Am sehr späten Dienstagabend lief auf einmal die Waschmaschine im Hause Schmid. Der Herr des Hauses, der auf den Vornamen Andy hört und in der Handball-Bundesliga für die Rhein-Neckar Löwen spielt, musste packen. Und zwar unerwartet. Es geht für den Schweizer mit seiner Nationalmannschaft nach Ägypten.
Abflug am Donnerstagmorgen nach Kairo, WM-Auftaktspiel am Donnerstagabend in Gizeh gegen Österreich. Klingt verrückt. Oder "surreal", wie es Schmid nennt. Aber was ist in diesen wilden Zeiten schon normal? Eine rhetorische Frage.
Die USA und Tschechien müssen die Handball-WM absagen
Die Eidgenossen rücken für das US-amerikanische Team nach, das auf die WM verzichten muss. 18 positive Corona-Tests beförderten die Mannschaft aus dem Wettbewerb, für den sie sich übrigens gar nicht qualifiziert hatte. Die USA erhielten eine Wildcard vom Weltverband IHF, für den das Fehlen der Auswahl von Trainer Robert Hedin ein schwerer Schlag ist. Denn die IHF will den amerikanischen Markt für sich gewinnen, die WM-Spiele der US-Mannschaft wären live vom großen Sportsender ESPN übertragen worden.
Und jetzt dieses Desaster, von dem die Schweizer profitieren. "Ich hatte mich eigentlich auf Homeschooling eingestellt", sagt Schmid. Lesen, schreiben, rechnen wollte er mit seinem Sohn Lio. Nun spielt er eine WM. Seine erste. Im gefühlten Handball-Rentenalter von 37 Jahren, was aber nicht an ihm liegt.
Andy Schmid kommt mit 37 Jahren zu seiner ersten Handball-WM
Der Spielmacher genügt seit Ewigkeiten allerhöchsten Ansprüchen. Wobei das mit den "allerhöchsten Ansprüchen" noch gewaltig untertrieben ist – so als würde man sagen, Roger Federer hat in seiner Tennis-Karriere ein bisschen was gewonnen. Schmid gehört zu den Besten der Welt, nur seine Kollegen im Nationaldress waren eben über viele, viele Jahre stets nicht nur eine, sondern zwei oder drei Klassen schlechter als er. Ein Schicksal, das schon Ausnahmekönner in anderen Mannschaftssportarten ereilte, zum Beispiel im Fußball: den Waliser Ryan Giggs, den Nordiren George Best, den Finnen Jari Litmanen.
"Ich weiß, dass es wegen der Corona-Situation Argumente für und gegen die WM gibt. Aber ich muss das machen, ich muss diese WM spielen. Diese Chance habe ich wahrscheinlich nur dieses eine Mal in meinem Leben", sagt Schmid, der mit den Löwen zwei Meisterschaften gewann, einen Pokalsieg feierte und fünfmal zum besten Bundesligaspieler gewählt wurde. Im vergangenen Jahr qualifizierte er sich erstmals mit der Schweiz für eine EM, nun folgt – wenn auch über Umwege – die WM-Teilnahme. Sie ist das letzte Puzzleteil in Schmids illustrer Karriere, die bislang so ganz ohne Weltmeisterschaft durchaus etwas Tragisches hatte. Denn auf der größten Bühne des Handballs treffen sich nun mal die Besten und die Bekanntesten. Ausgerechnet mit ihm fehlte aber stets einer der Besten und Bekanntesten.
Der Imageschaden für die Handball-WM ist enorm
So schön die Geschichte für Schmid aber auch sein mag, so gravierend ist schon jetzt der Imageschaden für die WM, den Weltverband und den ägyptischen Veranstalter. Denn mit den Tschechen, die auch zu viele Corona-Fälle haben und durch Nordmazedonien ersetzt wurden, musste eine weitere Nation kurzfristig seine Turnierteilnahme absagen. Bei den Brasilianern gibt es zudem sieben positive Tests, darunter Topspieler Thiagus Petrus vom FC Barcelona, Torhüter Leonardo Tercariol und Trainer Marcus "Tata" Oliveira.
"Ich hoffe, dass es nicht mehr Nachrichten von dieser Sorte gibt und wir davon verschont bleiben", sagte der deutsche Mannschaftskapitän Kapitän Uwe Gensheimer. Deutlicher wurde Axel Kromer, Sportvorstand des Deutschen Handballbundes. Er sprach am Mittwoch nicht nur von "Hiobsbotschaften aus vielen Bereichen der Handball-Welt", sondern gestand: "Das übertrifft unsere Befürchtungen. Für alle, die das alles enorm kritisch beäugen und bewerten, ist das natürlich eine Bestätigung."
Der deutsche Gegner Kap Verden ist auch Corona-geschwächt
Immerhin: Die Kap Verden, am Sonntag zweiter deutscher Vorrundengegner, und zuletzt ebenfalls ein WM-Wackelkandidat, wollen laut Mitteilung des nationalen Verbandes in Ägypten antreten. Wenn auch stark ersatzgeschwächt. Und ohne Trainer Jose Tomaz. Bei ihm liegt ebenso wie bei sechs Spielern und drei weiteren Mitgliedern der Delegation ein positiver Corona-Test vor. Die Afrikaner vom Atlantik-Archipel lassen sich dennoch nicht entmutigen. Der Verband garantierte, dass das Team "zuversichtlich und motiviert ist". Das Team verspreche, das Land zu würdigen und die Nation stolz zu machen. Und gesund bleiben wollen sie vermutlich auch.
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