Bayern München gegen Arminia Bielefeld – ist bei Ihnen als Arminia-Fan ein gewisses Kribbeln zu verspüren?
Philipp Köster: Ich kneif mich in den Arm, weil ich gar nicht fassen kann, dass unsere ostwestfälischen Bauernlümmel tatsächlich gegen Hochkaräter wie Neuer, Lewandowski und Pavard antreten. Das ist ein bisschen so, als würde man mit einem Fiat Panda bei der Formel 1 mitfahren und in der Boxengassen den dicken Max markieren. Realistisch kann ich nur hoffen, dass wir uns gegen die Bayern nicht blamieren. Ich weiß, wovon ich rede. 2002/2003 fuhren wir nach einem 3:0-Auftakt-Sieg gegen Bremen am zweiten Spieltag als Tabellenführer nach München und sangen im Olympiastadion großkotzig: "Wenn wir wollen, kaufen wir euch alle auf." Das Spiel verloren wir dann 2:6. Und am Ende der Saison stieg Arminia ab.
Das ist beinahe 20 Jahre her. Mit Corona hat sich vieles verändert – anscheinend auch was die Begeisterung vieler Menschen für Fußball betrifft. Das Interesse an der Bundesliga sinkt. Wie ist das bei Ihnen?
Köster: Die Pandemie hat auch in meinem Verhältnis zum Fußball Spuren hinterlassen. Natürlich bleibe ich immer Fußballfan, und ich werde immer nervös sein, wenn Arminia gerade spielt. Aber Fakt ist eben auch, dass die Corona-Pandemie schonungslos die großen Verwerfungen und unschönen Strukturen im Profifußball freigelegt hat. Der Fußball hätte die Chance gehabt, sich endlich als gesellschaftlicher Akteur ersten Ranges zu präsentieren und Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen ging es den Klubs immer nur um ihre eigenen Bedürfnisse und die Frage: "Wann dürfen wir endlich wieder anfangen?" Man hat sich als größter Spender von Lebensfreude und Leichtigkeit präsentiert, sich aber gar nicht um die Fans gekümmert. Die Funktionäre sind davon ausgegangen, dass die Fans blöd genug sind, nach der Pandemie wie früher wieder ins Stadion zu gehen, als wäre überhaupt nichts gewesen.
Da haben sie sich getäuscht. Wo vor noch nicht allzu langer Zeit um Tickets gekämpft wurde, bleiben heute Plätze im Stadion leer, die trotz Corona-Regeln nicht frei sein müssten.
Köster: Viele Leute, die früher Woche für Woche in der Kurve standen, haben mit jedem weiteren Geisterspiel gemerkt, dass sie auch ganz gut ohne Fußball leben können. Sie betrachten das Treiben in der Fußball-Bundesliga distanzierter. Mir geht das genauso. Ich stelle auch fest, wie herrlich egal mir die Bundesliga mittlerweile geworden ist. Und das als Bielefelder, der jede Erstligasaison als göttliche Fügung begreifen müsste.
Was haben die Klubs falsch gemacht?
Köster: Sie hätten mit den Fans mehr und ernsthafter Kontakt aufnehmen sollen. Die Klubs hätten den Menschen in dieser für viele bedrohlichen Situation Unterstützung bieten und signalisieren müssen, wie wichtig sie für den Klub sind. Die spektakulären Aktionen gingen allesamt von den Fans aus. Nur ein Beispiel aus Berlin: Da gab es die Initiative "Herthakneipe", die in Not geratene Wirte unterstützt hat. Oder Ultra-Gruppen, die Einkaufshilfen für ältere Menschen organisiert habe. Ich hätte erwartet, dass die Liga mit einer Stimme spricht und sich die Frage stellt: Was können wir für die Menschen in dieser Situation tun? Stattdessen hat man es als größten Dienst an Gesellschaft angesehen, dass wieder Fußball gespielt wird.
Erleben wir gerade eine Zeitenwende im Fußball?
Köster: Ein großes Wort. Klar ist jedenfalls, dass es vorbei mit dem großen Fußball-Boom ist. Der begann 1992 mit der Einführung der Champions League und der englischen Premier League. Und die Verantwortlichen dachten, dass das ständig so weiter geht – immer noch größer, immer noch glitzernder, immer noch mehr Geld im Kreislauf. Aber das findet jetzt ein natürliches Ende. Wie kaputt das System ist, sieht man doch in der Serienmeisterschaft der Bayern. Ich finde es erschütternd, wie lange ignoriert wurde, dass dieser nicht vorhandene Wettbewerb auf Dauer das ganze System gefährdet. Und wer über radikale Reformen spricht, wird belächelt.
"Europa muss eingreifen"
Ist ja auch schwierig. Haben Sie eine Idee?
Köster: Zunächst muss der Geldfluss aus der Champions League anders verteilt werden. Ein Großteil der Einnahmen aus der Königsklasse muss in die Länder fließen und nicht an teilnehmenden Champions-League-Klubs. Aber klar ist auch: Aus eigener Kraft schafft der Fußball die Revolution nicht. Es braucht dafür politische Regelungen – und zwar seitens der EU. Europa muss eingreifen, mit einer Initiative, die den Exzessen des internationalen Spitzenfußballs Einhalt gebietet und ihm ein stabiles, wirtschaftliches und administratives Geländer gibt. Die Europäische Union hat schon so viele Wirtschaftszweige reguliert und befriedet. Es besteht überhaupt kein Grund, warum sie das nicht auch beim Fußballgeschäft hinkriegen sollte.
Und was ist mit der Macht der Fans? Zuletzt gab es beispielsweise aus den Reihen der Bayern-Anhänger massive Proteste gegen die Sponsoren-Deals mit Katar.
Köster: Das ist wichtig. Man hat ja auf der Jahreshauptversammlung gesehen, wie die Bayern-Funktionäre das Thema "Katar" einfach ignorieren wollten. Und haben sich dann gewundert, dass die Mitglieder sich dieses autoritäre Getue nicht bieten lassen wollten. Dass es am Ende Buhrufe und Pfiffe gab, hatten sich die Bosse selbst zuzuschreiben. So arrogant wie Herr Hainer darf man als Vereinspräsident einfach nicht auftreten.
Also noch mal: Fans haben Einfluss?
Köster: Ja und nein. Echte Veränderungen wird es am Ende nur über die Institutionen und dabei allen voran mit der EU geben. Wir brauchen eine europäische Lösung, zum Beispiel bei Gehaltsobergrenzen. Fankurven können nur Öffentlichkeit herstellen. Letztlich sind wir Anhänger erpressbar durch unsere Gefühle für den Klub. Wir brauchen Fußball und schauen alles an, was läuft. Ich will mich da nicht ausschließen. Diese Woche habe ich tatsächlich eine halbe Stunde lang dieses völlig belanglose Spiel Kiew gegen Bayern angesehen.
Auf den Rängen gilt inzwischen 2G oder 2G-Plus. Auf dem Platz dürfen ungeimpfte Spieler auflaufen. Wie passt das zusammen?
Köster: Gar nicht. Ungeimpfte Spieler haben dort nichts verloren. Ich widerspreche in diesem Punkt auch deutlich Hasan Salihamidzic, der befand, man müsse andere Meinungen beim Thema Impfen akzeptieren. Nein, muss man nicht. Wer sich nicht impfen lässt, verhält sich hochgradig unsolidarisch. Dafür habe ich kein Verständnis.
Zur Person: Philipp Köster ist Gründer, Geschäftsführer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Geboren ist der heute 49-Jährige in Bobingen. Als Köster drei Jahre alt war, zog die Familie von Augsburg nach Bielefeld. Im Jahr 2000 gründete der bekennende Arminia-Bielefeld-Fan mit dem Fotografen Reinaldo Coddou H. das Fußballmagazin "11 Freunde". Köster, der seit 2002 in Berlin lebt, ist Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet.