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Länderspiel: Eine deutsche Komödie

Länderspiel

Eine deutsche Komödie

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    Frankfurt Man kennt diese Szene aus Komödien. Der Tisch für den Nachmittagskaffee ist gedeckt. Jeder Stuhl besetzt. Die Sonne scheint, fröhliches Stimmengewirr. Langsam steht Onkel Heinz auf, greift nach der Milch, erreicht sie nicht, verliert das Gleichgewicht, sucht im Fallen Rettung in der Tischdecke und reißt das Gesamtwerk zu Boden. Der Tag ist gelaufen. Was vorher war, zählt nicht mehr.

    Auf diese Weise lässt sich beschreiben, was der deutschen Nationalmannschaft am Mittwochabend bei der 1:3 (0:1)-Niederlage gegen Argentinien widerfahren ist. Ein vielversprechend gestaltetes Treffen zweier Fußball-Großmächte geriet nach einer ansprechenden Ouvertüre und einem einzigen Fehlgriff derart aus dem Gleichgewicht, dass vom famosen Auftakt nichts mehr übrig blieb.

    Aus deutscher Sicht war das besonders ärgerlich, weil die Mannschaft von Joachim Löw das Spiel bis dahin dominiert hatte, was auch Argentiniens Trainer Sabella freimütig einräumte: „Das Spiel hatte eine entscheidende Szene, zu einem Zeitpunkt, als Deutschland überlegen war.“

    Wer böswillig ist, könnte Hannovers Torhüter Ron-Robert Zieler zum „Onkel Heinz“ des Abends erklären. Zieler war gegen den heranstürmenden José Sosa zu spät gekommen. Statt des Balles erwischte er nur noch Sosas Beine, was Rot für Zieler und Elfmeter für Argentinien nach sich zog. Diese „Doppelbestrafung“ (Löw) ist seit langem umstritten. Weil sie ein Spiel mitunter völlig aus den Fugen bringen kann, halten sie Kritiker für zu hart. Der Bundestrainer sprach Mittwochnacht sogar von „absolutem Blödsinn“.

    Für Zieler, der den ersten Platzverweis seiner Karriere und die erste Rote Karte eines Torhüters in der deutschen Länderspielgeschichte produziert hatte, gab’s dagegen Trost. Löw: „Ron muss nicht betrübt sein. Das passiert auch anderen Torhütern.“

    Immerhin gewährte das Schicksal den Deutschen noch Aufschub, ehe sie vollends in die Pleite rutschten. Zieler-Ersatz Marc-Andre ter Stegen parierte den von Lionel Messi schlapp getretenen Elfmeter. Als aber Khedira und Höwedes gemeinsam einen argentinischen Eckball ins eigene Netz bugsierten, lag die Partie aus deutscher Sicht in Scherben. „Der Spielverlauf war gegen uns“, erweckte hinterher ein ratloser Bundestrainer den Eindruck, eine fremde, den Deutschen abgewandte Macht habe Regie geführt.

    Einiges hatte sich die Nummer zwei der Weltrangliste allerdings selbst zuzuschreiben. Die Viererkette hing häufig durch. Sie hatte auf Philipp Lahm verzichten müssen, der am Mittwoch zum ersten Mal Vater geworden war. Als Mats Hummels mit einer Halswirbelprellung das Feld räumte, Boateng in die Innenverteidigung rückte und der eingewechselte Höwedes auf den Boateng-Posten rückte, nahm die Ordnung weiter Schaden. Von diesem Durcheinander wollte auch der Bundestrainer seine Defensive nicht freisprechen. Die Innenverteidigung habe zu oft das Zentrum freigegeben, kritisiert Löw.

    Mit etwas mehr argentinischer Konsequenz hätte das in ein herbes Debakel führen können. So aber trafen nur noch Messi und di Maria. Der überragende Agüero ging leer aus. Das Anschlusstor durch Höwedes war verdiente Ergebniskosmetik, weil die Gastgeber zur Freude der 48800 in der Frankfurter Commerzbank-Arena auch in Unterzahl ihr Angriffsspiel nicht einstellten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bundestrainer allerdings längst den Spaß am Spiel verloren. Löw: „Es war ja ein unerhaltsames Spiel, aber nach dem 0:2 konnte ich das nicht mehr genießen.“

    Noch viel weniger wusste er hinterher aber, was er mit diesem Spiel anfangen sollte, der ersten Länderspiel-Niederlage in Frankfurt seit 56 Jahren. Bei allem, was passiert ist, sei es schwer, „etwas auf den Punkt zu bringen.“ Oliver Kahns Kritik im ZDF, die Mannschaft kassiere zu viele Gegentore, Löw müsse sich etwas einfallen lassen, mochte der Bundestrainer wenigstens noch zu Teilen gelten lassen. Kein Verständnis hatte er für die Bemerkung, den Spielern hätten zehn Prozent Einsatzbereitschaft gefehlt. „Waren es zehn, acht oder zwölf“, machte er sich über Kahns Quantifizierung lustig.

    Einen stillen Verbündeten dürfte Kahn in Marc-Andre ter Stegen gefunden haben. Der arme Kerl hat in seinen ersten 157 Länderspielminuten acht Gegentore hinnehmen müssen. Fünf beim 3:5 gegen die Schweiz, drei gegen Argentinien. Löws Erkenntnisse daraus? Hoffentlich keine.

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