, nicht die Bayern. Erfolg war auch da. So bleibt nicht viel, außer dem chronischen Ballack-Problem, was den „Umdenkungsprozess in den ersten Wochen der Rückrunde“ (Heynckes) ausgelöst haben könnte. Aber wegen dem Ballack-Theater gehen und beim FC Hollywood anheuern? Die fast sichere Champions League sausen lassen und vielleicht gegen Europa-League-Reisen in zugefrorene norwegische Kleinstädte eintauschen? Wie passt das zusammen? Vielleicht lautet die Antwort so: „Ein letztes Abenteuer“, wie Heynckes einmal formuliert hat, war Leverkusen gar nicht. Er fühlt sich noch oder wieder fit genug für ein richtiges Abenteuer. Am 5. Mai wird er 66. Schon Udo Jürgens wusste: Da kommt man erst in Schuss.

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