Als Laura Siegemund kürzlich in einer stillen Stunde über 2020 nachdachte, kam sie zu einem nahe liegenden Ergebnis: "Es ist ein seltsames Jahr. Ein komisches Jahr. Ein Jahr mit viel Durcheinander." Auch sie litt unter dem großen Stillstand, dem zwischenzeitlichen Nichtstun-Können, den Zweifeln, wie es weitergehen würde. Und was die weltweite Gesundheitskrise noch an Drehungen und Wendungen bringen könnte. Am Ende schwor sie sich aber eins, und da war sie sich selbst ganz einfach treu: "Du musst das Beste, das Optimale aus der Situation machen."
Was ihr nun in Paris vortrefflich gelungen ist, wieder und wieder. Am Montagmittag, es war genau zehn Minuten vor Eins, erlebte sie sogar einen prägenden, bewegenden Karrieremoment: Im stolzen Tennisalter von 32 Jahren erreichte sie erstmals ein Grand Slam-Viertelfinale, blitzsauber hatte sie die zehn Jahre jüngere Spanierin Paula Badosa mit 7:5 und 6:2 bezwungen. "Das war immer mein Traum", sagte sie anschließend. "Da wollte ich unbedingt hin."
Laura Siegemunds nächste Gegnerin ist die Mitfavoritin Petra Kvitova
Fast symptomatisch für die Unverdrossenheit der am Rücken verletzten Schwäbin erschien der Matchverlauf: 3:5 im ersten Satz ins Hintertreffen geraten, gab Siegemund danach bis zum verwandelten Matchball nach 92 Minuten, nur noch zwei Spiele ab. Ihre nächste Gegnerin ist nun Mitfavoritin Petra Kvitova, die zweimalige Wimbledon-Königin aus Tschechien.
Viele im Tenniszirkus hatten sich ja eher schlecht als recht durch die Rumpfserie gehangelt, viele waren nach dem Wiederbeginn auch nicht auf Touren gekommen. Viele hatten das Jahr innerlich schon abgeschrieben – Laura Siegemund allerdings, die schon im Alter von drei Jahren mit dem Tennisspielen begonnen hatte, hatte nie den Eindruck hinterlassen, Zeit und Möglichkeiten verschenken zu wollen. Im großen Corona-Wirrwarr ist sie eine der großen Gewinnerinnen geworden, erst als Doppelsiegerin in New York. Und nun auch bei den French Open, angekommen im exklusiven Territorium der letzten Acht.
Siegemunds Stärken: Ehrgeiz, Giftigkeit, Cleverness
Nach strapaziösen, für Geist und Körper herausfordernden Tenniswochen plagt sie sich schon etwas länger mit Rückenschmerzen herum. Mit Schmerztabletten, eisernem Willen und Kreativität auf dem Court schaffte sie trotzdem ihr Viertelfinal-Debüt – eine Frau, die im Zweifelsfall eben auch mal das scheinbar Unmögliche möglich machen kann, die parallel zum Tennis noch an der Fernuniversität in Hagen Psychologie studiert hat und für ihren eisernen Willen bekannt ist. Mit ihrem verzehrenden Ehrgeiz und einer gewissen Giftigkeit, kämpft sie um jeden Ball, effizient und clever.
Besser werde es wohl mit dem zwickenden Rücken nicht mehr werden bei den French Open, sagt sie. Da müsse man halt jetzt "einfach irgendwie durch." In jedem Fall ist sie die Frau der Stunde im deutschen Tennis – und im Mittelpunkt des Geschehens möchte sie auch in Paris gerne noch ein bisschen länger bleiben.
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