Ein paar Stunden nach dem Skandal von Sinsheim verkündete DFB-Chef Fritz Keller im Machtkampf mit der Kurve das Ende aller Kompromisse.
"Jetzt ist Schluss, jetzt müssen die Grenzen gezeigt werden", sagte der um Fassung ringende Präsident des Deutschen Fußball-Bundes im ZDF unter dem Eindruck der neuerlichen Hass-Tiraden gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp. Das harte Durchgreifen mit zwei Spielunterbrechungen beim Gastspiel der Bayern in Sinsheim, das demonstrative Ballgeschiebe der Stars, die Proteste in anderen Stadien - die denkwürdigen Szenen dieses Spieltags haben den deutschen Fußball in die nächste Fankrise geführt. Der DFB und die Liga müssen sich nun an ihrer plötzlichen Knallhart-Strategie messen lassen - wahrscheinlich schon im Pokal in den nächsten Tagen.
Die Vorfälle auch in Dortmund, Köln, einigen Zweitliga-Arenen und am Sonntag beim Spiel von Union Berlin gegen Wolfsburg erschienen wie eine konzertierte Aktion. Der FC Bayern wusste sogar vorab von den Plänen der Münchner Fanszene. Empört sprach Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge danach von "einem schwarzen Tag für den Fußball" und betonte: "Es muss aufhören. Ich werde mich mit dem heutigen Tag nicht mehr wegducken. Auch auf die Gefahr hin, dass ich irgendwann mit Leibwächtern durch die Gegend laufen muss."
Der Präzedenzfall von Sinsheim wirft unweigerlich die Frage auf: Wie viel Macht haben einzelne Fans und Fangruppen zukünftig in der Bundesliga? Und mit welchen Mitteln können sie Unterbrechungen oder gar einen Spielabbruch erzwingen? Die wenigen Anhänger, die ihre eigenen Ziele über das Geschehen auf dem Rasen stellen, scheinen nun eine zusätzliche Plattform zu haben. Dies könnte die Fantasie bei weiteren Hassplakaten schüren und den Konflikt weiter verschärfen.
Als "Tiefpunkt" bezeichneten Rummenigge, DFL-Chef Christian Seifert und Keller unisono die erneuten Tiraden beim 6:0 der Bayern bei der TSG Hoffenheim. In den letzten 13 Minuten schoben sich beide Teams den Ball aus Protest gegen die Banner nur noch hin und her. Das zuständige Polizeipräsidium Mannheim kündigte am Sonntag an, wegen der Vorfälle auf den Rängen eine Ermittlungsgruppe zu bilden.
Die Attacken mehrerer Fangruppen, die sich gegen Kollektivstrafen wie den zweijährigen Auswärtsbann für BVB-Fans in Sinsheim richten, sind nicht neu. Neu ist der rigorose Umgang des DFB und von Schiedsrichter Christian Dingert, der unverzüglich unterbrach, als das erste Hass-Plakat im Bayern-Block aufgetaucht war. Trotz dieses klaren Zeichens folgten am Sonntag auch Union-Anhänger dem Beispiel der Bayern-Fans und provozierten mit Schmäh-Bannern gegen Hopp und den DFB zwei Unterbrechungen des Bundesliga-Spiels in Berlin.
Der gerne gesellschaftskritische Christian Streich ordnete die Vorfälle in einen größeren Zusammenhang ein. "Was in diesem Land in den letzten zehn Monaten passiert ist, in puncto Hetze, in puncto Anschläge auf Politiker, auf jüdische Einrichtungen und jetzt auf eine türkische Shisha-Bar, ist extrem gefährlich", sagte der Trainer des SC Freiburg, der in Dortmund die Schmähgesänge der BVB-Fans gehört hatte. "Diese Hetze gegen Menschen ist nicht hinnehmbar."
DFB-Boss Keller erklärte, der Drei-Stufen-Plan mit Unterbrechung, Stadiondurchsage, Spieler in die Kabine schicken und notfalls Abbruch gelte "für Hassplakate jeglicher Art, auch Rassismus und Antisemitismus".
Die Münchner und Hoffenheimer Beteiligten haben am Samstag zwar ein starkes Signal gesetzt, das auf viel Lob und Zustimmung stieß. Trainer Hansi Flick, Vorstandsmitglied Oliver Kahn und die Profis um die wütenden Ex-Hoffenheimer Serge Gnabry und David Alaba hatten die Anhänger zuvor energisch aufgefordert, das Banner wieder abzuhängen. Keller gratulierte den Schlichtern, die "den Chaoten nicht gelassen haben, was sie wollten, nämlich das Spiel zu zerstören und Macht über dieses Spiel zu haben".
Nur reagiert der Verband spät. Während bei den rassistischen Vorfällen gegen Herthas Jordan Torunarigha im Pokalspiel auf Schalke jüngst nicht einmal unterbrochen wurde, handelte der Schiedsrichter diesmal konsequent und unverzüglich. Das wirft bei vielen Beteiligten Fragen auf. Kritik muss sich der DFB auch beim Fall von Herthas B-Jugend gefallen lassen. Die Junioren hatten im Februar wegen rassistischer Vorfälle geschlossen den Platz verlassen - das Spiel wurde anschließend als Niederlage für die Berliner gewertet.
Die wenig einsichtigen Bayern-Fans nannten die Unterbrechung vom Samstag "einfach nur überzogen und absurd" und prophezeiten in einer Mitteilung am Abend: "Will man zukünftig immer, wenn solche Beleidigungen auf der Zuschauertribüne geäußert werden, Fußballspiele ab- oder unterbrechen, wird man keine Partie mehr über 90 Minuten spielen können." Dass nach all dem Wirbel vom Samstag auch am Sonntag die Fans in Berlin den 79 Jahre alten Hopp noch einmal ausdrücklich schmähten, könnte ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen sein.
Der Milliardär selbst bekräftigte sein Engagement im Fußball. "Ich lasse mich von diesen Chaoten in meinem Handeln, weder sportlich noch gesellschaftlich beeinflussen und vertreiben", sagte Hopp. Einen Dialog mit den für die Attacken verantwortlichen Fans lehnte er ab: "Ich sehe keinen Sinn darin, mich mit Menschen auseinanderzusetzen, denen ich noch nie etwas getan habe, die mich seit Jahren grundlos massiv beleidigen und gar keinen Konsens wollen."
Sein Weggefährte Rummenigge, der Hopp schon in der Loge in den Arm genommen hatte, entschuldigte sich: "Ich schäme mich zutiefst aus Sicht des FC Bayern für diese Chaoten. Es ist der Moment gekommen, wo der gesamte deutsche Fußball gemeinsamen Schrittes gegen diese Chaoten vorgehen muss", sagte der Funktionär. Die Verursacher seien gefilmt worden. Bayern-Präsident Herbert Hainer versicherte am Sonntag, der Club werde "alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um gegen diejenigen konsequent vorzugehen, die den FC Bayern und den gesamten deutschen Fußball in Misskredit gebracht und unsere Werte mit Füßen getreten haben".
Die Mächtigen in Clubs und Verbänden rügte Rummenigge mit einem Satz ganz explizit und ausnahmslos: "Alle Verantwortlichen im Fußball ducken sich viel zu oft weg, weil sie glauben, in der Kurve ist eine Macht." Dies sei aber "eine Minderheit, die es jetzt ganz klar an den Pranger zu stellen gilt und gegen die es vorzugehen gilt". (dpa)
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