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Kommentar: Nationalelf auf Liebesentzug: Der DFB hat es mit dem Marketing übertrieben

Kommentar

Nationalelf auf Liebesentzug: Der DFB hat es mit dem Marketing übertrieben

Tilmann Mehl
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    Um sie wird es immer einsamer: Für die Fußball-Nationalmannschaft interessieren sich immer weniger Leute.
    Um sie wird es immer einsamer: Für die Fußball-Nationalmannschaft interessieren sich immer weniger Leute. Foto: Federico Gambarini/dpa

    Fernseh-Quoten sind nun wirklich kein Indikator für Qualität. Ansonsten würde das Dschungelcamp sämtliche Kulturpreise abräumen. Gleichwohl sind die Marktanteile ein untrügliches Zeichen für das Interesse des Publikums. Über Jahrzehnte hinweg waren die Spiele der deutschen Nationalmannschaft ein Feiertag für die Programmgestalter bei ARD und ZDF. Spielten Männer um die nationale Ehre, waren gute Quoten gewiss. Egal, ob der Gegner aus Aserbaidschan anreiste oder es gegen Brasilien ging. Mindestens zehn Millionen schauten immer zu.

    Diese Zeiten sind vorbei. Am wenigsten hat das damit zu tun, dass mittlerweile RTL einen Teil der Spiele überträgt. Die Nationalmannschaft hat in den vergangenen Jahren stark an Interesse verloren. Die Partie am Dienstag gegen die Schweiz verfolgten beispielsweise nur noch rund acht Millionen. Ex-Nationalspieler und Jetzt-Fernsehexperte Bastian Schweinsteiger sprach davon, sich nicht mehr 100 Prozent mit der Mannschaft identifizieren zu können. Das dürfte der Hauptgrund für einen großflächigeren Interessen-Verlust sein. Joachim Löw macht es sich zu leicht, wenn er behauptet, das Interesse sei in Jahren ohne WM oder EM immer gesunken. Auf einem so niedrigen Niveau wie in diesem Jahr hat es sich allerdings noch nie eingependelt.

    Deutschland: Die Nationalmannschaft hat ihr Marketing übertrieben

    Das viel beschworene Lagerfeuer, um das sich die Nation regelmäßig versammelt, wärmt nicht mehr. Die emotionale Verbindung zwischen Mannschaft und Fans ist verloren gegangen. Verband und Team haben in den vergangenen Jahren das vorhandene Gemeinschaftsgefühl unterminiert. Nach der wunderbaren WM 2014 trieb Oliver Bierhoff die Vermarktung immer weiter voran. Wo andere Gefahren sahen, sah er Chancen. Hinter dem Marketing aber verblasste die strahlende Mannschaft. Bierhoff sprach von Stakeholdern und Claims. Löws Team war qua Markenbildung überall und nur noch „Die Mannschaft“. Anstatt den umtriebigen Bierhoff einzubremsen, taumelte mit dem Apparatschik Reinhard Grindel ein schwacher Präsident durch seine kurze Zeit an der Verbandsspitze.

    Im Krisenjahr 2018 schließlich kumulierten sämtliche Fehlentwicklungen. Mannschaft und Verband gaben eine miserable Rolle ab, als Mesut Özil und Ilkay Gündogan im Vorfeld der WM mit Recep Tayyip Erdogan posierten. Das Team spielte schlecht. Von Joachim Löw gingen keine Impulse aus und überall war die dämliche Marketing-Botschaft „zsmnn“ zu lesen.

    Joachim Löw braucht Erfolge - sonst wird das Interesse an Länderspielen weiter sinken

    Von diesem Schock hat sich die Beziehung der Fans zur Nationalmannschaft immer noch nicht erholt. Dabei sind die Ansätze vielversprechend. Mit Fritz Keller verfügt der DFB nun wieder über einen anpackenden Präsidenten. Das Team um die Nationalmannschaft hat die Vermarktung in den Hintergrund rücken lassen. Bis sich diese Eindrücke verfestigt haben, wird allerdings noch Zeit vergehen. Zum Stammpersonal der Mannschaft gehören kluge und spannende Typen. Spieler und Offizielle haben erkannt, dass sie wieder nahbarer erscheinen müssen. Das wiederum gestaltet sich derzeit schwierig.

    Am einfachsten ließe sich ein Stimmungsumschwung mit einem neuen Trainer bewirken. Einem begnadeten Kommunikator wie Jürgen Klopp würde jenes Vertrauen gewährt, das Löw aufgebraucht hat. Der Bundestrainer erscheint in letzter Zeit immer häufiger als frei schwebender Mastermind. Löw aber ist weder Elon Musk noch Steve Jobs. Er ist der Trainer einer Fußballmannschaft. Eine verschrobene Attitüde wird nur bei großen Erfolgen zugestanden. Einen solchen benötigt Löw kommendes Jahr bei der EM. Nur dann wärmt auch wieder das Lagerfeuer.

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