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Interview: Marcel Reif: "Sehe keine Sonderbehandlung für Berufsfußballspieler"

Interview

Marcel Reif: "Sehe keine Sonderbehandlung für Berufsfußballspieler"

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    „Ich sehe keine Sonderbehandlung für Berufsfußballspieler.“Marcel Reif galt über viele Jahre als bester deutscher Fußball-Kommentator.
    „Ich sehe keine Sonderbehandlung für Berufsfußballspieler.“Marcel Reif galt über viele Jahre als bester deutscher Fußball-Kommentator. Foto: Christian Charisius, dpa

    Spiele ohne Zuschauer – da blutet einem Fußballfan doch das Herz ...

    Marcel Reif: Kein Mensch will das haben. Aber es ist alternativlos. Wie bei allem in dieser Corona-Zeit: Es ist alles eine Frage der Abwägung. Niemand hat aktuell die absolute Wahrheit. Allerdings sprechen in diesem Fall sehr viel mehr Argumente dafür, weiterzumachen.

    Die Alternative wäre, darauf zu verzichten.

    Reif: Dann allerdings kannst du den Profifußball in Deutschland, wie wir ihn bisher kannten, in großen Teilen vergessen. Das ist ja eine belastbare Rechnung, die die DFL aufgemacht hat: 13 von 36 Erst- und Zweitligisten würden das nicht überleben. Wenn man das will: Bitte sehr!

     "Ich sehe keine Sonderbehandlung für den Berufszweig Berufsfußballspieler"

    Kritiker sagen: Extrawürste für Millionäre – welches gesellschaftliche Signal sendet das denn aus?

    Reif: Da werden viele Sachen durcheinandergeworfen. Das ist ungehörig. Dazu ist die Sache dann doch zu wichtig. Der Profifußball ist ein Industriezweig, und daraus macht er auch keinen Hehl. Und er hat die Voraussetzungen geschaffen, weitermachen zu können. Von der medizinischen und wissenschaftlichen Seite her, Arbeitsrechtler, die Versicherer, die die Fußballer absichern, die Gesundheitsämter – die mussten alle zustimmen. Und es ist ein Konzept entwickelt worden, das die Risiken der Fortführung beherrschbar erscheinen lässt. Ich akzeptiere jeden, der sagt, das scheint mir zu riskant zu sein. Aber ich sehe keine Sonderbehandlung für den Berufszweig Berufsfußballspieler. All das, was da mit reinschwingt, die Millionarios, die mit Protzautos durch die Gegend fahren ...

    . . . und Goldsteaks essen ...

    Reif: ... das ist ja alles richtig und auch zum Kotzen, wenn Sie das so von mir hören wollen. Aber das hat mit der Entscheidung, weiterzumachen, nichts zu tun. Es ist zu billig, das durcheinanderzuwerfen. Damit kann ich nichts anfangen.

    Also „Brot und Spiele“. Aber wenn doch schon die Ultras, also diejenigen Fans, die immer zu jedem Spiel rennen, um ihren Verein zu unterstützen, sagen, sie wollen keine Geisterspiele: Entfernt sich der Volkssport Fußball dann jetzt nicht endgültig von seinen Wurzeln?

    Reif: Sie unterstellen nun den Ultras eine Größe, die sie nicht haben. Die Ultras sind ein wichtiger, aber ein bedeutend geringerer Teil der Menschen, die im Stadion sind. Es gibt Umfragen, die sagen, dass 70 bis 75 Prozent aller Deutschen Fußball sehen wollen, also die anderen Fans. Es kann nicht sein, dass die Ultras die Deutungsherrschaft für sich alleine beanspruchen. Es kann nicht sein, dass eine Minderheit, und zwar eine klare Minderheit, dem Rest vorschreibt, wie Dinge zu sehen sind. Wenn die Ultras das nicht wollen, dann können sie gerne wegbleiben und müssen nicht hinschauen.

    "Fußball als Ablenkung mal für ein paar Stunden - das halte ich für gesellschaftlich relevant"

    Fußball als Placebo fürs Volk ...

    Reif: Die Deutschen sind doch kein Volk von Schwachsinnigen. Sie haben bewiesen, wie faszinierend diszipliniert sie diese Corona-Krise bisher gemeistert haben. Die Menschen muss ich nun belohnen. Menschen, die seit Wochen zu Hause sitzen, denen muss ich irgendwann auch mal was fürs Gemüt und für die Seele geben. Nicht nur Brot. Nicht nur Angst um ihren Job und um Familienangehörige. Jeder Mensch braucht Ablenkung, weil er sonst psychisch krank wird, und diese Folgeerkrankungen sind noch viel zu wenig besprochen worden. Für zwei, drei Stunden sich mal wieder mit was anderem zu beschäftigen, dem so furchtbar umstrittenen Videobeweis oder der Auslegung der Handregel, und erst dann wieder mit dem Ernst der Lage umzugehen – das halte ich für das Gebot der Stunde. Alles, was sich wissenschaftlich, medizinisch und ethisch verantworten lässt und als beherrschbares Risiko angesehen werden kann, muss an Lockerungen kommen. Wenn nicht, wird diese Gesellschaft auch psychisch krank. Ich sage nicht, dass sie am Fußball gesunden wird. Um Gottes willen! Aber Fußball als Ablenkung mal für ein paar Stunden – das halte ich für gesellschaftlich relevant.

    Was wäre denn so schlimm daran, wenn diese hyperkommerzialisierte Blase Profifußball sich nun ein bisschen gesundschrumpfen würde, wenn plötzlich weniger Geld in Umlauf wäre?

    Reif: Gar nichts. Aber das Geld ist doch da! Das ist doch niemandem geklaut worden. Das ist doch das Vertrackte an der ganzen Geschichte: Man kann sich noch nicht einmal moralisch entrüsten! In München haben sie über Jahrzehnte prima gewirtschaftet und sich mit zig Champions-League-Teilnahmen ein Polster geschaffen. Die Kataris in Paris, die Emirate in Manchester, amerikanische Milliardäre in Liverpool, Fiat in Turin – haben doch das Geld. Nur: Der Profifußball an sich ist obszön geworden. Ablösesummen, Beraterhonorare, Spielergehälter. Das ist in den Irrsinn abgedriftet. Die Großen werden das überleben. Meine These ist, und das werde ich mit meinen 70 noch erleben: Die großen Klubs werden in absehbarer Zeit in ihrer eigenen Superliga spielen, abgekoppelt von den nationalen Ligen.

    "Die Großen werden weiter am Rad drehen wie vor Corona"

    Für Romantiker ein Gräuel ...

    Reif: Klar, aber die Großen werden weiter am Rad drehen wie vor Corona. Ich prophezeie Ihnen, dass Real Madrid, wenn es den jungen Mbappé aus Paris tatsächlich haben will, auch 200 Millionen Euro Ablöse zahlen wird. Trotz Corona. Das ist das, wenn Sie so wollen, so Abartige an der ganzen Geschichte – nur damit muss man sich abfinden. Das, was Sie als Blase bezeichnen, wird im oberen Sektor weiter funktionieren. Hat aber mit dem Fußball der Ultras oder mit der reinen Lehre nichts mehr zu tun. Das ist Unterhaltungsindustrie auf einem anderen Planeten. Darunter wird sich vieles verändern.

    Und das kann man auch als Fußball-Liebhaber wie Sie emotionslos zur Kenntnis nehmen, wenn der großartige Volkssport so verraten und verkauft wird?

    Reif: Wird er ja nicht, gar nicht. Die einen spielen da oben Entertainment-Fußball. Und die anderen, von Würzburg über Ingolstadt bis zu Mönchengladbach und Frankfurt, spielen den Fußball, wie wir ihn bisher kannten. Und dann haben auch die Fans ihren Klub wieder. Auf Dauer macht es doch keinen Sinn, den FC Bayern und Paderborn in einer Liga gegeneinander antreten zu lassen. Manche Vereine, natürlich vor allem auch international, haben sich in den letzten Jahren – durch Champions-League-Gelder oder andere Einnahmen – so weit abgehoben vom nationalen Rest, und heute spielen sie in ihren Ligen in einer Art Schaulaufen. Dann haben die anderen die Bude voll und singen: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus.“ Aber das gelingt immer weniger. Weil Geld Tore schießt. Und weil die anderen die Spieler nicht haben, um die Tore zu schießen, um den Bayern die Lederhosen auszuziehen. Klar, natürlich gewinnst du dann mal ein Spiel – aber in der Regel wissen wir doch, wie’s ausgeht.

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