Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn der Schiedsrichter im Mittelpunkt steht. Richten sich Kameras auf den Unparteiischen, hat er sich meist eine Fehlentscheidung geleistet, die in der Sportberichterstattung mit dem Adjektiv "kapital" beschrieben wird. Bibiana Steinhaus stand oft im Mittelpunkt. Nicht, weil sie permanent zu falschen Zeitpunkten in die Pfeife blies, sondern einzig weil sie eine Frau ist. Eine Frau, die eine außergewöhnlich gute Schiedsrichterin ist. Steinhaus war die erste – und bislang einzige – Frau, die Spieler der Ersten Bundesliga leiten durfte.
Am Mittwoch pfiff sie letztmals ein Profispiel. Die Partie zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund um den deutschen Supercup bildete den Abschluss ihrer Karriere. "Wie viele Menschen in der Zeit der Corona-Situation habe ich manches reflektiert und neu bewertet", so die 41-Jährige. Nach "sorgfältiger Abwägung vieler Faktoren" habe sie sich dazu entschieden, ihre "nationale und internationale Laufbahn als Schiedsrichterin zu beenden". Es ist ein Abschied, der überraschend kommt.
Steinhaus nahm beim 3:2-Sieg der Münchner jene Rolle ein, die sie in den meisten Spielen ihrer Laufbahn innehatte: Jene, der aufmerksamen und unauffälligen Spielleiterin. Dass sie vor dem Spiel von DFL-Boss Christian Seifert einen Ball samt Blumenstrauß überreicht bekam, nahm sie mit freundlichem Gleichmut hin, die Konzentration galt schon dem Spiel.
Durch Tore von Tolisso und Müller führte der FC Bayern schon mit 2:0
Das Aufeinandertreffen der beiden Teams begann anders als es die vergangenen Partien zwischen den Bayern und dem BVB in München getan hatten. Immer wieder waren die mit großen Hoffnungen angereisten Dortmunder vorgeführt worden – zuletzt beim 0:4 im vergangenen November. Die Mannschaft von Trainer Lucien Favre aber war diesmal anfangs griffiger als die Bayern, denen schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison die Beanspruchungen des engen Terminplans anzumerken waren. Nach 32 Minuten allerdings führten die Münchner dann doch schon wieder mit 2:0.
Corentin Tolisso hatte einen Konter zum 1:0 abgeschlossen (18.), Thomas Müller nickte nach einer Flanke von Alphonso Davies zum zweiten Treffer ein. Als der Spielverlauf die Abzweigung Richtung Gewöhnlichkeit zu nehmen schien, holte Benjamin Pavard die Dortmunder mit einem Fehlpass zurück ins Spiel. Erling Haaland legte auf, Julian Brandt traf (39.).
Wie beengt die Möglichkeiten von Flick sind, personell für neuen Schwung zu sorgen, zeigte sich symbolhaft in der Aufstellung von Javi Martinez. Weil Leon Goretzka mit Rückenproblemen ausfiel, rückte der abwanderungswillige Spanier in die Startelf. Dort stand er im gesamten Kalenderjahr 2020 zuvor erst einmal. Der vergangene Saison aus Mönchengladbach verpflichtete Michaël Cuisance kommt künftig als Alternative auch nicht mehr in Frage: Er wechselt für rund 20 Millionen Euro zum englischen Erstligisten Leeds United. Wie die Bild berichtet, soll nun Sportvorstand Hasan Salihamidzic beim Berater von Hoffenheims Torjäger Andrej Kramaric vorstellig geworden sein, um ihn von einem Wechsel zu überzeugen. Unter 40 Millionen Euro aber dürfte der kaum zu haben sein. Bis zum 5. Oktober sind Transfers noch möglich. Das Wissen um die Nöte der Bayern wird sich nicht in sinkenden Preise ausdrücken.
Kimmichs Tor für den FC Bayern: Ein Sieg des Willens
Den Dortmundern sind derartige Probleme fremd. Sie hatten ihren Kader frühzeitig komplettiert. Ihre längere Vorbereitungszeit wirkt sich zudem nicht nachteilig aus. So zog Haaland nach 55 Minuten der Münchner Defensive problemlos davon und verwandelte zum Ausgleich. Vier Minuten später bewahrte Manuel Neuer seine Mannschaft gegen den abermals allein vor ihm auftauchenden Norweger vor dem Rückstand. Die Münchner strafften sich nochmals und weil Favre auf der Gegenseite mit einigen Wechseln deutlich machte, dass der Supercup zwar nett, das kommende Ligaspiel gegen Freiburg aber wichtiger ist, gaben die Borussen ihre Überlegenheit wieder aus der Hand.
Und so kam es, dass die Münchner doch noch den fünften Titel des Jahres feiern konnten. Joshua Kimmich luchste Thomas Delaney im Mittelfeld den Ball ab, über Robert Lewandowski gelangte der wieder zu ihm und just als die Dortmunder die Situation geklärt zu haben schienen, vollbrachte Kimmich das Kunststück, den Ball per Hacke über BVB-Keeper Hitz ins Tor zu lenken – was für ein Tor, was für eine Kombination aus Antizipation, Wille und Technik (82.). Wenig später pfiff Steinhaus eine Partie ab, die nicht lange in Erinnerung bleiben wird. Anders als ihre Karriere.
Lesen Sie auch:
- Sorgen beim FC Bayern vor dem Supercup: Jetzt fällt auch noch Sané aus
- So hat sich Hasan Salihamidzic selbst unter Druck gesetzt
- Leeds United an Bayerns Cuisance interessiert
- Schlappe Bayern: Terminhatz, Transferdruck, neue Titelchance
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.