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Kommentar: Erst verlor Löw das Selbstbewusstsein, dann die Mannschaft

Kommentar

Erst verlor Löw das Selbstbewusstsein, dann die Mannschaft

Tilmann Mehl
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    Das Spiel im Wembley-Stadionw ar das letzte für Joachim Löw als Bundestrainer. Er schaffte es zuletzt nicht mehr, der Mannschaft Impulse zu geben.
    Das Spiel im Wembley-Stadionw ar das letzte für Joachim Löw als Bundestrainer. Er schaffte es zuletzt nicht mehr, der Mannschaft Impulse zu geben. Foto: Christian Charisius, dpa

    Als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft braucht es einen Hang zur Wurschtigkeit. Würde sich der erste Trainer des Landes all die Meinungen der Experten, vermeintlichen Experten und Bierchipssofa-Fans zu Herzen nehmen, würde er des nächtens nur schwer in den Schlaf finden. Insofern war Joachim Löw 15 Jahre lang der optimale Trainer der immer noch wichtigsten deutschen Mannschaft.

    Wer nicht zu seinem innersten Zirkel gehörte, brauchte sich keine Hoffnung machen, Gehör zu finden. In guten Phasen wurde ihm das als gesundes Selbstbewusstsein ausgelegt. Die vergangenen Jahre waren nicht gut. So wirkte er beratungsresistent. Mindestens genauso wichtig: Er schien sich selbst nicht mehr zu vertrauen.

    Joachim Löw war der optimale Nachfolger für Jürgen Klinsmann

    Bis zur WM 2018 entwickelte Löw die Mannschaft immer weiter. Er übernahm 2006 von Jürgen Klinsmann ein Team, das hauptsächlich von seiner Begeisterung lebte. Unter Löw verinnerlichte es taktische Prinzipien und etablierte einen immer sehenswerteren Fußball, der seinen Höhepunkt im WM-Halbfinale 2014 fand, als die deutsche Nationalmannschaft Brasilien 7:1 schlug. Die Auswahl wurde nicht trotz Löw Weltmeister, sondern auch wegen ihm. Die Argentinier hatten Messi, die Brasilianer eine Heerschar überragender Offensivkünstler, Deutschland hatte einen Plan.

    Dieser Plan war es, der lange Zeit Löws Wirken auszeichnete. Mitunter hielt er zu stur daran fest. Noch schlimmer allerdings war, dass er mit dem Aus in Russland in eine Phase des planlosen Experimentierens überging. Der zuerst angekündigte Neuaufbau war ebenso schlüssig wie die Rückkehr zu altem Personal unmittelbar vor der Europameisterschaft. In den dazwischenliegenden Jahren aber fand Löw weder zu personeller noch zu struktureller Kontinuität. Von einer übergeordneten Spielidee war nichts zu erkennen. Eben die war auch mitverantwortlich für das Achtelfinal-Aus im Wembley-Stadion. Aktiv, nach vorne gewandt, die Entscheidung suchen? Die Engländer auskontern? Dem deutschen Hybrid-Modell gelang beides nicht, es stotterte 90 Minuten vor sich hin, ehe es sich auf den Standstreifen begeben musste.

    Nach dem WM-Aus 2018 fand die Nationalmannschaft nicht mehr zu sich selbst.
    Nach dem WM-Aus 2018 fand die Nationalmannschaft nicht mehr zu sich selbst. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Löw wird künftig nicht mehr nur mit dem WM-Titel und dem Vorrunden-Aus 2018 in Verbindung gebracht werden, sondern auch mit drei bleiernen Jahren, in denen die Mannschaft sich trotz zahlreicher talentierter Spieler kein Stück fortentwickelt hat. Aus heutiger Sicht wäre ein Rücktritt bereits 2014 die bessere Wahl gewesen. Die Mannschaft befand sich auf ihrem Höhepunkt, Löw ebenso. Dass er es allerdings versucht hat, die Mannschaft mit seinen Ideen zu weiteren Erfolgen zu führen, verdient mehr Respekt als Kritik. Letztlich aber war spätestens 2018 der Zeitpunkt zur Trennung gekommen. Ein Neuanfang fällt leichter mit einer Führungsfigur, die Strahlkraft besitzt.

    Hansi Flick kann dieser Mannschaft nur gut tun

    Hansi Flick ist daher der richtige Mann. Er ist der erfolgreichste deutsche Trainer der vergangenen Jahre. Er ist bekannt dafür, die Entscheidungen in der Offensive zu suchen. Das kommt einem Kader entgegen, der seine Stärken hauptsächlich im vorderen Bereich hat. Es ist ein Kader, dessen Qualität mehr hergibt als ein Aus in der ersten K.o.-Runde. Flick lenkte schon beim FC Bayern einen liegen gebliebenen Sportwagen schnell vom Standstreifen auf die Überholspur. Er ist der richtige Trainer zur richtigen Zeit.

    So wie auch Joachim Löw so lange der bestmögliche Mann für die Auswahl war, wie er sie selbstbewusst anführte. Erst die Zögerlichkeit in der Endphase schadeten ihm – und der Mannschaft.

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