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Kommentar: Doping-Urteil soll Hintermänner abschrecken

Kommentar

Doping-Urteil soll Hintermänner abschrecken

Andreas Kornes
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    Mark S. – hier zwischen seinen Anwälten – steht im Zentrum des Doping-Prozesses in München.
    Mark S. – hier zwischen seinen Anwälten – steht im Zentrum des Doping-Prozesses in München. Foto: Peter Kneffel, dpa

    In München ist an diesem Freitag ein Prozess zu Ende gegangen, der sich großer Beliebtheit erfreute. Weniger bei den Angeklagten, dafür umso mehr bei all jenen, die die Hoffnung auf einen sauberen Sport noch nicht aufgegeben haben – selbst wenn es diesen nie geben wird. Zu sehr liegt es in der Natur des Menschen, bei Gelegenheit zum Betrüger zu werden. Der Sport bietet an seiner gelddurchtränkten Spitze jede Menge Anreiz, sich einen Vorteil zu erschummeln. Und hier schließt sich der Kreis zu dem Prozess in München. Denn der dort nun verurteilte Sportarzt bot den Willigen diese Gelegenheit.

    Der Angeklagte wählte die Strategie der Vorwärtsverteidigung

    Vor Gericht kam ein System zum Vorschein, das Sportlern grenzübergreifend die Möglichkeit gab, sich mit Eigenblut zu dopen. Eine Doping-Variante, die nur schwer nachzuweisen ist. Unkorrekt ausgeführt birgt sie allerdings hohe Risiken. Jeder kann sich vorstellen, dass verunreinigte Infusionen die Leistung nicht unbedingt fördern.

    Staatsanwaltschaft forderte fünfeinhalb Jahre Haft für Mark S.

    Der Hauptangeklagte Mark S., ein Arzt, hatte während des Prozesses die Strategie der Vorwärtsverteidigung gewählt. Er war geständig, kooperativ, zeigte jede Menge Reue und stellte sich als Helfer dar, der den Sportlern sicheres Blutdoping zur Verfügung stellen wollte. Verurteilt wurde er nun zu vier Jahren und zehn Monaten Haft. Die Staatsanwaltschaft hatte fünfeinhalb Jahre gefordert.

    Es sei rechtliches Neuland, das mit dem Verfahren betreten wurde, sagte Oberstaatsanwalt Kai Gräber. Zwar gibt es in Deutschland schon seit 2015 ein Anti-Doping-Gesetz. Bisher hat es sich aber fast ausschließlich gegen Sportler aus der Bodybuilder-Szene gerichtet. Die eigentliche Zielgruppe aus dem Spitzensport blieb unbehelligt. Allein schon dieser Umstand zeigt, dass das Gesetz überarbeitet werden muss. Momentan hat es die falsche Stoßrichtung. Und es fehlt eine Kronzeugenregelung. Denn ohne das Wissen von Insidern sind Polizei und Staatsanwaltschaft machtlos. Das wurde in München deutlich.

    Spektakuläre Dopingfälle im internationalen Sport

    1988: Der kanadische Sprinter Ben Johnson gewinnt bei den Olympischen Spielen in Seoul zwar das 100-Meter-Finale gegen seinen großen Rivalen Carl Lewis (USA), muss seine in der Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden gewonnene Goldmedaille später jedoch zurückgeben. Er war mit dem anabolen Steroid Stanozolol gedopt.

    1992: Katrin Krabbe, Doppel-Weltmeisterin von Tokio 1991, wird das unerlaubte Doping-Mittel Clenbuterol nachgewiesen. Die einjährige Sperre durch den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) wird vom Weltverband IAAF auf zwei Jahre verlängert. Münchner Gerichte erkennen einen Schadenersatzanspruch der Sprinterin gegenüber der IAAF in Höhe von 1,2 Millionen D-Mark an.

    1994: Dem argentinischen Superstar Diego Maradona wird bei der Fußball-Weltmeisterschaft die verbotene Substanz Ephedrin nachgewiesen. Er wird vom Turnier ausgeschlossen.

    1998: Bis dahin größter Tour-de-France-Skandal: Bei Festina-Team- Betreuer Willy Voet werden massenhaft unerlaubte Substanzen zum Dopen gefunden. Es folgen Razzien der Polizei, ein flächendeckendes Doping- System im Radsport wird enttarnt.

    2006: Nach einer Doping-Razzia im Turiner Olympia-Quartier flieht der österreichische Skitrainer Walter Mayer. Bei der Durchsuchung werden Spritzen, Medikamente und Geräte zur Bluttransfusion sichergestellt. Vier Langläufer und zwei Biathleten werden vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) auf Lebenszeit von Olympischen Spielen ausgeschlossen.

    2006: Zwei Tage vor dem Start der Tour de France werden neun Fahrer, darunter Jan Ullrich und der Italiener Ivan Basso, von der Rundfahrt ausgeschlossen. Sie sollen mit dem mutmaßlichen spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes zusammengearbeitet haben. US-Profi Floyd Landis wird positiv auf Testosteron getestet. 14 Monate später wird er für zwei Jahre gesperrt. Der Tour-de-France-Sieg wird ihm aberkannt. Im Mai 2010 gibt er Doping zu.

    2007: Die Radprofis Jörg Jaksche, Bert Dietz, Christian Henn, Udo Bölts, Brian Holm, Rolf Aldag, Erik Zabel und Bjarne Riis, der Tour- Sieger von 1996, gestehen Blutdoping. Die Sportärzte Lothar Heinrich, Andreas Schmid und Georg Huber werden von der Universitätsklinik Freiburg suspendiert.

    2007: Im Oktober räumt die dreimalige Olympiasiegerin Marion Jones (USA) im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ein, jahrelang gedopt zu haben. Die Olympiasiege werden der Sprinterin im Dezember 2007 vom IOC aberkannt. Die Medaillen hatte sie bereits zurückgegeben.

    2009: Am 3. Juli erklärt die Internationale Eislauf-Union (ISU), dass die fünfmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein gesperrt worden ist. Einen positiven Doping-Befund gibt es nicht. Pechstein wurde aufgrund von Indizien gesperrt, ihr Blutprofil zeigte nach ISU-Angaben Auffälligkeiten.

    2010: Tour-de-France-Sieger Alberto Contador wird positiv auf die verbotene Substanz Clenbuterol getestet. Im Februar 2012 wird der spanische Radprofi vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) zu einer Zweijahressperre bis August 2012 verurteilt, zudem werden ihm seine Ergebnisse seit Juli 2010 aberkannt.

    2012: Der deutsche Ex-Radprofi Jan Ullrich wird vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne wegen Dopings schuldig gesprochen und bis August 2013 gesperrt. Zudem werden ihm alle Ergebnisse seit Mai 2005 aberkannt.

    2013: Nach jahrelangem Leugnen gibt der frühere US-Radprofi Lance Armstrong laut Medienberichten in einem Fernsehinterview Dopingmissbrauch zu. Zuvor war der siebenmalige Tour-de-France-Sieger von der US-Anti-Doping-Agentur USADA mittels Zeugenaussagen überführt worden. Seine Gesamterfolge bei der Frankreich-Rundfahrt wurden ihm aberkannt, Armstrong ist lebenslang gesperrt.

    Der Prozess gewährte Einblick hinter die Fassade des Spitzensports. Zur Strategie der Anwälte von Mark S. gehörte, immer wieder zu behaupten, Doping sei im Spitzensport an der Tagesordnung. Ihr Mandant habe halt das Pech gehabt, erwischt zu werden. Ein Argument mit langer Tradition. Kaum ein Doper, der nicht sagt, er habe sich nicht als Betrüger gefühlt, da dass doch alle machten. Erinnert sei an den tief gefallenen Ex-Radstar Jan Ullrich.

    Operation Aderlass: Die Nadeln steckten noch im Arm

    Dessen Nachfolger sehen sich nun aber mit einem neuen Gegner konfrontiert. Als die Fahnder während der Nordischen Ski-WM 2019 die Operation Aderlass starteten, erwischten sie in einem Hotelzimmer in Seefeld zwei Langläufer auf frischer Tat, die Nadel steckte noch im Arm. Ohne Anti-Doping-Gesetz wäre das nicht gelungen. Polizisten und Staatsanwälte haben deutlich schärferes Werkzeug zur Verfügung als der Sport, der sich viel zu lange auf seine Selbstreinigungskräfte verließ. Das Urteil von München ist nun eine abschreckende Drohkulisse für die Hintermänner. Es zeigt, dass sie ihre Arbeit nicht mehr komplett sorgenfrei anbieten können.

    Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Mark S. bisher ein Einzelfall ist und im wesentlichen Sportler aus der zweiten Reihe "betreute". Die Stars sind offenbar cleverer. Oder sie dopen nicht. Wählen Sie selbst.

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