Der Erste gegen den Zweiten - eine Ausgangslage vor dem Clásico, die in normalen Zeiten Fußball-Deutschland elektrisieren würde. Aber wir haben keine normalen Zeiten und keine Clásico-Euphorie. Wie groß ist bei Ihnen persönlich die Vorfreude auf die Partie?
Thomas Helmer: Zuallererst sind wir ja alle froh, oder fast alle, dass überhaupt wieder gespielt wird. Auf die Partie Dortmund gegen Bayern heute freue mich schon sehr. Es ist ein besonderes Duell, weil der BVB und die Bayern wieder mal nahe beieinander sind. Nach der Zwangspause konnten beide Teams richtig überzeugen.
Vor allem die Dortmunder scheinen sich gefangen zu haben, nachdem sie vor der Corona-Pause immer wieder Probleme hatten...
Helmer: Der BVB spielt sehr kontrolliert. Die Defensive wirkt stabil. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Favre ist ja häufig kritisiert worden. Aber er hat die Zwangspause genutzt, um seine Spieler besser zu machen. Auch die Umstellung auf eine Dreierkette hat der Mannschaft gut getan. Wenn Dortmund gewinnt, ist das Rennen um die Meisterschaft wieder offen. Dass diese Partie ohne Publikum im Stadion stattfindet, ist aber sicher kein Vorteil für die Dortmunder.
Das kann man auch anders sehen. Wenn 80.000 Zuschauer von den Spielern ihrer Mannschaft unbedingt einen Sieg erwarten, werden mitunter die Beine schwer...
Helmer: Das erzeugt Druck. Aber ich bleibe dabei: es ist besser, vor eigenem Publikum zu spielen. Das hilft in vielen Situationen, zum Beispiel wenn du nicht in die Partie kommst, da kann die Unterstützung von den Rängen gut tun. Es fällt ja schon auf, dass es in den bisher 18 Partien nach dem Re-Start ganze drei Heimsiege gegeben hat. Das ist sicher kein Zufall.
Sie haben selbst im BVB-Dress vor der "gelben Wand“"gespielt. Wie fühlt sich das an?
Helmer: Das ist ganz einfach der Wahnsinn und treibt dich an. Beim FC Bayern habe ich dann die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn man bei jedem Auswärtsspiel alles andere als freundlich empfangen wird. Wenn die Bayern kommen, ist die Stimmung schon immer besonders aufgeheizt. Auch das hat mich gepusht. Der eine denkt sich bei so viel Antipathie, die einem entgegenschlägt, jetzt erst recht. Der andere kommt damit nicht klar.
"Da warten Mammutaufgaben auf alle Beteiligten"
Wie lautet Ihre Zwischenbilanz der ersten beiden Spieltagen nach der Corona-Pause?
Helmer: Die fällt positiv aus. Die Spieler gehen in meinen Augen sehr vernünftig und diszipliniert mit der Situation um. Ein Beispiel: bei einem Zweikampf bleibt ein Spieler am Boden liegen. Da gibt es einen Reflex, dass man als Mitspieler hingeht und sich beim Betroffenen erkundigt, was los ist. Doch das darf man nicht - und die Spieler halten sich daran. Ich habe zudem den Eindruck, dass der Umgang der Schiedsrichter mit den Spielern einfacher geworden ist. Rudelbildung - gibt’s nicht mehr. Der Unparteiische hört ja auch alles. Ein Schiedsrichter hat gesagt, dass man in der Stille des Stadions sogar höre, wenn ein Spieler den anderen am Bein treffe – das erleichtere die Sache für ihn ein bisschen.
Und wie nimmt man als TV-Fußball-Experte Geisterspiele wahr?
Helmer: Vielleicht ist man noch ein bisschen fokussierter auf das Spiel, sieht klarer, was die eine oder andere Mannschaft auszeichnet, zum Beispiel wie schnell die Dortmunder umschalten. Aber natürlich hoffe ich wie jeder andere, dass bald wieder Fußball in Stadion mit Zuschauern gespielt wird. Wann das wieder möglich sein wird, weiß keiner. Das wird sicher noch dauern. Ganz abgesehen davon, gibt es auch sonst noch viele Fragezeichen: Wann startet die neue Saison? Das müsste eigentlich im August sein. Die Zeit drängt ja, weil nächstes Jahr die EM ansteht. Dann das Problem mit dem Transferfenster. Viele Verträge laufen Ende Juni aus. Was passiert, wenn die Saison erst im Juli beendet werden kann? Bis jetzt lief ja nach dem Re-Start in der Bundesliga alles gut. Aber da warten noch richtige Mammutaufgaben auf alle Beteiligten.
Mario Götze hat zumindest in einem Punkt Klarheit. Er muss sich einen neuen Verein suchen. Das hat der BVB am Samstag bekannt gegeben.
Helmer: Das ist schon sehr tragisch. Dass Favre für Götze in seinem System keinen Platz mehr sieht – okay. Aber als er am Samstag gegen Wolfsburg nach fünf Auswechslungen als einziger Ersatzspieler noch oben saß und nicht zum Einsatz kam, habe ich mit Götze gelitten. Vielleicht ist er auch einfach zu nett. Er scheint das ja alles so hinzunehmen. Ich hätte das nicht gemacht. Jedenfalls hoffe ich, dass Mario Götze der Neustart bei einem anderen Verein glückt. Er ist immer noch ein super Fußballspieler.
Zur Person: Thomas Helmer (55) spielte in der Bundesliga sowohl für Dortmund (1986 - 92) sowie für den FC Bayern München (1992 - 99). Der 68-fache Nationalspieler arbeitet als TV-Experte und moderiert den Fußball-Talk „Doppelpass“.
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