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Interview: Olympiasieger Kipchoge: "Du musst das Laufen in dein Herz einpflanzen"

Interview

Olympiasieger Kipchoge: "Du musst das Laufen in dein Herz einpflanzen"

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    Wiederholte in Tokio seinen Olympiasieg im Marathon aus Rio 2016: Der 36-jährige Eliud Kipchoge.
    Wiederholte in Tokio seinen Olympiasieg im Marathon aus Rio 2016: Der 36-jährige Eliud Kipchoge. Foto: Laage, imago

    In Ihrer Dokumentation betonen Sie, dass Langstreckenlauf mit Schmerzen verbunden ist. Aber wer Sie vor kurzem bei Ihrem Olympiasieg gesehen hat, konnte von

    Eliud Kipchoge: Schmerz ist immer dabei. Aber es ist gewissermaßen ein positiver Schmerz. Denn gleichzeitig genießt du auch den Lauf, denn du weißt, dass du fit genug bist, um es bis zum Finish zu schaffen.

    Gibt es Momente in einem Rennen, wo der Schmerz am stärksten ist?

    Kipchoge: Natürlich erlebst du Phasen, wo dir die Muskeln im ganzen Körper wehtun, aber dir bleibt nichts anderes übrig, als dich anzutreiben, anzutreiben und noch mal anzutreiben. Du tust alles, um dein Tempo zu halten, fokussierst dich aufs Laufen und auf die Ziellinie.

    Es hieß, dass Ihre wahren Stärken geistiger Natur sind – nämlich Herz und Verstand. Ist das so richtig?

    Kipchoge: Das Entscheidende ist, dass dieser Sport eine Herzensangelegenheit für dich ist. Jeder Tag Training ist eine Herausforderung. Wenn du das nur rational angehst, dann kann das nicht funktionieren. Aber wenn du das Laufen sozusagen in dein Herz einpflanzt, dann bedeutet das, dass du es wirklich liebst. Es geht in dein Blut über und in dein Knochenmark, und dann auch in deinen Verstand. Es wird Teil von dir, und das treibt dich an, jeden Tag auf die Laufstrecke zu gehen.

    Es gibt ja auch extrem schwierige Rennen. Was war denn Ihr härtester Marathon?

    Kipchoge: Das war Berlin 2015, als die Innensohlen aus meinen Schuhen herausfielen. Vermutlich war das das schwierigste Rennen meines Lebens. Ich habe das schon relativ bald gemerkt, als ich noch rund 38 Kilometer vor mir hatte, aber ich dachte mir: Das ist trotzdem kein Grund aufzugeben. Hier habe ich mich dann mit meiner Willenskraft vorwärtsgetrieben. Das ist immer noch der beste Schutz in solchen Situationen, und letztlich habe ich mich dann auch im Rennen okay gefühlt.

    Sie fühlten sich offenbar nach Ihrem Weltrekord in Wien 2019 wohl, als Sie die Zweistundenmarke unterboten. Nach dem Rennen trabten Sie munter weiter und klatschten sich mit Zuschauern ab. Ist man da nicht müde?

    Kipchoge: Die Müdigkeit steckt dir schon in den Knochen, aber der Spirit des Laufens ist stärker. Du willst nur zusammen mit den Menschen feiern und ihnen sagen, dass das das wahre Leben ist.

    Die Dokumentation über Ihren Rekordlauf heißt „The Last Milestone“. Nachdem Sie den nun geschafft haben, gibt es da einen nächsten?

    Kipchoge: Der letzte war der Olympiasieg. Momentan möchte ich einfach nur gut weitertrainieren und schnell laufen. Ich will die Menschen weiter inspirieren. Und dazu werde ich mir noch etwas einfallen lassen, was die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bekommt.

    Ihre Fabelzeit in Wien ist nicht als offizieller Weltrekord anerkannt, weil sie nicht den Regularien des Leichtathletik-Weltverbands entspricht. Haben Sie noch die Ambition, die zwei Stunden in einem regulären Rennen zu unterbieten oder hat sich dieses Ziel erledigt?

    Kipchoge: Nichts ist vorbei. Überhaupt nichts. Vielleicht schaffe ich es ja in der Tat noch, in einem normalen Rennen unter zwei Stunden zu laufen. Aber ich bin schon sehr glücklich, dass mir das als erstem Menschen gelungen ist. Denn ich wollte damit auch eine Botschaft in die ganze Welt schicken. Nämlich, dass jedem das ganze Leben offensteht. Du kannst alles erreichen, nicht nur im Laufen, sondern in jeder Art von Beruf. Du kannst ins Weltall fliegen, wenn du willst. Erlege deinen Gedanken keine Beschränkungen auf.

    Sie haben drei Kinder. Was ist, wenn die zu Ihnen sagen: ‚Wir haben keine Lust auf Sport, sondern wollen einfach nur vor dem Computer sitzen und unser Junkfood essen.‘?

    Kipchoge: Ich würde sie auf jeden Fall versuchen, eines Besseren zu belehren. Ich würde ihnen sagen, was ihnen das Laufen alles bringt, warum sie sich dadurch besser fühlen. Und ich würde auch erklären, dass Junkfood schlecht für ihr Körperwachstum ist. Aber ich würde sie zu nichts zwingen.

    Ihre Kinder haben diese Empfehlungen hoffentlich nicht nötig.

    Kipchoge: Nein, die gehen brav in die Schule. In der Freizeit spielen sie Fußball, und am Morgen laufen sie drei Kilometer. Denen geht es sehr gut.

    Sie betreiben auch eine Farm. Was gibt Ihnen die mental?

    Kipchoge: Wenn ich mich um die Tiere kümmere und schaue, wie die Pflanzen wachsen, dann ist das pure Entspannung. Ich finde hier ganz schnell meine Ruhe.

    Was ist denn für Sie ein Tiefpunkt im Leben?

    Kipchoge: Es gibt natürlich Phasen, wo du mal nicht laufen kannst, etwa bei einer Verletzung. Das ist schon hart, aber dann muss ich das akzeptieren und die nötigen Maßnahmen ergreifen. Ich kann nicht darauf herumreiten, was geschehen ist, das Leben besteht aus Abermillionen von Sekunden, die eine nach der anderen ablaufen, da kannst du nicht einfach stoppen und nur zurückschauen. Es werden wieder die Zeiten kommen, wo du gut trainieren und laufen kannst.

    Es gibt ja noch andere Erfahrungen, die Ihr Leben prägen dürften. Wie wichtig sind Ihre Kinder in dieser Hinsicht?

    Kipchoge: Es ist sehr lehrreich für mich, sie aufwachsen zu sehen. Erst waren sie ganz klein, dann begannen sie zu krabbeln, dann herumzulaufen und jetzt gehen sie in die Schule. Das zeigt einem, wie sich das Leben ständig ändert. Nichts stoppt.

    Ist diese Erfahrung aufregender als ein Rennen?

    Kipchoge: Absolut. Es ist wunderbar, wenn du dich um ein Kind kümmern kannst. Du fühlst dich selbst dabei besser und du bekommst dadurch wiederum mehr Energie fürs Training, fürs Laufen, einfach für alles. Und du findest dabei inneren Frieden.

    Hatte sich angesichts der Coronavirus-Pandemie in häusliche Isolation begeben: Eliud Kipchoge.
    Hatte sich angesichts der Coronavirus-Pandemie in häusliche Isolation begeben: Eliud Kipchoge. Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa

    Kommt es eigentlich vor, dass Sie im normalen Leben mal die Beine in die Hand nehmen müssen?

    Kipchoge: Mir fällt momentan nichts ein. Das hängt auch damit zusammen, dass ich immer pünktlich sein möchte. In der Regel komme ich zehn Minuten vor einem Termin an, damit ich nicht hetzen muss.

    Die nächste Stufe Ihrer Laufbahn wären dann Ultramarathons oder Wüstenläufe. Wäre das für Sie interessant?

    Kipchoge: In der Tat. Wenn ich meine Karriere im Wettkampfsport beendet habe, möchte ich das machen. Läufe über fünf Tage in der Wüste oder Ultramarathons kann ich mir sehr gut vorstellen. Auch der Ironman interessiert mich. Ich verfolge online das Programm von Jan Frodeno. Ich möchte schauen, wie sich solche Rennen anfühlen und welchen Spaß man damit haben kann. Wobei es mir auch darum geht, etwas für einen guten Zweck zu tun. Ich will Frieden in die Welt bringen und die Menschen zusammenführen.

    Sie sind gläubiger Christ. Fühlen Sie sich durchs Laufen auch Gott näher?

    Kipchoge: Definitiv. Es ist ein Gefühl von Freiheit. Ich bekomme dadurch positive Gedanken. Deshalb sage ich den Menschen, wie wichtig Laufen ist. Und nach einem guten Lauf gelingt es mir, auch andere Dinge perfekt zu tun, weil ich komplett entspannt bin.

    Indes gibt es auch eine weniger spirituelle Seite des Laufens: das Material. Sie haben Ihren Weltrekord mit Schuhen einer bestimmten Marke aufgestellt. Sind die wirklich so gut?

    Kipchoge: Eindeutig ja. Ich kann sie ihnen nur ans Herz legen. Laufen Sie am Tag, bevor Sie sie kaufen, eine bestimmte Strecke mit Ihren alten Schuhen. Wenn Sie sie haben, rennen Sie die gleiche Strecke, und Sie werden vom Unterschied hin und weg sein.

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