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Interview: Günter Netzer: „Ich bin oft auf die Schnauze gefallen“

Interview

Günter Netzer: „Ich bin oft auf die Schnauze gefallen“

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    Wenn er auf der Bank saß, konnte er ungemütlich werden: Günther Netzer gilt als einziger Spieler, der sich selbst eingewechselt hat – und das entscheidende Tor im DFB-Pokalfinale 1973 schoss.
    Wenn er auf der Bank saß, konnte er ungemütlich werden: Günther Netzer gilt als einziger Spieler, der sich selbst eingewechselt hat – und das entscheidende Tor im DFB-Pokalfinale 1973 schoss. Foto: Hans Dietrich Kaiser, Witters

    Herr Netzer, wie ist das Befinden vor Ihrem Ehrentag?

    Günter Netzer: Mir geht es wunderbar. Ab und zu klopfe ich auf mein Hirn – es soll nicht besser werden. Es rieselt zwar überall der Kalk. Jeden Tag tut mir etwas Anderes weh. Es gab auch ein paar Operationen, ohne dass ich daran zerbrochen bin. Ich bin demütig, dankbar und privilegiert.

    Das Leben hat es gut mit Ihnen gemeint?

    Netzer: Aber man muss auch etwas dafür tun. Ich hatte nicht von A bis Z Glück. Aber: Wir sind Glückskinder. Franz Beckenbauer sagt dasselbe. Wir sind auf der Sonnenseite geboren. Ohne die notwendige Arbeit geht das geschenkte Glück jedoch zugrunde.

    Denken Sie in dieser Lebensphase an unbedingt noch zu erledigende Dinge?

    Netzer: Nicht weil ich die Augen vor dem 75. verschließe – er ist aber kein Anlass, ab jetzt zu denken: Geht es zu Ende? Wann geht es zu Ende? Rückblicke zu halten. All diese Dinge existieren nicht. Die Leute sagen: Der ruht zu sehr in sich.

    Trifft das zu?

    Netzer: Richtig beobachtet, ein wunderschönes Kompliment. Es gibt keinen neuen Lebensentwurf, keinen Handlungsbedarf, irgendetwas unbedingt noch erleben zu müssen.

    Manches Kapitel haben Sie vom Zeitpunkt her überraschend beendet, so zum Beispiel das ARD-Zusammenspiel mit Gerhard Delling...

    Netzer: Obwohl wir schon neun Jahre nicht mehr auf Sendung sind, sagen Leute: Schade, dass Sie aufgehört haben. Das ist doch viel besser, als: Mensch, das ist ja nicht mehr zu ertragen. Sicher habe ich zu einer anderen Fußballsprache im Fernsehen beigetragen. Aber ich bin selbst mein größter Kritiker. Neu erfinden konnte ich den Fußball auch nicht. Und ich war nicht bereit, für die Öffentlichkeit einen anderen Sprachschatz zu wählen, plakativer, dramatisch oder Effekthascherei zu betreiben. Mit dem Fußballspielen habe ich mit 32 Schluss gemacht. Beim HSV wollte ich nach sechs Jahren als Manager aufhören. Weil kein anderer da war, bis Felix Magath Nachfolger werden sollte, bin ich noch zwei Jahre geblieben. Raus wollte ich früher. Der Fußball hatte all meine Energien abgesaugt. Man würde mich in diesem Fußballgeschäft als Manager oder Vorstandsvorsitzender nicht mehr sehen.

    Wäre Trainer etwas für Sie gewesen?

    Netzer: Um Gottes Willen! In meinem Leben habe ich immer gewusst, was ich kann. Aber vor allem gewusst, was ich nicht kann.

    Wie erklären Sie Ihre anhaltende Popularität?

    Netzer: Nur mit dem Gesamtbild, ausgehend vom Fußballspieler über den Manager und Medienmann bis zum Unternehmer. Für einen Fußballspieler sicherlich außergewöhnlich. Im Fernsehen hatten wir etwa die Fähigkeit, auch andere Kreise für Fußball zu interessieren. Beispielsweise haben Frauen uns gemocht. Nicht, weil wir besonders schön aussahen, sondern weil sie das Erklärte verstanden, mitreden konnten. Und nach den Dingen, die ein Leben lang mein Job waren, wurde ich in der völlig anderen Aufgabe als Unternehmer ebenfalls erfolgreich.

    Schon als Fußballstar waren Sie Unternehmer.

    Netzer: Bei Länderspielen hörte ich, was die Bayern und und andere verdienten – das Drei- oder Vierfache. Also habe ich unserem Manager Helmut Grashoff vorgeschlagen, mein Geld auch mit anderen Dingen zu machen: mit Stadionzeitung, Werbeverlag, Versicherungsagentur. Und Disco. Kurz vor der Eröffnung habe ich Trainer Weisweiler informiert und eingeladen. Seine Worte: Das ist das Ende. Weil er dachte, ich würde nächtelang am Tresen sitzen, flaschenweise Whiskey und Wodka trinken. Aber von da an hatte ich meine beste Zeit, war zweimal „Fußballer des Jahres“, ging zu Real Madrid, wir wurden Europameister. Die Diskothek hat eher geholfen, als geschadet.

    Hennes Weisweiler kam nicht in die Disco, aber der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger.

    Netzer: Ich hatte gesagt: Elf Freunde müsst ihr sein – dieser Kokolores ist vorbei. Nach einem Spielbesuch in Mönchengladbach wollte er hören, wie ich diese Aussage erkläre. Ein imponierender Fußballphilosoph mit ganz knappen Formulierungen und Thesen, die heute noch gültig sind. Etwas ganz Großes.

    Und Hennes Weisweiler?

    Netzer: Ein grandioser Trainer. Weisweiler hat mich gemacht. Weisweiler hat Mönchengladbach gemacht. Er hat mir Freiheiten gegeben, aber nicht gedroht: wenn dein Spiel darunter leidet, wirst du mich kennenlernen. Dieser Typ war schlau, ein toller Psychologe.

    Mitspieler nannten Sie „King“.

    Netzer: Sicher war ich der bekannteste Spieler der Mannschaft. Vielleicht war ich auch ihr bester. Eine gewisse Portion Egoismus gehört zu großen Fußballspielern. Was ich aber nicht toleriere, ist persönlicher Egoismus. Dass man nur für die Galerie spielt und sich nach einer Niederlage als bester Mann feiern lässt. Mein Egoismus war sicher teilweise vorhanden, aber ich war für die Mannschaft da. Also kein Anachronismus: der predigt Wasser und säuft Wein.

    Würden Sie etwas anders machen?

    Netzer: Unabhängigkeit war immer das von mir angestrebte höchste Gut. Rechts und links gab es aber Enttäuschungen, Desaster. Oft bin ich auf die Schnauze gefallen, habe daraus gelernt und schnell vergessen, um verpassten Chancen nicht nachzutrauern. Hätte, wenn und aber hat bei mir nicht existiert.

    Ihre beste Entscheidung?

    Netzer: Privat sicher meine Frau, auch ein kleiner Rebell – Rebell ohne Ball (1971 erschien das Buch „Günter Netzer: Rebell am Ball“, Anm. der Red.). Mit eigenem Kopf, tollem Charakter. Dieses Zusammenleben seit 41 Jahren, davon 33 verheiratet, hat sie in einer Art mitgestaltet, die für mich die Erfüllung war. Es war lustig, geistreich, verlässlich – was man sich erträumen kann. Das Copyright liegt wohl nicht bei Elvira, aber es trifft genau unsere Beziehung, wenn sie sagt: Erschießen wollte ich ihn schon sehr oft. Aber verlassen wollte ich ihn nicht.

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