Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: IOC-Präsident Bach lässt Putins Betrügern eine Chance

Kommentar

IOC-Präsident Bach lässt Putins Betrügern eine Chance

    • |
    Russische Flaggen bei Olympia – dieses Bild wird es in Pyeongchang im Februar 2018 nicht geben.
    Russische Flaggen bei Olympia – dieses Bild wird es in Pyeongchang im Februar 2018 nicht geben. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Der Aufschrei nach dem Urteil des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Russland ist groß, erwartungsgemäß groß. Das Land muss bei den Olympischen Spielen im Februar 2018 auf seine Flagge und seine Hymne verzichten. Als Zeichen der Schande für eine große Sportnation werden die nationalen Symbole verboten. Russische Sportler jedoch werden bei den Spielen in Südkorea unter strengen Auflagen starten dürfen. Das IOC unter der Führung von Putin-Versteher Thomas Bach hat einen Kompromiss gefunden, der eine Brücke zum Kreml-Chef baut.

    Sportpolitisch mag die IOC-Entscheidung klug sein. Konsequent ist sie nicht. Denn was die Gastgeber der Winterspiele von Sotschi geboten haben, war ein unappetitlicher Cocktail aus Betrug, Heuchelei und kriminellen Machenschaften. Das Sportsystem eines Landes hat die Zuschauer in der ganzen Welt an der Nase herumgeführt. Punktgenau zum Treffen der Jugend der Welt zeigten sich Putins Athleten topfit. Die russische Mannschaft hüpfte locker von Rang elf der Medaillenwertung in Vancouver 2010 auf Platz eins in Sotschi.

    Russisches Sportsystem hat Zuschauer an der Nase herumgeführt

    Schließlich sollte sich die geschätzte 50-Milliarden-Dollar-Investition in das Sportspektakel für die Gastgeber rechnen. Dafür waren kriminelle Methoden recht und billig. Vor den Wettkämpfen erhielten die Athleten einen leistungssteigernden Cocktail aus Steroiden und Alkohol. Damit es nicht aufflog, tauschten anschließend Agenten im Doping-Kontroll-Labor von Sotschi die Urinproben der heimischen Starter aus. Hunderte Sportler haben gedopt oder von der Doping-Verschleierung durch den russischen Staat profitiert.

    Die Konkurrenten mussten hilflos zusehen und ärgerten sich wie der Biathlet Erik Lesser: Die komplette Sportgemeinschaft sei beschissen worden. In Anbetracht des gigantischen Betrugs am Sport und am Zuschauer hätte das IOC Russland komplett von den Spielen ausschließen können. Doch mit einer Kollektivstrafe hätte es die – vermutlich wenigen – sauberen Sportler ebenfalls getroffen.

    Der russische Doping-Skandal im Schnelldurchlauf

    3. Dezember 2014: Alles beginnt mit dem Dokumentarfilm «Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht». Das Image des russischen Sports wird durch Enthüllungen der ARD über systematisches Doping, Vertuschung von Kontrollen und Korruption auf schockierende Weise beschädigt...

    ... Die Dokumentation präsentiert geheime Aufzeichnungen mit Hinweisen auf ein staatlich unterstütztes Doping sowie auf einen offenbar im Hintergrund wirkenden Betrugs- und Vertuschungsapparat. Sogar die Spitze des Leichtathletik-Weltverbandes mit Ex-Präsident Lamine Diack ist involviert.

    16. Dezember 2014: Die Welt-Anti-Doping setzt eine Kommission zur Aufklärung der Vorwürfe gegen den russischen Spitzensport ein. Der frühere WADA-Chef Richard W. Pound führt das dreiköpfige Gremium an, ihm zur Seite stehen Experte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger.

    16. Juli 2015: Aufgrund von Doping-Ermittlungen zieht der russische Leichtathletik-Verband vorläufig sein komplettes Geher-Team von internationalen Wettkämpfen zurück. Die WM findet Ende August in Peking ohne die mit Abstand erfolgreichste Geher-Nation statt.

    4. November 2015: Diack wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. Die französische Justiz erhebt Anklage gegen den 82-Jährigen. Diack soll in seiner Amtszeit mehr als eine Million Euro für die Vertuschung positiver Doping-Proben kassiert haben, erklärt eine französische Staatsanwältin.

    9. November 2015: Die unabhängige WADA-Kommission um Pound legt ihren ersten Bericht vor, der ein Schreckensbild der Doping-Praktiken in der russischen Leichtathletik zeigt. Die Kommission empfiehlt, Russland aus der IAAF auszuschließen. 

    10. November 2015: Die WADA entzieht dem Doping-Kontrolllabor in Moskau vorläufig die Akkreditierung. Das Internationale Olympische Komitee suspendiert das IOC-Ehrenmitglied Lamine Diack.

    13. November 2015: Die IAAF suspendiert den Gesamtrussischen Leichtathletik-Verband ARAF angesichts der gravierenden Dopingvorwürfe.

    18. November 2015: Die WADA suspendiert Russlands Anti-Doping-Agentur RUSADA, weil sie die Regeln nicht eingehalten hat.

    7. Januar 2016: Die Ethikkommission der IAAF sperrt im Zuge des Dopingskandals den Sohn von Ex-Präsident Diack, Papa Massata, den ehemaligen IAAF-Schatzmeister Walentin Balachnitschjow und Russlands Ex-Cheftrainer Alexej Melnikow lebenslang. Der frühere Anti-Doping-Chef Gabriel Dollé wird für fünf Jahre gesperrt.

    14. Januar 2016: Bei der Präsentation des zweiten Berichts wirft die unabhängige WADA-Kommission der IAAF «ein komplettes Versagen im Kampf gegen Doping und Korruption» vor. Hauptverantwortlicher für die «Organisation und Ermöglichung der Verschwörung» sei der frühere IAAF-Präsident Diack.

    6. März 2016: Das angeblich große Reinemachen in der russischen Leichtathletik wird durch neue Vorwürfe gegen die Sport-Weltmacht erschüttert. Eine neue TV-Dokumentation präsentiert im WDR Belege für Verstöße von Russlands Leichtathletik gegen Auflagen vom Weltverband IAAF und der Welt-Anti-Doping-Agentur. 

    7. März 2016: Die russische Weltklasse-Spielerin Maria Scharapowa ist bei den Australian Open im Januar positiv auf Meldonium getestet worden. Das gibt sie selbst bekannt. Bis Mitte April verzeichnet die WADA mehr als 170 Positiv-Tests auf Meldonium, das erst seit Jahresanfang auf der Liste der verbotenen Mittel steht. Da unklar ist, wie lange Meldonium nachweisbar ist, lockert die WADA ihre Richtlinien.

    12. Mai 2016: Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, Gregori Rodschenkow, behauptet in der «New York Times», dass er in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten zusammen mit der Anti-Doping-Agentur Rusada sowie dem Geheimdienst auf Anordnung vom Staat vertuscht habe. 15 der russischen Medaillengewinner in Sotschi seien gedopt gewesen. US-Justiz, das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die WADA nehmen Ermittlungen auf.

    17. Mai 2016: Bei Nachkontrollen zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking werden 31 Sportler positiv getestet. Darunter sollen 14 russische Sportler sein, offenbar auch zehn Medaillengewinner. Eine davon ist Hochsprung-Olympiasiegerin Anna Tschitscherowa. Gleichzeitig setzt die WADA eine Untersuchungskommission wegen der Sotschi-Vorwürfe ein.

    27. Mai 2016: Bei Nachkontrollen zu den Olympischen Spielen 2012 in London sind 23 Sportler positiv getestet worden. Hinzu kommt eine weitere positive Probe von den Sommerspielen 2008 in Peking. Acht russische Sportler sind betroffen.

    8. Juni 2016: Scharapowa wird für zwei Jahre wegen ihres positiven Tests auf Meldonium gesperrt.

    15. Juni 2016: Die WADA erhebt erneut schwere Vorwürfe. So sollen zwischen dem 15. Februar und 29. Mai insgesamt 736 geplante Dopingkontrollen nicht durchgeführt worden sein. Kontrolleure seien in Russland von Athleten massiv behindert und von Beamten des russischen Geheimdienstes FSB eingeschüchtert worden.

    17. Juni 2016: Einstimmig bestätigt das Council der IAAF die Sperre für die russischen Leichtathleten. Damit dürfen sie bei den Olympischen Spielen in Rio nicht starten. Es gibt jedoch einen Kompromiss. Einzelne Athleten können unter neutraler Flagge teilnehmen, sofern sie nicht im russischen Doping-System involviert sind. So erhält Weitspringerin Darja Klischina eine Ausnahmegenehmigung von der IAAF.

    3. Juli 2016: Russland legt Einspruch gegen den Olympia-Ausschluss seiner Leichtathleten vor dem CAS ein.

    11. Juli 2016: Der CAS verschiebt ein Urteil im Fall Maria Scharapowa auf September. Damit ist sie bei Olympia nicht dabei.

    18. Juli: Die Welt-Anti-Doping-Agentur legt ihren Ermittlungsbericht zu den Doping-Anschuldigungen rund um die Winterspiele in Sotschi gravierende Belege für staatlich gesteuertes Doping in Russland vor. Im Moskauer Dopinglabor seien über Jahre hinweg positive Proben verschwunden, das russische Sportministerium habe die Manipulationen überwacht, hieß es in dem in Toronto vorgestellten Report. Eine Empfehlung für Sanktionen wie einen Olympia-Ausschluss gab er aber nicht.

    bis 21. Juli 2016: Der CAS will über den Einspruch gegen den Ausschluss russischer Leichtathleten in Rio entscheiden

    Das Bemühen des IOC ist erkennbar, den Bruch mit dem kranken Sportsystem von Wladimir Putin zu vermeiden. Die Mannschaft darf unter dem Kürzel OAR als Olympische Athleten aus Russland in Südkorea starten. Ein bisschen Russland darf es dann doch sein. Außerdem hofft das IOC auf eine Wunderheilung. Bereits zur Schlussfeier besteht die Möglichkeit, dass sich Russland als Nation in die Olympiade – so wird der Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen genannt – verabschiedet.

    Mit der milden Sanktion verbiegt sich das IOC bis an den Rand seiner Glaubwürdigkeit, denn ein Staat hat die olympischen Werte mit Füßen getreten und darf doch irgendwie dabei sein.

    Hart bestrafte das IOC dagegen den mutmaßlichen Drahtzieher des Staatsdopings. Witali Mutko, einst Sportminister und Vize-Premier von Wladimir Putin, erhielt ein lebenslanges Olympia-Verbot. Der Mann, dessen Ruf ruiniert ist, steht dem Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 vor. Auch dem weitaus wichtigeren Prestigeobjekt Putins droht nun mehr als nur ein Imageschaden.

    Hinweise auf Doping im russischen Fußball

    Denn ein Report der unabhängigen Welt-Anti-Doping-Agentur Wada enthält Hinweise auf systematisches Doping auch im russischen Fußball. Was sich bei Olympia bewährt hat, könnte auch bei den Kickern funktionieren. Der Chef des Weltfußball-Verbandes, Gianni Infantino, gab sich bisher kumpelhaft mit Witali Mutko und nannte ihn einen großen Experten, von dem man noch viel lernen könne. Die Fifa lehnt Konsequenzen für Mutko ab. Da freut sich doch jeder Fan auf das Fußballfest in Russland.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden