Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

Interview: Marcel Reif kritisiert FCB: "Bei Sané haben viel zu viele Leute laut geredet"

Interview

Marcel Reif kritisiert FCB: "Bei Sané haben viel zu viele Leute laut geredet"

    • |
    Marcel Reif kritisiert das Verhalten des FC Bayern im Transferpoker um Leroy Sané.
    Marcel Reif kritisiert das Verhalten des FC Bayern im Transferpoker um Leroy Sané. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Reif, Sie beschäftigen sich beruflich seit Jahrzehnten mit Fußball, macht Ihnen das immer noch Spaß?

    Marcel Reif: Es macht mir einen Riesenspaß. Ich dachte, ich wäre irgendwann mal durch. Ich merke aber: Das ist das Thema, das mich durch mein Leben begleiten wird. Ich weiß nicht warum, aber es macht mir immer noch die infantile Freude, die ich vor vielen Jahren erstmals verspürt habe.

    Das können all die Begleiterscheinungen des Geschäfts – etwa die horrenden Ablösesummen und Gehälter, die gezahlt werden – nicht ändern?

    Reif: Ich mache mir da meine Gedanken darüber. Aber irgendwann habe ich beschlossen, mir den Spaß am Spiel nicht mehr nehmen zu lassen. Das müssen jetzt die Jüngeren bearbeiten.

    Auf welche Begleiterscheinungen können Sie denn verzichten?

    Reif: Da kommen wir jetzt ins Moralisieren. Natürlich ist ein Mensch keine 200 Millionen Euro Ablöse wert. Aber das wird nicht das Ende der Fahnenstange sein. Irgendwann werden auch 300 Millionen Euro für einen Spieler gezahlt werden, das Geld ist ja da. Es gibt Organisationen, die das Geld haben und die einem vorrechnen, dass sich so eine Investition sogar lohnt. Darüber kann man diskutieren. Aber ich mag keine Heuchelei. Man kann nicht sagen: Wir wollen die Champions League gewinnen, geben aber kein Geld aus. Das ist heutzutage nicht mehr machbar. Da hätte wir viel früher sagen müssen: Der reine Amateurfußball, der ist es. Aber wenn ich Messi, Ronaldo oder Mbappé sehen möchte, dann kostet das was. Ob das gut ist oder nicht – ich weiß es nicht. Ich dachte immer: Der Fußball wird daran kaputt gehen. Aber der Fußball wird uns alle überleben. Zumal der Sport, der heute gespielt wird, fantastisch ist. Das hat mit dem

    Zumindest in der Bundesliga wird das ganz große Geld aber nicht gezahlt.

    Reif: Weil wir andere Strukturen haben. Wir haben 50+1, es gibt diese Investoren nicht. Wir müssen ehrlich zueinander sein: Wenn wir das Geld nicht haben, können wir da oben eben nicht mitspielen. Ich sage nicht, dass wir das sollten und bin nicht für die Planung eines Klubs zuständig. Aber man muss wissen, dass die anderen einen Wettbewerbsvorteil haben und sich bessere Spieler holen können. Natürlich gibt es mal begeistert bejubelte einzelne Gegenbeispiele, aber Geld schießt eben Tore – an diesem Gesetz kommst du auf Dauer nicht vorbei.

    Muss man sich aus Sicht der Bundesliga damit abfinden, dass ein deutscher Klub die Champions League vorerst nicht mehr gewinnen kann?

    Reif: Wenn man den nächsten Schritt nicht macht, wird man sich damit abfinden müssen. Was hat Klopp bei Liverpool zum Beispiel in seine Mannschaft gesteckt? Aber das Sané-Paket hätte die Bayern auch um die 200 Millionen Euro gekostet. Uli Hoeneß hat vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt: Diesen Irrsinn machen wir nicht mit. Aber sie machen diesen Schritt jetzt. Weil sie wissen: Wenn wir das nicht machen, haben wir keine Chance. Mit der Ligenzugehörigkeit hat das nur wenig zu tun. Die französische Ligue 1 ist ein ganzes Stück hinter der Bundesliga. Aber Paris hat in dieser Liga eigentlich auch längst nichts mehr verloren. Ehrlich gesagt haben die

    Manchester Citys Leroy Sané muss operiert werden.
    Manchester Citys Leroy Sané muss operiert werden. Foto: Frank Augstein/AP (dpa)

    Der Blick auf die Vorbereitung war bestimmt vom Transfer-Stau beim FC Bayern und der Verletzung von Leroy Sané. Statt Sané kam nun Ivan Perisic. Welches Bild gibt der

    Reif: Kein gutes. So habe ich Transferpolitik bislang nicht gekannt, zumindest nicht bei den Großen. Früher galt, dass die Vereine keine Wasserstandsmeldungen abgeben. Die Bayern haben den Blick auf sich gelenkt und die Causa Sané quasi auf dem Marktplatz ausgetragen. Das macht es teurer und belastet die Gespräche mit Manchester City. Im Fall Sané haben viel zu viele Leute laut geredet. Der Junge tut mir jetzt leid, weil er zwischen alle Stühle gerät: Guardiola will ihn nicht wirklich, Manchester muss ihn irgendwann wegen des Financial Fairplay verkaufen, die Bayern brauchen ihn – und dann verletzt er sich. Irgendwann sagt der Fußball-Gott offenbar: Jetzt reichts mir. Wenn die Bayern Sané nicht mehr wollen, muss er nach der Nummer jetzt bei Guardiola bleiben. Da hätte man völlig anders herangehen müssen.

    Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat die Spekulationen um eine Transferoffensive selbst vorangetrieben, mit seiner Aussage „Wenn Sie wüssten, wen wir schon alles haben.“ Sie saßen damals in derselben Sendung. Was haben Sie sich damals gedacht?

    Reif: Dass es schon so kommen wird. Das war immer der Bayern-Stil: Nach einer schlechten Saison wird groß investiert. Deswegen dachte ich mir: Alles klar. Offenbar war das ein bisschen zu vollmundig.

    Und gar nicht im Stil des FC Bayern.

    Reif: Vielleicht wollten sie ja all diese Spieler haben. Aber die Welt dreht sich mit. Die Neymars, Coutinhos, Griezmanns – das alles ist ja eine Riesen-Domino-Geschichte. Wir reden über die sieben, acht großen Klubs, mit denen die Bayern mitspielen wollen.

    Bröckelt gerade der Bayern-Mythos? Uli Hoeneß hat schließlich stets betont: Wenn die Bayern einen Spieler haben wollen, bekommen sie den auch.

    Reif: Damals hat Hoeneß über eine andere Größenordnung gesprochen, da galten die Messis und Ronaldos als nicht erreichbar für die Bayern. Der Spruch galt für alle anderen Spieler. Mittlerweile haben die anderen aufgerüstet, haben sich Investoren geholt und hauen Geld raus, als ob sie es selbst drucken könnten. Bei Sané geht es ja auch um eine Karriereentscheidung. Die Bayern haben seit 2013 keinen internationalen Titel mehr gewonnen. Wenn ich zu Barcelona gehe, weiß ich: Ich stehe möglicherweise nächstes Jahr im Endspiel. Die Bayern müssen erst wieder rankommen.

    In den vergangenen Jahren lautete die größte Befürchtung stets: nur nicht zu viel Bayern-Dominanz. Die Gefahr scheint aktuell nicht gegeben zu sein.

    Reif: Es reicht für die Bayern immer noch, um mit Dortmund um den Titel zu spielen. Aber ich wette mit Ihnen: Mit zehn Vorsprung werden die Bayern nicht Meister.

    Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge lässt kaum eine Gelegenheit aus, um Kritik an Trainer Niko Kovac zu üben. Selbst der Double-Sieg hat daran nichts geändert. Können Sie sich das erklären?

    Reif: Nach allem, was ich höre, war Kovac nicht die Wunschlösung von Rummenigge. Trotzdem muss man sich irgendwann damit abfinden, sonst schwächt man den Trainer. Er macht ihm die Arbeit nicht leichter. Andererseits wollte Kovac zu den Bayern und hat nicht unter Zwang unterschrieben. Er wusste, wo er hingeht. Und der FC Bayern, das ist eine andere Welt, da musst du liefern. Ein Double ist gut, aber wenn du als Trainer in der Champions League zu früh ausscheidest, musst du dir Kritik gefallen lassen. Dass Kovac sich zu einem möglichen Transfer Sanés optimistisch geäußert hat, war nicht gut. Ob man das wiederum öffentlich abwatschen muss – wie Rummenigge das getan hat – das weiß ich nicht. Über die Art des Umgangs können wir reden. Jetzt hat Kovac eine äußerst schwierige Aufgabe vor sich. Ob das gelingt, da bin ich gespannt.

    Steht vor dem Ende seiner Amtszeit als Bayern-Präsident: Uli Hoeneß
    Steht vor dem Ende seiner Amtszeit als Bayern-Präsident: Uli Hoeneß Foto: Matthias Balk (dpa)

    Die Zeit von Uli Hoeneß scheint zu Ende zu gehen. Ist der FC Bayern ohne Hoeneß für Sie überhaupt vorstellbar?

    Reif: Nein. Aber keiner ist unverzichtbar, selbst Uli Hoeneß nicht. Und das hat er erkannt und seine Schlüsse gezogen. Vielleicht ist der Weg, der jetzt gegangen werden muss – diese Summen, dieser Geldeinsatz – nicht mehr sein Weg.

    Zuletzt taten sich die Bayern schwer, entscheidende Personalien neu zu besetzen: Droht beim Hoeneß-Abgang die nächste Problematik?

    Reif: Das wäre Spekulation. Ich weiß nicht, welche Rolle Oliver Kahn spielt und wann er sie spielen wird. Natürlich wird das schwer. Solche patriarchalischen Strukturen sind aus der Zeit gefallen, aber es hat sie gebraucht. Ohne Uli Hoeneß wäre der Klub nicht da, wo er heute ist. Dieser Klub ist einem Wandel, in einer Zeitenwende: Spielen wir das große Spiel oder machen wir das nicht? Wenn man es nicht mitspielt, wird es nicht so anstrengend, aber dann muss man auch sagen: Die ganz großen Räder wie die Champions League drehen andere.

    Hat Sportdirektor Hasan Salihamidzic noch eine Zukunft beim FC Bayern?

    Reif: Ein junger Sportdirektor und ein junger Trainer – da haben sich die Bayern etwas getraut. Jeder hat das Recht zu lernen. Aber die Bayern sind kein Ausbildungsklub. Ich werde Salihamidzic nicht beurteilen, ohne zu wissen was am Ende dabei rumkommt. Die Transferperiode läuft noch bis 2. September. Und selbst wenn alle kommen, die die Bayern noch wollen, sind es erstmal tolle Spieler und noch keine Mannschaft.

    Borussia Dortmund hat sich nach einhelliger Meinung auf dem Transfermarkt gut verstärkt. Wie schätzen sie den BVB ein?

    Reif: Sie haben zwei Transferperioden hingelegt, die kann man nicht viel besser machen. Das ist brillant. Aber auch die Neuen müssen sich ins Mannschaftsgefüge integrieren – zumal das alles andere als Ergänzungsspieler sind. Aber eines ist auch klar: Bei den Dortmundern ist der Anspruch ein anderer. Kannten Sie zum Beispiel Jadon Sancho, bevor ihn der BVB geholt hat?

    Nein.

    Reif: Ich auch nicht. Aber das kannst du dir als Dortmund erlauben. Sie können junge Spieler holen und kucken: Was kommt da raus? Dortmund hat den nächsten Schritt gemacht, aber die Bayern sind von ihrem Anspruch und ihrem Selbstverständnis fast eine andere Liga.

    Kann außer dem BVB und dem FC Bayern noch eine andere Mannschaft ins Titelrennen eingreifen?

    Reif: Ehrlich gesagt: Nein. Dafür ist die Spitze zu weit weg und es wird nicht weniger. Leipzig hat einen neuen Trainer und neue Strukturen, Wolfsburg und Leverkusen machen sich ganz gut. Gladbach hat einen neuen Trainer und neue Spieler. Da scheinen mir Bayern und Dortmund aber zu weit weg.

    Haben wechselwillige Profis in ihren Reihen: FCA-Manager Stefan Reuter (l) und Trainer Martin Schmidt.
    Haben wechselwillige Profis in ihren Reihen: FCA-Manager Stefan Reuter (l) und Trainer Martin Schmidt. Foto: Matthias Balk (dpa)

    Werfen wir noch einen Blick auf den FC Augsburg. Der FCA geht zwar in seine neunte Bundesligasaison, viele sehen die Mannschaft aber trotzdem in den Abstiegsrängen – nicht zuletzt wegen des Auftritts im DFB-Pokal.

    Reif: Ich hoffe, dass der FC Augsburg sich auch da unten sieht und seine Deutsche Meisterschaft darin betrachtet, in der Liga zu bleiben. Man muss wissen: Wer bin ich? Wer sind meine Konkurrenten?

    Was meinen Sie damit?

    Reif: Die ganze Unruhe: Der eine Spieler will weg, der andere will auch weg, dann doch nicht, dann doch wieder weg. Das hilft nicht. Das können sich andere leisten. Der Klub muss sich auf seine Aufgabe konzentrieren. Die lautet: Aus wenig muss das Optimale gemacht werden und der Klub muss in der Liga bleiben. Jeder der andere Ansprüche hat, macht einen Riesenfehler und schadet dem Verein.

    Dennoch stand Stefan Reuter in der vergangenen Saison in der Kritik. Wie schätzen Sie seine Arbeit ein?

    Reif: Ich maße mir nicht an, seine Arbeit zu bewerten. Aber Augsburg geht jetzt in seine neunte Saison als Bundesligist. Wo steht geschrieben, dass Augsburg ein Bundesligist sein muss? Wenn du seit acht Jahren erste Liga spielst, kannst du nicht alles falsch gemacht haben. Aber irgendwann kommen andere Ansprüche...

    ...nicht zuletzt von den Spielern selbst. Vor der vergangenen Saison hatten sich einige der FCA-Spieler gesagt, dass sie nicht nur immer Abstiegskampf haben wollen.

    Reif: Das ist das ganz normale Leben. Reuter muss versuchen, dass zu moderieren. Aber das sind die Flausen, die kommen. Man muss sich an den Gegnern orientieren: Mainz. Freiburg. Nicht an den Aufsteigern wie Paderborn oder Union, denen hat der FCA tatsächlich etwas voraus. Wenn der Reiz des Neuen weg ist, bist du ein Klub wie jeder andere. Das ist schwierig, sich damit abzufinden. Aber das ist auch eine Auszeichnung – nämlich die, ein Erstligist zu sein. Man muss sich nur umschauen, um Traditionsklubs zu finden, denen es schlechter geht: 1860, Kaiserslautern und so weiter. Mein Appell an den FC Augsburg: Kuckt euch euer Stadion an, kuckt euch eure Strukturen an - das ist großartig. Nochmal: Jeder, der etwas anderes als den Klassenerhalt erwartet, schadet dem Klub.

    Wie sehen Sie den aktuellen FCA-Trainer Martin Schmidt?

    Reif: Ich mag ihn, wegen seiner Art. Ich habe ihn in Mainz erlebt und anderswo. Aber ein Trainer funktioniert an Platz A gut, an Platz B nicht. Man wird jetzt sehen, wie Augsburg und Schmidt zusammenpassen. Dass der ein guter Fußballtrainer ist, das hat er anderswo hinreichend unter Beweis gestellt. Aber es muss passen. Und dafür war die Zeit zu kurz und die Aufregung zu groß. Jetzt heißt es: Raus aus dem Abstiegskampf, aber drinbleiben ist das Thema.

    Lust auf noch mehr Fußball? Dann hören Sie sich hier unseren Podcast mit FCA-Kapitän Daniel Baier an:

    Zur Person: Der 69-jährige Marcel Reif spielte als Jugendlicher beim 1. FC Kaiserslautern. Für das ZDF, RTL und Sky berichtete Reif als Kommentator und Reporter von zahlreichen Fußballspielen. Seit 2016 ist Reif Mitglied des Experten-Teams beim Fußball-Talk „Doppelpass“ des Sportsender Sport1. Am Sonntag ab 11 Uhr diskutiert er darin über das aktuelle Fußballgeschehen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden