Herr Özdemir, im Ergebnisbericht der Taskforce "Zukunft Profifußball" steht sehr oft das Wort "sollen" und nicht "müssen", wenn es um Nachhaltigkeit, Ökologie und soziale Verantwortung geht. Den Kritikern ist das alles viel zu schwammig.
Cem Özdemir: Vor einem halben Jahr wäre es noch unvorstellbar gewesen, dass in einem Papier der Deutschen Fußball Liga Begriffe wie "Salary Cap" überhaupt auftauchen. Auch in den Bereichen Ökologie, Menschenrechte oder Diversität gibt es viele gute Vorschläge im Ergebnisbericht. Die DFL gründet einen interdisziplinären Beirat mit externen Fachleuten zur Begleitung des weiteren Umsetzungsprozesses und führt den Dialog mit Fan-Vertretern. Das alles sind positive Signale. Jetzt muss sich aber zeigen, wie zügig und konsequent die DFL die Umsetzung tatsächlich angeht. Das wird von der Öffentlichkeit sehr kritisch beäugt werden. Denn klar ist: Es muss sich etwas ändern. Die Exzesse bei den Spielergehältern und Ablösesummen – der Profifußball entfremdet sich zunehmend von seinen Fans. Corona hat die Fehlentwicklungen schonungslos offengelegt, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
In den letzten Monaten sprachen Bundesligaprofis und Klub-Funktionäre immer wieder von Demut. Das passt ganz und gar nicht zu den Schimpftiraden von Rummenigge und Hoeneß anlässlich der Komplikationen bei der Anreise der Bayern-Mannschaft zur Klub-Weltmeisterschaft in Katar …
Özdemir: Die Reaktionen von Herrn Hoeneß und Herrn Rummenigge zeigen exemplarisch, wie schwer sich manche Vertreter im Profifußball immer noch damit tun, zu verstehen, was sich durch die Pandemie in der Gesellschaft verändert hat. Kurzarbeit, Ausgangssperren, Existenzängste, Kinder, die nicht in die Schule oder in die Kita gehen können – die Menschen treiben ganz andere Sorgen um als die Frage, ob man um 0.03 Uhr noch von Berlin nach Katar fliegen kann. Immerhin haben die Bayern-Spieler selbst den Ball flach gehalten. Äußerungen wie die von Hoeneß und Rummenigge schaden jedenfalls nicht nur dem Ansehen des FC Bayern München, sondern dem Fußball insgesamt: Die Leute unterscheiden da nicht.
Weil Sie generell den Eindruck haben, dass alle Beteiligten am Profifußball in einer Blase leben, völlig losgelöst von den gesellschaftlichen Realitäten?
Özdemir: Das muss man differenzierter betrachten. Es gibt auch viel soziales Engagement, das beeindruckend ist. Bei meinem Herzensverein, dem VfB Stuttgart, helfen die Spieler bei der Vesperkirche mit und kümmern sich dort um obdachlose Menschen. Das zeigt, dass man der Gesellschaft nicht den Rücken gekehrt hat. Oder nehmen wir Neven Subotic. Der ehemalige BVB-Held hat eine eigene Stiftung gegründet, deren Ziel es ist, Menschen in Gemeinden und Schulen in Äthiopien den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen. Es gibt noch viele andere positive Beispiele.
Aber es gibt eben auch die vorher angesprochenen Exzesse im Profifußball, die immer wieder beklagte Kommerzialisierung. Trotzdem kommen auch Sie als eingefleischter VfB-Fan wie viele andere nicht von der Droge Fußball weg …
Özdemir: Die Liebe zum Fußball ist einfach tief in mir verwurzelt. Das hat damit angefangen, dass ich als kleiner Junge selbst auf dem Bolzplatz gekickt habe. Dann der erste Besuch im Stadion beim VfB unter dem damaligen Trainer Jürgen Sundermann, den man auch Wundermann nannte. 1978 die Klassenfahrt nach München ins Olympiastadion mit dem Derby Bayern gegen 1860. Später durfte ich ein Ligaspiel des SSC Neapel in Neapel verfolgen. Allein das Warmmachen mit Diego Maradona werde ich nie vergessen. Das sind alles prägende Erlebnisse. Und dann ist da diese unwahrscheinliche integrative Kraft des Fußballs, die ich faszinierend finde. Unabhängig von Herkunft, Einkommen oder Bildung feuern die Fans gemeinsam im Stadion ihre Mannschaft an. Ansonsten kommen doch die Menschen aus den verschiedenen Schichten kaum mehr miteinander in Kontakt. Überall wird sortiert – das fängt ja mitunter schon mit der Wahl der Schulen an.
Würden Sie sich wünschen, dass sich die Spieler öfter zu politischen und gesellschaftlichen Themen äußern?
Özdemir: Fußballer sind ohne Zweifel Vorbilder und dieser Wirkung sollten sie sich auch bewusst sein. Aber sie sind keine Politiker. Sie können nicht das Klimaschutzproblem lösen oder das Gespenst des Populismus vertreiben. Wenn sie sich vor allem auf das Training, die Spiele und ihre Karriere konzentrieren, ist das vollkommen in Ordnung. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn ein Ehrenspielführer der Nationalmannschaft wie Lothar Matthäus sich mit Putin oder ein Mesut Özil sich mit Erdogan fotografieren lässt und damit hilft, einen Diktator reinzuwaschen.
Die Vereine und Spieler zeigen unbestritten Einsatz beim Kampf gegen Rassismus und Homophobie. Aber mit großem Engagement für Ökologie und Klimaschutz tun sie sich noch nicht hervor.
Özdemir: Ich habe den Eindruck, dass auch diese Themen mehr und mehr im Fußball ankommen, und zwar vollkommen zu Recht – die Fridays-for-Future-Bewegung hat sicherlich auch hier zu mehr Bewusstsein beigetragen. Wo kommt die Energie her? Muss man immer mit dem Flugzeug anreisen? Was kann man zur Abfallvermeidung im Stadion und in puncto Recycling tun? Um solche Fragen geht es. Wünschenswert wäre auch hier eine Art Ranking, damit die Fans sehen, wie ihr Klub auf diesem Gebiet abschneidet. Aktuell ist zum Beispiel das Kunststoff-Granulat auf den Kunstrasenplätzen und das damit verbundene Mikroplastik-Problem ein Thema. Beim VfB Stuttgart schaut man jetzt, welches andere Material verwendet werden kann.
Thema Mobilität: Während seiner Zeit bei Union Berlin nutzte Neven Subotic die S-Bahn, um zu den Spielen und zum Training zu kommen. Das war den Medien eine Nachricht wert, worüber sich wiederum Subotic gewundert hat, dass das überhaupt ein Thema ist.
Özdemir: Neven Subotic ist ein tolles Beispiel für einen Fußballer zum Anfassen. Ich kann es allerdings verstehen, wenn Spieler angesichts ihrer Prominenz auch mal ihre Ruhe haben wollen. Aber man kann ja im Elektroauto zum Training fahren, seinen Wagen mit Strom aus erneuerbaren Energien laden – am besten mithilfe einer Solarstromanlage auf dem eigenen Dach.
Sie hatten anfangs vom "Salary Cap", der Deckelung von Spielergehältern, gesprochen, die im DFL-Taskforce-Konzept als fernes Ziel auftaucht. Ist das nicht etwas realitätsferne Träumerei?
Özdemir: National wird das eher nicht klappen. Das muss vor allem auch auf europäischer Ebene thematisiert werden. Aber es muss sich was ändern, wie das Beispiel FC Barcelona und Lionel Messi zeigt. Da wird ein Verein durch das astronomische Gehalt eines einzigen Spielers fast in den Ruin getrieben. So kann und darf das nicht weitergehen. Was die Klubs auch nachdenklich stimmen sollte: Viele Kinder und Jugendliche haben eine engere Bindung zu ihrem Lieblingsspieler als zu einem Verein. Sie folgen dem Spieler von Klub zu Klub. Nach jedem Wechsel gibt es ein neues Vereinstrikot. Ich sehe das bei den Freunden von meinem Sohn. Da hat sich bei dem einen oder anderen im Schrank schon einiges angesammelt.
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