Herr Fuss, ist Schreiben Ihre neue Leidenschaft?
Wolff-Christoph Fuss: Na ja, es ist ja erst das zweite Buch. Zum ersten musste ich stark überredet werden. Beim zweiten war es so, dass es in den letzten Jahren immer wieder Nachfragen gab, wann kommt denn wieder was. Ja, vielleicht ist es so eine kleine Leidenschaft.
Wolff-Christoph Fuss: Ich möchte mich nicht mit großen Autoren vergleichen
Wie gehen Sie als einer, dessen Handwerkszeug die gesprochene Sprache ist, an die vielen leeren Seiten heran?
Fuss: Die leere Seite ist für mich nicht verstörend. Ich mache mir erstmal Gedanken über eine Gliederung, den roten Faden, den Aufbau der Geschichte – all das lege ich mir im Kopf zurecht. Und man muss ja auch ehrlicherweise sagen: das ist eine Kurzgeschichtensammlung, kein Roman. Ich muss keine verschiedenen Ebenen bedenken. Sondern erlebte Geschichten sinnvoll verknüpfen. Es ist leichte Muße. Ich möchte mich nicht mit großen Autoren vergleichen.
Jeder, der schon einmal etwas geschrieben hat, weiß, dass gerade das Leichte besonders schwer ist. Ihr Buch ist dort besonders unterhaltend, wo Sie den großen Fußball verlassen und ins Anekdotische hinüberwechseln. Beispielsweise Ihre Rolle als Schiedsrichter im Finale eines Turniers im Gefängnis in Stadelheim. Wie viel Mut hat es Sie gekostet, in der Schlussminute des Finals beim Stand von 0:0 einen Elfmeter zu pfeifen?
Fuss: Grundsätzlich hat es mich keinen Mut gekostet, nach Stadelheim zu gehen. Ich wurde angefragt und hab ja gesagt. Der Elfmeterpfiff geschah zunächst im Affekt und war danach mutig.
Fußball-Kommentator Wolff-Christoph Fuss: Wir gehören zu einer privilegierten Berufssparte
Ihr Berufsleben ist sehr auf Tempo getrimmt. Wie haben Sie es erlebt, im ersten Lockdown auf Tempo null heruntergefahren zu werden?
Fuss: Ich denke voller Wärme an diese Zeit zurück. Das war für mich wie eine Art Elternzeit. Ich war in einer Phase, in die ich bildlich gesprochen mit 240 Stundenkilometern reingerauscht bin und dann plötzlich das Stoppschild unter die Nase gehalten bekam. Da war zum ersten Mal seit meiner Abiturzeit absolute Freiheit und Freizeit ohne jeden zeitlichen Druck. Ich hab’ eine kleine, wissbegierige Tochter, mit der ich die Welt entdecken kann. Das hab ich in vollen Zügen genossen. Ich saß nicht auf heißen Kohlen zu Hause und hab’ darauf gewartet, dass es weitergeht. Auch, weil klar war, dass diese Zeit kommen würde. Dafür besitzt der Fußball einfach eine zu große gesellschaftlich Relevanz. Da gehören wir zu einer privilegierten Berufssparte.
Wie intensiv bereiten Sie sich auf ein großes Spiel vor? Was passiert da vorher?
Fuss: Die Vorbereitung beginnt eigentlich schon Wochen vorher, indem man dieses Spiel irgendwann auf dem Schirm hat und immer wieder schaut, was passiert bei den beiden Klubs. Man entwickelt einen 360-Grad-Blick, spricht mit Journalisten vor Ort, mit beteiligten Spielern, versucht die Trainer ans Telefon zu bekommen, arbeitet sich durch Statistiken. Der zeitliche Aufwand ist schwer zu beziffern. Das sind vielleicht zehn bis zwölf Stunden. Eigentlich bist du nie fertig. Ziel ist es, alles über ein Spiel zu wissen. Das aber ist eine Illusion. Diese Illusion treibt dich an. Am Ende kommen fünf Prozent von dem, was du vorbereitet hast, zur Aufführung. Der Rest landet in der Tonne. Entscheidend ist nicht, dass möglichst viel zur Aufführung kommt, sondern das Richtige.
Und die Performance?
Fuss: Lässt sich nicht vorbereiten, hängt auch von der Tagesform ab. Insgesamt kann ich mich da aber ganz gut auf mich verlassen.
Gibt es Nachbesprechungen?
Fuss: Ein bis zweimal im Jahr schaut ein Externer drauf. Ein Trainer oder Schiedsrichter oder ein Fachmann aus der Branche. Anders ist das bei der hohen Schlagzahl nicht zu schaffen. Darüber hinaus hab’ ich ein, zwei Leute, die viel von mir anschauen und dann schon mal sagen, diese oder jene Formulierung hast Du zuletzt inflationär verwendet.
Wolff-Christoph Fuss: Ich erlebe Zuschauerkritik als nicht so schlimm
Wie gehen Sie mit Zuschauerkritik um?
Fuss: Ich erlebe das als nicht so schlimm. Es ist eher überraschend, dass viel positives Feedback über Soziale Netzwerke kommt. Aber es gibt natürlich auch Vollgas unter der Gürtellinie. Wir sind in einem emotionalen Umfeld, entsprechend emotional sind auch manche Aussagen.
In der Hektik kann dem Live-Kommentator schnell mal eine Formulierung über die Lippen gehen, die ihm hinterher großen Ärger bereitet.
Fuss: Ich weiß, wenn die Kamera läuft, hab’ ich eine rhetorische Verantwortung. Das lässt die Konzentration auf ein Maximum anwachsen. Aber ich habe deshalb keine Angst davor. Vielleicht ist mal ein Sprachbild dabei, das ein bisschen schief ist, aber das ist es dann auch. Ich bilde mir ein, dass ich auf Sendung nicht großartig anders sprechen würde, als ich es hier im Interview oder auf der Couch mache. Ich lasse einfach laufen.
Der Fußball, heißt es überall, werde nach Corona nicht mehr derselbe sein, wie er vorher war. Stellen Sie bereits Anzeichen fest?
Fuss: Im Augenblick ist natürlich das
ein anderes. Fußballerisch sind die Unterschiede nicht so groß. Es findet weniger Theatralik statt, weil keiner da ist, den man aufwiegeln kann.Ich dachte mehr in die Richtung moralisch-ethische, wirtschaftliche Neuaufstellung der Branche.
Fuss: Die Investitionsbereitschaft ist zurückgegangen. Dass sich moralisch-ethisch Grundlegendes ändern wird, sehe ich im Moment noch nicht. Ob sich allerdings die Fußballkultur verändern wird, das wird ein spannendes Thema.
Was dagegen unverkennbar ist: Dem deutschen Fußball laufen die Fans davon. Die Quoten bei Länderspielen sinken drastisch. Was läuft da schief?
Fuss: Das ist ein isoliertes Phänomen der Nationalmannschaft. Ich hab’ den Eindruck, dass das Interesse an der Bundesliga, wenn ich Sky-Zahlen nehme, mindestens so hoch ist wie vor Corona, beziehungsweise sogar noch gestiegen ist. Da war anfangs sicher Katastrophentourismus dabei. Mittlerweile ist das vorbei. Die Leute schauen aus Interesse am Spiel – und dieses Interesse ist gestiegen, auch weil keiner ins Stadion darf. Der Fußball erfüllt den Auftrag, einen minimalen Rest aus der alten Normalität in die neue Normalität zu transportieren.
Irgendwann wird die Nationalelf, wenn sie so weitermacht, die Bundesliga aber nach unten ziehen.
Fuss: Da hängt viel vom Abschneiden bei der Europameisterschaft ab.
Hätten Sie an Joachim Löw festgehalten?
Fuss: Jetzt, in dieser Phase, hätte ich auch an ihm festgehalten. Was ich nicht verstanden habe, dass man sich nach einer völlig verkorksten WM nicht in die Augen geschaut und gesagt hat, hier ist eine Fülle an falschen Entscheidungen getroffen worden und das muss personelle Konsequenzen haben. Wenn man sich aber entschließt, den Neuaufbau in seine Hände zu legen – er ist
, er hat schon mal bewiesen, dass er es kann – dann muss man auch den Mut und die Nerven haben, dieses EM-Turnier abzuwarten.Die deutschen Nationalspieler sind bis zum EM-Start einer enormen Belastung ausgesetzt
Was trauen Sie der deutschen Mannschaft bei der EM zu?
Fuss: Im Moment reicht meine Fantasie noch nicht über die Gruppenphase hinaus. Die deutschen Nationalspieler sind bis zum Start einer enormen Belastung ausgesetzt, sodass Löw schon vorher gar nicht testen kann, wie er will. Für Umbruch oder Neuaufbau ist im Moment kein guter Zeitpunkt. Dazu verzichtet der Bundestrainer auf drei Spieler, die zu den besten des Landes gehören. Das ist ein Thema, das er mit sich herumträgt – und zwar mit jedem Spiel. Diejenigen, die er nominiert, wirken nicht so überzeugend, dass man sagen könnte, die anderen drei braucht es nicht.
Sollte er Ihrer Meinung nach Müller, Hummel und Boateng wieder nominieren?
Fuss: Klar. Wir müssen mit den besten des Landes zur EM fahren, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Es muss einer Nationalmannschaft sehr gut gehen, wenn man auf Müller,
und Boateng verzichten kann. Tatsächlich geht es der Nationalmannschaft aber nicht so gut. Das wird gegebenenfalls eine schwierige Aufgabe, dieses Problem für alle gesichtswahrend zu lösen.Zur Person: Wolff-Christoph Fuss, 44, arbeitet seit 1999 als Fußball-Kommentator für verschiedene TV-Sender. Aktuell ist er vornehmlich für Sky tätig. Mit seiner Frau, der Moderatorin und Ex-Leichtathletin Anna Kraft, hat Fuss zwei Töchter, (*2019 und *2020). Sein aktuelles Buch "Geisterball" hat 208 Seiten und kostet 15 Euro.
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