Auf den letzten Metern vor seinem Olympia-Triumph taumelte Willi Holdorf und brach im Ziel völlig entkräftet zusammen. Als erster deutscher Zehnkämpfer holte der Schleswig-Holsteiner 1964 in Tokio Gold bei Sommerspielen. Nur wenige Monate nach seinem 80. Geburtstag ist Holdorf nun nach schwerer Krankheit zuhause in Achterwehr gestorben. Der deutsche Sport trauert um einen seiner größten Helden. Auch Niklas Kaul, der Überraschungs-Weltmeister von 2019, ist "geschockt" vom Tod des einstigen "Königs der Athleten".
"Wenn man mit dem Zehnkampf anfängt, dann gibt es ein paar große Namen. Willi Holdorf stand da ganz, ganz oben", sagte der 22 Jahre alte "Sportler des Jahres" aus Mainz am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Man konnte sich mit ihm über viele Dinge sehr gut unterhalten. Eigentlich war in diesem Jahr eine gemeinsame NDR-Doku geplant, wegen Corona kam das Projekt leider nicht mehr zustande."
Olympia-Gold im Zehnkampf - nach Holdorf gelang dies als Deutschem nur noch dem damaligen DDR-Leichtathleten Christian Schenk 1988 in Seoul. Auch der Rostocker zeigte sich schwer betroffen. "Nein! Ich war noch zu seinem 75. bei ihm, und seiner Frau habe ich gestern erst zum Geburtstag gratuliert", sagte Schenk. "Wir haben uns ab und zu gesehen und dann immer mit "Hallo, Herr Olympiasieger" gegrüßt. Willi war ein toller Sportsmann und ein sehr guter Unternehmer - und für mich ist er einer der wenigen, die das beides geschafft haben. Er war mein Idol!"
Beim 1500-Meter-Lauf wurde Holdorf "schwarz vor Augen"
Holdorfs Tod am Sonntag bestätigte seine Ehefrau Sabine Holdorf-Schust. Mit seinem Olympia-Sieg sind vor allem die Bilder vom abschließenden 1500-Meter-Rennen verbunden. "Mir wurde schwarz vor Augen", berichtete Holdorf einmal. Am Ende setzte er sich mit 7887 Punkten gegen seinen Widersacher Rein Aun aus der Sowjetunion durch. Holdorf war nach neun Disziplinen mit 18 Sekunden Vorsprung ins Rennen gegangen und kam elf Sekunden nach Aun ins Ziel. Bei der Siegerehrung erklomm der total erschöpfte Deutsche mit Mühe das Podest und wäre beinahe gefallen.
Die Goldmedaille hängt seit Jahren im Deutschen Sport- und Olympia-Museum in Köln. Nach seinem Coup wurde Holdorf zum "Sportler des Jahres" gewählt und 2011 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Seine Karriere beendete er bereits mit 24 Jahren - nach 21 Zehnkämpfen, von denen er acht gewann. "Ich war schon verheiratet, musste eine Familie ernähren und mich um mein Studium kümmern", erklärte der Vater von zwei Söhnen einmal.
Als Leichtathletik-Trainer führte Holdorf den Stabhochspringer Claus Schiprowski 1968 zu Olympia-Silber. Von 1971 bis 1973 war er Bremser im Zweier- und Anschieber im Viererbob - und holte mit Horst Floth 1973 EM-Bronze. Weniger Erfolg hatte er als Fußball-Trainer bei Fortuna Köln. In der Rückrunde der Saison 1974/75 konnte er in fünfmonatiger Amtszeit nach 14 Spielen den Bundesliga-Abstieg nicht verhindern. "Als ich Fortuna übernommen habe, war sie Tabellenletzter und am Ende Vorletzter. Das war nur ein kleiner Erfolg", meinte Holdorf. "Es hat aber Spaß gemacht."
Im Handball war Holdorf Gesellschafter beim THW Kiel
Danach konzentrierte sich der Olympiasieger auf seinen Job als Vertreter des Sportartikelherstellers Adidas, den er 2016 aufgab. Als Gesellschafter schrieb er an der Erfolgsgeschichte des Handball-Bundesligisten THW Kiel mit und gehörte dem Aufsichtsrat an. "Nach der richtungsweisenden Entscheidung, den Handball in eine Profi-Abteilung auszugliedern, war Holdorf als einer von fünf Gründungs-Gesellschaftern maßgeblich an der Entwicklung der Kieler zum erfolgreichsten deutschen Handballclub beteiligt", schrieb der THW am Montag auf seiner Homepage.
Der Leichtathletik blieb Holdorf bis zu seinem Tod eng verbunden. Begeistert verfolgte er Kauls WM-Coup im Oktober in Doha. Holdorfs früherer Verein TSV Bayer 04 Leverkusen trauert "um eine Lichtgestalt", wie Jörn Elberding, der Geschäftsführer der Leichtathletik-Abteilung, mitteilte.
Auch der Deutsche Leichtathletik-Verband schätzte ihn als Ratgeber. "Die Begegnungen mit ihm waren immer bereichernd, sein norddeutscher Humor ansteckend und seine Geradlinigkeit sehr beeindruckend" sagte der langjährige DLV-Präsident Clemens Prokop. "Freundschaft war für ihn stets mehr als ein Wort. Durch seinen Tod hat die Leichtathletik und der gesamte deutsche Sport eine seiner großen Persönlichkeiten verloren und ist ärmer geworden." (dpa)
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