Von Anton Schwankhart Berlin - Verena Sailer ist nicht der Typ, der schnell sein Innerstes nach außen wendete. Schon gar nicht, wenn Kameras und Notizblöcke um sie versammelt sind. Samstag-Nacht aber ist es nur so aus ihr herausgesprudelt - und das so locker und flapsig, wie man es ihr nicht zugetraut hätte.
"Für eine Medaille leg ich mich gerne auf die Schnauze" hat sie gesagt, als sie vom "größten Moment meiner Karriere" berichtete. Dieser lag gerade ein paar Minuten hinter ihr und hatte sichtbar Spuren hinterlassen. Auf Oberschenkel, Hüfte und Ellbogen war handflächengroß die Haut abgeschürft. Die 23-Jährige aber trug es mit einem Lachen.
Sie war Schlussläuferin der deutschen 4x100-Staffel gewesen. Das Quartett Wagner-Möllinger-Tschirch-Sailer galt vor der WM als Anwärter auf Platz vier, hinter den USA, Jamaika und den Bahamas. Doch im Finale waren die Amerikanerinnen nicht mehr dabei. Sie hatten im Vorlauf den Stab verloren. Es war ihnen ergangen wie ihren männlichen Kollegen. Auch die deutschen Männer waren nach einem Wechselfehler ausgeschieden.
Für die DLV-Frauen war aber nun plötzlich Bronze möglich. "Wir wussten, dass für uns was geht. Es war unsere Bahn, unser Stadion. Wir durften nur nicht zu viel wollen und die Wechsel überreizen. Wenn nicht heute, wann dann", beschrieb Sailer die Entschlossenheit der deutschen Sprinterinnen ihre Chance auf Edelmetall zu nutzen. Sie war auch noch vorhanden als die Allgäuerin als Letzte das Staffelholz übernahm. "Das ist der Wahnsinn. Gib Gas, du musst auf die Drei", schoss es ihr durch den Kopf, "dann hab ich mich einfach vom Publikum tragen lassen."
Sailer schüttelte die Russin Tschermoschanskaja, die bedrohlich Nahe war mit einem furiosen Antritt ab. Sie stürmte als Dritte durchs Ziel - und schlug der Länge nach auf die Bahn. "Das mit dem Zieleinlauf hab' ich noch nicht so richtig drauf. Aber für eine Medaille nehm ich das gerne in Kauf", flachste die Allgäuerin, die in Illertissen geboren ist. Die Deutschen waren in 42,87 Sekunden zum zweiten Mal europäische Bestzeit gelaufen. Für Sailer war Bronze die Krönung in Berlin und der Höhepunkt ihrer bislang erfolgreichste Saison.
Die 23-Jährige, die früher für den SC Vöhringen und den TV Kempten lief, inzwischen aber für Mannheim startet, war über 100 Meter schnellste Europäerin. Die einzige Weiße unter 16 Halbfinalistinnen, die schnellste weiße Frau der Welt. Einige Wochen zuvor war sie in Ulm in europäischer Jahresbestzeit (11,18 Sek.) deutsche Meisterin geworden. Vieles davon hat sie ihrem Trainer Valerij Bauer zu verdanken, der sie schon in Kempten betreut hat. Als Bauer nun Landestainer in Mannheim wurde, ist sie ihm gefolgt. Keine schlechte Entscheidung. Jetzt muss ihr der Trainer nur noch den unfallfreien Zieleinlauf beibringen.